„Goldene Kartoffel“ für ältere Herren

NdM-Vorsitzende Ferda Ataman enthüllt die "Goldene Kartoffel" Foto: Thomas Lobenwein

Rund ums Karrieremachen und um „unterirdische Berichterstattung“ im Einwanderungsland Deutschland ging es bei der diesjährigen Bundeskonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) in Köln. Sowohl bei der Podiumsdiskussion mit arrivierten Journalist*innen aus Familien mit Migrationsgeschichte als auch bei der Verleihung des Negativpreises „Goldene Kartoffel“ herrschte eine motivierende Aufbruchstimmung – mit viel Selbstbewusstsein und leichter Ironie.

„Weil eh alle denken, dass wir an der Unterwanderung des Landes arbeiten, sollten wir das auch tun“, leitete NdM-Vorsitzende Ferda Ataman augenzwinkernd die Diskussionsrunde ein, die fragte: Wie können BPoC (Black and People of Colour) in den Medien Karriere machen? Nil Idil Çakmak vom NdM-Vorstand fragte zunächst die WDR-Integrationsbeauftragte Iva Krtalic, wie sie es in die Führungsetage geschafft habe. Als sie in den 1990er Jahren aus Kroatien, wo sie bei einer Tageszeitung arbeitete, nach Deutschland kam, so Krtalic, habe sie kein Wort Deutsch gesprochen: „Funkhaus Europa war damals für Leute wie mich der Raum, wo wir eine Stimme erhielten.“ Göksen Büyükbezci, stellvertretender

Diskussion übers Karrieremachen in den Medien: Moderatorin Nil Idil Çakmak, WDR-Integrationsbeauftragte Iva Krtalic, Podcasterin Minh Thu Tran, Infuencer-Manager Oğuz Yılmaz und Göksen Büyükbezci, stellvertretender ntv-Chefredakteur (v.l.n.r).
Foto: Thomas Lobenwein

Chefredakteur von ntv, das zum „RTL-Bertelsmann-Kosmos“ gehört, schwärmte, es werde dort viel getan, um „junge Leute zu entwickeln“, auch wenn BPoC noch unterrepräsentiert seien.

Minh Thu Tran, freie Journalistin und Podcasterin aus Köln, erzählte, sie stamme aus „einer asiatischen Familie mit Erfolgsdruck“ und habe zielstrebig an ihrer journalistischen Karriere gearbeitet. Mit Digitalformaten gewann sie Preise und bei öffentlich-rechtlichen Sendern gebe es einen großen Bedarf: „Wenn du viele Sachen machst, fällst du irgendwann auch auf!“

Social-Media-Präsenz, Herkunft und Karrierechancen

Tran betonte, wie wichtig es sei, sich in sozialen Medien „als Marke zu präsentieren“. Man brauche eine stringente Online-Präsenz auf Twitter oder Instagram, um auf dem Medienmarkt zu überleben und als „Person und vertrauenswürdige Quelle sichtbar“ zu werden. Beim Selbstmarketing könnten Journalist*innen von Influencer*innen lernen, so Oğuz Yılmaz, Manager der Influencer-Agentur YilmazHummel. Influencer*innen verdienten auf Youtube und Co ihr Geld mit Werbung und wenn sie „ihre Follower auf eine eigene Plattform rüberziehen“ wollen, verlieren sie die meisten. Wie sollten es Journalist*innen da schaffen, auf andere Medien zu verlinken? Beim Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe müsse man das Spiel der Plattformen mitspielen.

Die Social-Media-Präsenz sei wichtig bei Bewerbungen, aber nicht ausschlaggebend, so WDR-Integrationsbeauftragte Krtalic. Doch sie birgt auch Risiken, wie die Debatte um Nemi El-Hassan zeigt, die das WDR-Wissenschaftsmagazins „Quarks“ moderieren sollte – bis Internet-Recherchen enthüllten, dass sie 2014 an dem antisemitischen Al-Quds-Marsch teilgenommen hatte und die Journalistin einen rassistischen Shitstorm erlebte. „Medienhäuser wie BILD recherchieren ganz tief, um etwas zu finden“, meinte Büyükbezci. NdM-Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz gab zu bedenken: „Die scannen ja nicht alle, sondern vor allem BPoC und Frauen!“

Eine journalistische Karriere wird durch Rassismus erschwert. Aber ntv-Vizechefredakteur Büyükbezci macht vor allem seine Herkunft „aus dem Arbeitermilieu als Hindernis“ aus. Es habe lange gedauert, bis er durch „gute Arbeit“ bewusst mit seinem sozialen „Stallgeruch“ umgehen konnte. „Wir haben das Problem sehr wohl auf dem Schirm, aber keine Rezepte, die Vielfalt der sozialen Herkünfte in den Journalismus zu bringen“, bekannte Iva Krtalic. Obwohl für ein WDR-Volontariat kein Uni-Abschluss notwendig ist, gebe es nur wenige Bewerber*innen aus Arbeiterhaushalten. Das habe etwas mit dem Habitus zu tun – mit Selbstbewusstsein und Wissen, so die WDR-Integrationsbeauftragte.

