Gedanken zum Internationalen Tag der Pressefreiheit

Seit kurzem gehöre ich zu den Taliban. Zumindest nach dem Verständnis von Silvio Berlusconi.

Zur Vorgeschichte: Die Internationale und die Europäische Journalisten-Föderation (IJF und EJF) in Brüssel, in deren Gremien ich ehrenamtlich für ver.di mitarbeite, hatte den Medienzar und italienischen Ministerpräsidenten wegen seiner Doppelrolle und der Gefahren für die Pressefreiheit kritisiert. Die Tageszeitung „Il Giornale“ im Besitz von Berlusconis Bruder, schlug zurück und geißelte auf der Titelseite den „Kreuzzug“ der IJF und die „Verschwörung der Taliban der Information in Brüssel“. Da sitze ich nun mit im Boot.Der mit dem Vorwurf verbundene Versuch der Kriminalisierung schüchtert mich natürlich nicht ein. Ich bleibe wie meine Kollegen und Kolleginnen bei der IJF und EJF dabei: Die Vermischung des Medienmonopols und der politischen Macht in den Händen des Silvio Berlusconi ist nicht vereinbar mit einem demokratischen Staatswesen. Vor allem ist Berlusconi der Feind Nummer eins bei der Verteidigung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Europa.

Einschüchterungsversuche sind noch das Wenigste, dem Kolleginnen und Kollegen ausgesetzt sind. Genau 100 Kolleginnen und Kollegen starben nach den Meldungen bei der IJF 2001 bei der Ausübung ihres Berufes. Die Schauplätze verteilen sich auf 38 Länder. Innerhalb von zwei Wochen fanden in Afghanistan acht Journalisten den Tod, drei waren es in Palästina. Zu den Opfern zählte Martin O „Hagan, ein Reporter der „Sunday World“ in Dublin ebenso wie Mario Coelho, der die Korruption lokaler Politiker in Brasilien aufdeckte.

Den Kolleginnen und Kollegen gilt am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, das besondere Gedenken. Aber Gefahren für die Pressefreiheit kommen nicht nur durch Gewehrkugeln. Sie sind verbunden mit einem schleichenden Prozess, bei dem Politiker und Medienunternehmen die aktive Rolle spielen.

Journalisten und Journalistinnen werden in vielen Ländern gefürchtet, weil sie als unbequeme Kritiker ihren Job tun. Die Männer an den Schalthebeln der politischen Macht wenden vielfältige Methoden an, um sie auszuschalten. Der einfachste Weg ist, Medien einzustellen. Das geschah in diesem Jahr zum Beispiel mit dem letzten unabhängigen Fernsehsender TV6 in Russland.

Vielerorts drohen Kollegen und Kolleginnen Verhaftungen. In Simbabwe betraf das im Februar Basildon Peta, Generalsekretär der Journalisten-Union des Landes, und wenig später Peta Thornycroft, Korrespondent für den „Daily Telegraph“ in London. Vier Monate lang wurde im Iran der Kulturkommentator Siamak Pourzand ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne medizinische Versorgung im Gefängnis gehalten.

Die Meldung der Bombardements gegen den palästinensischen Fernsehsender ging um die Welt. Aber auch in den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Madagaskar, die von der Welt-Öffentlichkeit kaum wahr genommen werden, wurden im Februar Radiostationen in Brand gesteckt. Am 5. April wurde in Nepal der Journalist Demling Lama von 15 bewaffneten Männern verschleppt.

Das alles scheint weit weg zu sein. Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten, und schon gar staatliche Gewalt, kommt in „demokratischen“ Industriestaaten kaum vor. Ein trauriges Kapitel ist hier allerdings die Innere Pressefreiheit. In Kanada wurden Mitte März 2002 Journalisten vom Dienst suspendiert, die offen gegen interne Zensur im Medienkonzern CanWest protestierten. Und in Deutschland? In vielen Zeitungshäusern landen Artikel und Kommentare in den Papierkörben, weil die Texte Verlegern oder Chefredakteuren nicht in die „Linie“ passen. Sich dagegen aufzulehnen, traut sich aus Angst um den Job fast niemand.

Die grenzüberschreitende Medienkonzentration im Zuge von Globalisierung bringt weitere Gefahren. Immer wieder landen bei der EJF und IJF Hilferufe, weil West-Konzerne wie die WAZ oder Ringier im aufgekauften Osten zum Vorteil der Shareholder nach Wildwest-Manier agieren. Die auch von der Bundesregierung unterzeichneten Leitsätze der OECD für Multinationale Unternehmen, denen dies widerspricht, kennt kaum jemand und wagt niemand einzufordern. Demnach müssten die Unternehmen zum Beispiel den Arbeitnehmervertretern „die Unterstützung zuteil werden lassen, die u. U. erforderlich ist, um das Zustandekommen wirksamer Tarifverträge zu fördern“.

Nur vernünftige Tarifverträge aber schaffen hinreichende Existenzbedingungen. Sie sind eine unverzichtbare Voraussetzung für unabhängigen Journalismus. Doch zum Beispiel in den Ländern östlich und südöstlich von Deutschland wird dies von den multinationalen Medienkonzernen verweigert. Dort steht das Prinzip „hire-and-fire“ auf der Tagesordnung, werden oft nur Hungerlöhne gewährt und Honorare angeboten, die jedem Maßstab spotten. Das macht Journalisten und Journalistinnen von anderen Zuwendungen abhängig. Das kann auch uns in Deutschland nicht egal sein: Denn es werden bei Tochterfirmen im Osten Standards geschaffen, die eines Tages im Westen als Vorbild dienen könnten.Unzureichend ist in vielen Ländern die Gesetzgebung. In der Slowakischen Republik versuchen derzeit Politiker ein Mediengesetz durchzusetzen, das einen vom Parlament kontrollierten Medienrat vorsieht und den bestehenden unabhängigen Presserat aushebeln soll. Aber auch von der EU-Bürokratie drohen Gefahren. Der Europäische Ministerrat setzt auf einen Entwurf für Empfehlungen, die Verhaltensrichtlinien von Journalisten und Journalistinnen bei der Gerichtsberichtserstattung festschreiben – heute sind solche Eingriffe in die journalistische Ethik noch auf Gerichtsberichterstattung beschränkt, morgen kann es jedes Gebiet treffen.

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit bleibt das Fazit: Journalistinnen und Journalisten in Deutschland sind zu ihrem Glück kaum an Leib und Leben bedroht, sie befinden sich aber nicht auf einer Insel der Seligen. Sie sollten sich betroffen fühlen. Betroffen von dem, was ihren Kollegen und Kolleginnen anderswo widerfährt, und was deutsche Medienkonzerne jenseits der Grenzen treiben. Vor allem ist es höchste Zeit, wieder über Instrumente nachzudenken, mit denen die Innere Pressefreiheit abgesichert werden kann. Dafür lohnt sich notfalls auch ein „Kreuzzug“.


Wolfgang Mayer,
Wirtschaftredakteur der „Nürnberger Zeitung“,
vertritt die dju im Steering Commitee der EJF
und ist deren „Honorary Treasurer“.

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