„Basta!“ – mit diesem Wörtchen signalisierte der letzte Bundeskanzler das Ende jeder Diskussionsbereitschaft über seine Politik. Auch über das Ei, das die Hartz-Gesetzgebung zahlreichen Medien- und Kulturschaffenden ins Nest legte: die besonders harte Wirkung der verkürzten Rahmenfrist. Übersetzt: Wer Arbeitslosengeld 1 beziehen will, muss 360 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungstage in den vergangenen zwei – statt zuvor drei – Jahren vorweisen. 360 Tage – dieses Volumen ist für viele Film- und Fernsehschaffende nicht erreichbar.
Das hat unterschiedlichste Gründe: So wird etwa in Wintermonaten wenig produziert. Proben und andere Vor- und Nachbereitungszeiten werden häufig nicht als Beschäftigungszeiten gerechnet. Hinzu kommen Abrechnungstricks: Urlaubstage werden ausgezahlt und gelten somit nicht als sozialversicherungspflichtige Tage, Mehrarbeit wird in Pauschalen versteckt und so weiter …
Um die gröbsten Folgen dieser Rahmenfristverkürzung abzufedern, hat ver.di einen Tarifvertrag mit den Produzentenverbänden abgeschlossen. Dessen Kern: Die überlangen Arbeitszeiten werden in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungstage umgerechnet. Wer also mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet, parkt die Mehrarbeit und anfallende Zuschläge in einem Zeitkonto und ruft sie am Ende der Produktion als sozialversicherungspflichtige Tage ab. So können aus einer vierwöchigen Produktion mit gut zwölf Arbeitsstunden am Tag leicht sieben Wochen Beschäftigung entstehen – wenn auch der Urlaub genommen wird. So haben viele Filmschaffende die Chance, den 360 Tagen deutlich näher zu kommen. Manche erreichen damit bereits den ALG 1-Anspruch in den Beschäftigungspausen.
Hausaufgaben gemacht
ver.di und die Beschäftigten haben also ihre Hausaufgaben gemacht, so weit dies möglich war – wobei der Hinweis darauf, dass auch der Gesetzgeber nachsteuern muss, nie fehlte. Denn der Tarifvertrag allein löst das Problem der Kultur- und Medienschaffenden nicht. Es gibt Branchen wie Privat- oder Projekttheater, für die vergleichbare Verhandlungen nicht in Sicht sind. In anderen Branchen wird die sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsdauer von den Arbeitgebern bewusst limitiert. So praktizieren einige öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten das so genannte Prognose-Verfahren. Um das „Risiko“ zu minimieren, dass sich auf Produktionsdauer Beschäftigte einklagen, werden diese nur wenige Tage im Monat beschäftigt. Die Folge: Sie zahlen zwar Beiträge zur Arbeitslosenversicherung – können aber die erforderlichen Anwartschaftszeiten nie erreichen. Nun ist der Gesetzgeber dran. Und er könnte, wenn er denn wollte. Die neue Regierung hat bereits zaghafte Veränderungen an den unter Rot-Grün zementierten Hartz-Gesetz vorgenommen. Und: Gesetzliche Ausnahmeregelungen für diese Branche gibt es bereits – nachzulesen im Arbeitszeitgesetz. Aber nicht alle Alternativen, die von den entnervten Kolleginnen und Kollegen immer häufiger diskutiert werden, scheinen bei näherem Hinsehen erstrebenswert. Wer etwa darüber nachdenkt, die auf Produktionsdauer Beschäftigten dieser Branche in die Selbstständigkeit zu entlassen, hat nicht nur den dadurch wachsenden Konkurrenzdruck auf die Festangestellten sowie die in der Branche üblichen typischen Merkmale eines Arbeitsverhältnisses aus dem Auge verloren. Er (oder sie) riskiert, dass diese Selbstständigen aus jeder Form der sozialen Sicherung herausfallen.
Nachbesserung notwendig
Also lohnt ein Blick über die Grenzen, um zu prüfen, welche Regeln andere Länder für auf Produktionsdauer beschäftigten Medien- und Kulturschaffenden haben, um sie in der Arbeitslosenversicherung halten zu können. In der Schweiz etwa werden bei jeder Produktion die ersten dreißig Beschäftigungstage sozialversicherungsrechtlich doppelt angerechnet. Klingt erst einmal gut, kann aber der Persilschein für die Arbeitgeber sein, die Beschäftigten auch mit täglichen Doppelschichten zu disponieren. Das Ziel, das hinter dem Film-Tarifvertrag steckt – nämlich die real geleistete Arbeit der Medien- und Kulturschaffenden sichtbar zu machen – wird dadurch ausgehebelt.
Einleuchtender, innerhalb der Logik unserer gesetzlichen Systeme und als Reaktion auf die Hartz-Gesetze auch schlüssiger – und letztlich auch für die Bürokratie leichter handhabbar – wäre die Reduzierung der Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsstunden, wie es die Franzosen für diese Branche praktizieren, bzw. der sich daraus ergebenden Beschäftigungstage, um es in deutsche Gesetzeslage zu übertragen. So gut hat dies in Frankreich funktioniert, dass die Planung, diese Regelung abzuschaffen, im Jahr 2004 wieder zurückgenommen wurde.
„Der Gesetzgeber hat mit den Hartz-Regelungen der Filmbranche enorm geschadet. Wenn er jetzt über eine – zweifelsfrei nötige – Nachbesserung nachdenkt,“ so Olla Höf vom Vorstand des BundesFilmVerbands (BFV) in ver.di, „sollte er eines im Hinterkopf haben: Wir Filmschaffenden arbeiten unter besonderen Bedingungen – nämlich sehr flexibel und mobil. Um ein professionelles Filmschaffen zu erhalten, muss der Gesetzgeber diese Realität unserer Branche berücksichtigen, wenn er den Filmstandort Deutschland dauerhaft erhalten will.“