Auf die dominanten sozialen und kulturellen Codes reagierten viele mit Anpassung – mit „going white“. So auch Agentur-Manager Yılmaz, der in Bayern, „einem super white space“ aufwuchs und gelernt habe, sich anzupassen. Als er 2005 mit 14 Jahren seine YouTube-Karriere startete, sei er einer von vier, fünf Kolleg*innen mit türkischer Migrationsgeschichte gewesen. Mittlerweile gebe es mehr „nicht-weiße Influencer*innen, die sich nicht anpassen.“ Aber es sei erfolgreicher, Inhalte für ein weißes Publikum anzubieten – wie etwa Nachhaltigkeit.

Der Anpassungsdruck ist inzwischen weniger stark, aber die Prekarität im Journalist*innenberuf bleibt. Inzwischen hätten 50 Prozent der Volontär*innen beim WDR eine Migrationsbiografie, so Krtalic, die sich Gedanken über den „nächsten Schritt“ macht: “Wie werden diese Menschen fest angestellt, wie werden sie zu Führungskräften und bestimmen stärker den Diskurs?“ Da die Belegschaft nicht ausgetauscht werden könne, gelte es, die Redaktionsleitungen im mittleren Management für Diversität zu sensibilisieren – in Trainings, Fortbildungen oder Führungskräfteschulungen. Das reiche nicht, meinte HR-Journalistin Hadija Haruna-Oelker. Diversität sei kein individuelles, sondern ein Strukturthema und könne nur in einem langen Prozess der Organisationsentwicklung angegangen werden.

Zum Schluss gab es noch Tipps von den Profis für die journalistische Karriere. Der Zeitpunkt sei gut – zumal die Babyboomergeneration in Rente gehe, sagte WDR-Integrationsbeauftragte Iva Krtalic, die alle ermunterte, „authentisch die eigenen Themen und Geschichten zu machen“. „Traut euch, mit euren Ideen auf Leute zuzugehen“ und „Wenn ihr gestalten wollt, macht euch sichtbar“, riet Göksen Büyükbezci von ntv. Auf Netzwerken bauten die anderen beiden: Minh Thu Tran zählt dabei auf die jüngere Generation, Oğuz Yılmaz auf Brücken zwischen den Metiers: „Die Werbewelt ist noch so weiß!“

Bunter Blumenstrauß und „Goldene Kartoffel“

Mit einem bunten Blumenstrauß verabschiedeten die NdM-Vorsitzenden Ferda Ataman und Thembi Wolf ihre Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz, die wieder frei arbeiten will. Vor zehn Jahren übernahm sie den Mailverteiler und baute das lose Netzwerk „zunächst für umme“ in einen professionellen Verein mit Geschäftsstelle um, in der nun über vierzig Menschen arbeiten.

NdM-Vorsitzende Ferda Ataman und Thembi Wolf verabschieden Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz (v.r.n.l.).
Foto: Thomas Lobenwein

Eine der zahlreichen Aktivitäten für „Vielfalt in den Medien“ ist seit 2018 die Verleihung des Negativpreises „Goldene Kartoffel“, mit dem die NdM eine verzerrende Berichterstattung über die Einwanderungsgesellschaft prämieren. Die „Goldene Kartoffel 2021“ ging an „Medien des bürgerlichen Spektrums von der taz bis zur FAZ, von ARD bis ntv, von Deutschlandfunk bis zum gesamten deutschen Privatfunk“, die in ihrer Debatte über „Identitätspolitik“ mit Schlagzeilen wie „Aufstand gegen den alten weißen Mann“ die „Befindlichkeiten weißer Menschen rauf und runter diskutierten“, so Ferda Ataman in ihrer Laudatio. Dabei seien „rechtsradikale Begriffe normalisiert und ihre Thesen salonfähig gemacht“ worden.

Auslöser der „unsachlichen“ und „überzogenen“ Berichterstattung sei ein FAZ-Gastkommentar von Wolfgang Thierse gewesen, der meinte, die „Debatte über Rassismus, Postkolonialismus und Gender“ würde inzwischen „heftiger und aggressiver“. Diese „Identitätspolitik“ dürfe nicht „den Gemeinsinn“ zerstören. Er adressierte damit linke Identitätspolitik, die – im Gegensatz zur neorassistisch-ausgrenzenden rechten Identitätspolitik – für die Anerkennung marginalisierter Gruppen kämpft. In der Folge diskutierten Medien darüber, „ob Gendersternchen das Ende der Freiheit bedeuten und eine identitätspolitische Elite aus mächtigen Minderheiten unsere Gesellschaft spaltet“, resümierte Ataman. Dabei seien rechtsradikale Narrative bedient worden – wie Gender-“Wahnsinn“, wenn es um geschlechtergerechte Sprache geht oder „Spaltung“ der Gesellschaft, wenn BPoC Rechte einforderten. Damit sei die Chance verpasst worden, „darüber zu diskutieren, wie wir zu einer diskriminierungssensiblen Gesellschaft werden“.

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