Haltung zeigen mit fiktionalem Fernsehen

"Mackie Messer Brechts Dreigroschenfilm" produziert von Michael Souvignier undTill Derenbach kam im September 2018 in die Kinos. Screenshot: zeitsprung.de

Seit über 20 Jahren inszeniert der Kölner Film- und Fernsehproduzent Michael Souvignier mit seiner Firma Zeitsprung vor allem gesellschaftskritische Stoffe („Contergan“, „Das Tagebuch der Anne Frank“, „Der Fall Barschel“, „Mackie Messer – Der Dreigroschenfilm“, „Frau Böhm sagt nein“). Zurzeit laufen in Tschechien die Dreharbeiten zu „Oktoberfest“. Der über zehn Millionen Euro teure Sechsteiler wird nächstes Jahr in der ARD laufen. Gutes fiktionales Fernsehen muss Souvignier zufolge immer auch Haltung zeigen.

Bei all Ihren Produktionen legen Sie Wert auf „Relevanz“. Was bedeutet das?

Film- und Fernsehproduzent Michael Souvignier Foto: Zeitsprung

Es gibt ja die unterschiedlichsten Möglichkeiten, TV zu machen. Ich komme vom Journalismus und habe das Glück und die Möglichkeit, mich beruflich mit den Inhalten zu beschäftigen, die mich selbst interessieren. Und das hat eben mit Politik und Gesellschaft zu tun. Und wenn man schon das Medium Film nutzen kann, ist es toll, neben Unterhaltung auch noch etwas Anderes zu transportieren.

Aber in erster Linie wollen auch Sie gute Einschaltquoten erreichen?

Ich möchte natürlich möglichst viele Zuschauer erreichen, sie von der ersten Minute an fesseln. Aber die Emotionalisierung wird zum Vehikel für Informationen und Denkanstöße. Und sie verhilft vielleicht zur Meinungs- und Haltungsbildung. Wie etwa bei „Frau Böhm sagt nein“, „Marco W.“,  „Blutgeld“ über Aidsverseuchte Blutkonserven oder „Der Fall Sebastian K.“, der an die Geschichte von Gustl Mollath angelehnt ist – es sind teilweise unglaubliche Geschichten, die aber leider Realität sind.

Und können Sie damit etwas bewirken?

Das wäre schön. Mit „Contergan“ haben wir wirklich einiges bewegt. Die Betroffenen haben später nicht nur eine angemessene Rente von der Pharmaindustrie erhalten, sondern wir erstritten in unseren Auseinandersetzungen mit dem Hersteller des schädlichen Medikaments, der die Ausstrahlung verhindern wollte, ein Präzedenzurteil für die Kunstfreiheit. In der Rechtsprechung ist es inzwischen maßgeblich.  Man muss aber auch sagen, für Fernsehmacher gäbe es einfachere Projekte als die, die wir in der Regel realisieren.

Weil?

Wir stecken viel Arbeit rein, müssen im Vorfeld eine Menge mit Juristen oder Historikern abklären, uns mit den Sendern abstimmen. Für „Duell der Brüder – Die Geschichte von Adidas“ haben wir im Vorfeld intensive Gespräche mit der Familie geführt. So etwas ist manchmal ein jahrelanger Prozess.

Und es gibt hohe Risiken, weil Menschen oder Unternehmen sich verletzt fühlen könnten. Wir sind beispielsweise verpflichtet, dem Sender gegenüber Rechtssicherheit zu gewährleisten. Normalerweise werden zwar Sender und Produktionsunternehmen zusammen verklagt, aber wenn etwas schiefgeht, hält sich der Sender letztlich an den Produzenten.

Warum beschäftigen Sie sich dann mit diesen schwierigen Themen?

Sicher, ich müsste das Risiko nicht eingehen, könnte ja Entertainmentshows machen oder Serien, die ausschließlich nur auf Unterhaltung ausgelegt sind. Aber ich folge lieber meiner Neigung. Und wenn dann zum Beispiel eine gesellschaftliche Diskussion in Gang kommt, dann ist das eine erfüllende und wunderbare Bestätigung der eigenen Arbeit.

Die fiktionale Dramatisierung als legitime Form, um „reale“ Vorgänge aufzuzeigen oder Wissen über etwas zu vermitteln, kann man auch kritisch sehen!

Wichtige Themen sollten nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen oder im Feuilleton abgehandelt werden. Weil dann ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr erreicht wird. Über fiktionale Dramatisierung wird breites Interesse geweckt, auch dafür, noch mehr zu erfahren. Zu vielen unserer Produktionen haben sich die Zuschauer später auch die Dokumentationen angeschaut, wo alle Fakten geballt vorgestellt wurden. Das kann man in einem Film nicht machen, weil man die Möglichkeit der Fiktionalisierung braucht, einfach um eine Emotionalisierung herzustellen.

Hat das TV-Publikum angesichts der Flut von Negativnachrichten nicht auch ein Recht, einfach nur unterhalten zu werden?

Hat es. Aber man soll die Zuschauer auch nicht immer für dumm und anspruchslos halten. Sie sind nicht so schnell überfordert, wie manche meinen. Wenn die Menschen emotional berührt sind, dann sind sie auch gern bereit, sich mit komplizierten Themen zu beschäftigen. Bei all meinen Geschichten versuche ich, dass am Ende mindestens ein hoffnungsvoller Ausblick steht. Für mich geht es weniger darum, Menschen als Opfer zu zeigen. Das sind sie vielleicht auch, aber mehr noch sind sie Helden, die sich nicht ihrem Schicksal ergeben, sondern für ihre Interessen kämpfen.

Sie drehen gerade „Oktoberfest“ über den Beginn des Volksfestes in seiner modernen Form vor 120 Jahren. Wie verwirklichen Sie hier Ihre Prinzipien?

In „Oktoberfest“ zeigen wir unter anderem Markt- und Machtmechanismen, die genauso auch heute noch funktionieren. Die Serie ist im Grunde ein Beispiel für Turbokapitalismus und wie man sich dem widersetzt. Die Art der Vorgänge, die wir zeigen werden, ist aktueller denn je.

 

 

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