Das ver.di-Zelt hielt dem Regen stand. Nicht aber die zerlöcherten Schirme, unter denen Martin Erhardt mit seinen Kollegen als Streichquartett musizierte. Sie symbolisierten die Corona-Folgen für Solo-Selbstständige. Unter dem Motto „Mein Betrieb bin ich“ protestierten am 4. Juni in Düsseldorf Betroffene gegen unzureichende „Soforthilfe“. Sie forderten, dass die Ende Mai ausgelaufene Unterstützung verlängert und an ihre realen Arbeitsverhältnisse angepasst wird.
Wegen der Pandemie-Abstandsregelungen konnten nur etwa 20 Solo-Selbstständige persönlich an der Stellvertreter*innen-Demo vor dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium teilnehmen und berichten. Viele weitere Schicksale wurden auf riesigen Würfeln dokumentiert. „Innerhalb weniger Tage haben wir von über 300 Kollegen und Kolleginnen Rückmeldungen kommen“, sagte Heidrun Abel, Landesvorsitzende des ver.di-Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie und eine der Initiator*innen der Aktion, die zusammen mit der Landesselbstständigenvertretung aus dem Boden gestampft wurde.
„Im November hatten wir noch ein Konzert in Wuhan gegeben“, berichtete Martin Ehrhardt. „Wir hatten prall gefüllte Auftragsbücher und nun werden wir auf Hartz-IV-Niveau runterdegradiert“, so der freie Musiker im Frack. Die öffentlichen Bühnen nehmen ihren Betrieb langsam wieder auf, aber für die Freie Szene, die sich „zu 100 Prozent aus den Gagen finanzieren“ müsse, und „90 Prozent der Kultur, die wir hier haben“ liefere, seien Auftritte bis Jahresende abgesagt. Wenn er aus der Soforthilfe seinen Lebensunterhalt hätte finanzieren können, wäre er „über die Runden gekommen“, meinte Erhardt und fordert eine Unterstützung für die nächsten sechs Monate, die seiner Arbeitsrealität entspricht.
Wie ihm geht es vielen. Für bildende Künstler „brechen Ausstellungsmöglichkeiten weg“, so Ludger Schneider. Eine Kollegin musste ihr Atelier aufgeben, weil sie es nicht mehr finanzieren konnte. Für einen Kinder- und Jugendbuchautor fallen Lesungen in Schulen weg, eine Freischaffende verliert durch die Stornierung von Kunstworkshops mit Kindern 85 Prozent ihrer Einnahmen. Ein Fotojournalist, der sich auf Porträts spezialisiert hat, lebt nun von den „Einkünften aus dem Verkauf von Nutzungsrechten aus meinem Archiv“. Kameramann Carsten Lusthoff hat einen Auftragseinbruch von 100 Prozent und quält sich gerade durch den ALG-2-Antrag. Wie er fürchten viele seiner Kollegen, „in Hartz-IV hängen zu bleiben“. Dabei hätte er doch gerne bis zur Rente weiter Steuern gezahlt.
Die Kölner Journalistin Kathy Ziegler, die zehn Podcasts über Solo-Selbstständige in der Coronakrise produzierte, beschrieb die Knackpunkte der NRW-Soforthilfe. Viele sind verunsichert von den ständig wechselnden Voraussetzungen, manche haben „das Geld auf dem Konto und trauen sich nicht, es auszugeben“. Denn unter „Betriebskosten“ fallen auch nicht eindeutig Investitionen, die nötig sind, wenn z.B. ein freier Musiklehrer seinen Kurs online geben will und dafür Kamera und Mikrofon kaufen muss. Viele Sozialleistungen, die für abhängig Beschäftigte selbstverständlich sind, gelten für Solo-Selbstständige nicht. Während etwa in Österreich alle, unabhängig vom Erwerbsstatus, eine Arbeitslosenversicherung haben, ist der Zugang für Solo-Selbstständige in Deutschland extrem erschwert. Die NRW-Freien fordern 80 Prozent ihrer Einnahmen des vergangenen Jahres als Coronahilfe. Auch bei der auf zehn bzw. 20 Wochen verlängerten Lohnfortzahlung für Kinderbetreuung fallen besonders Frauen durchs soziale Netz – wie etwa die beiden alleinerziehenden Hebammen, die Kathy Ziegler interviewte. „Den Selbstständigen steht das Wasser bis zum Hals“, resümierte sie.
Fazit: Wenn die NRW-Soforthilfe gesunde Betriebe am Leben erhalten soll, bedeutet das für Solo-Selbstständige, dass sie genug zu essen und ein Dach über dem Kopf haben, denn der Betrieb sind sie selbst! Ob die Demonstrierenden bei Wirtschaftsminister Pinkwart auf offene Ohren gestoßen sind, war am Ende der Aktion noch nicht bekannt.