Hetztirade oder Satire?

Menschenwürde verletzt – zwei Rügen für Grenzüberschreitung

Zwei Publikationen versuchten sich in mehreren Veröffentlichungen mit der satirischen Aufarbeitung des Massakers von Erfurt und scheiterten dabei nach Meinung des Presserats zumindest teilweise.

In einer Artikelserie unter dem Titel „Lehrer, die wir laufen ließen“ berichten diverse Autoren in der „taz“ über ihre Erfahrungen im Umgang mit Lehrern. „Der Eulenspiegel“ greift satirisch die Reaktion der Gesellschaft auf das Erfurter Massaker unter der Überschrift „Robert sieht rot“ auf.


Ziffer 1: «Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.»


Die Beschwerde gegen die „taz“ wird damit begründet, dass die erstellten Lehrerporträts eine üble Ansammlung von Klischees böten, kursierende Vorurteile bestärkten, einen Berufsstand diffamierten und Lehrer – zumindest geistig – zum Abschuss frei gäben. Es werde ein Bild gezeichnet, wonach sämtliche Lehrer von „Unfähigkeit, Blödheit, Arroganz und Inkompetenz geschlagen“ und „Neidhammel, Intriganten, Arschkriecher, Menschenschinder und Sackgesichter“ seien. Lehrer würden ausnahmslos dargestellt als „Quäler mit Fratzen und grässlichen Stimmen“, die ihre Schüler gerne „foltern“. Insgesamt sei die Serie eine einzige Hetztirade.

Harmlose Erinnerungen

Die Chefredaktion der „taz“ teilt mit, dass sie bereits einen Tag nach Abschluss der Serie einen kritischen Leserbrief des Beschwerdeführers veröffentlicht habe. Auch andere kritische Stimmen seien in diesem Zusammenhang zu Wort gekommen. Bekannt sei, dass die Seite „Wahrheit“ auf der die Beiträge erschienen sind, eine ausschließliche Satireseite sei. Auf den Amoklauf in Erfurt zeitnah in satirischer Form zu reagieren, halte man für einen richtigen Schritt. Dieser Schritt sei wohl überlegt gewesen, da das ganze Ausmaß einer Tragödie nicht selten erst richtig bewusst werde, wenn man sie von einer anderen, ungewohnten Seite beleuchte. Der vermeintliche Angriff, wie vom Beschwerdeführer behauptet, richte sich keineswegs allgemein gegen die gesamte Lehrerschaft, sondern nur gegen einzelne Lehrer, welche die Autoren in ihrer Kindheit kennen gelernt hätten. Die vom Beschwerdeführer angeführten Zitate seien schon für sich betrachtet harmlos, bezögen sich aber eindeutig nur auf einzelne Lehrer bzw. Lehrerinnen. Dass zahlreiche Lehrer ihren Beruf qualifiziert ausüben und junge Menschen in freundlichem Umgang erziehen, bezweifle die taz-Serie nicht. Sie mache nicht die Lehrerschaft im Allgemeinen zur Zielscheibe des Spottes, sondern greife gezielt eine überschaubare Anzahl von Negativbeispielen auf und beweise damit, dass Ausnahmen die Regel bestätigten. Abschließend wird die Ansicht geäußert, dass keine Ziffer des Pressekodex ersichtlich sei, gegen welche die Artikel überhaupt dem Grunde nach verstoßen könnten.

Den Beitrag des „Eulenspiegels“ nennt der Beschwerdeführer vor dem Presserat blasphemisch, niederträchtig und menschenverachtend. Der Duden definiere Satire als die ironisch-witzige literarische oder künstlerische Darstellung menschlicher Schwächen und Laster. Damit habe der Beitrag allerdings gar nichts zu tun. Die Presse habe eine Verantwortung gegenüber den sechs minderjährigen Kindern der Erschossenen. Gleichzeitig stellt er die Frage, was wohl die Betroffenen über Worte wie „Die Geschichte vom tapferen kleinen Schulschwänzer“ (Unterzeile des Artikels) denken.

Die Chefredaktion teilt mit, dass die Vorwürfe sehr allgemein gehalten seien und eine subjektive Betroffenheit darstellten. Der Artikel sei aus einer satirischen Sicht geschrieben. Eine menschenverachtende Haltung sei nicht zu erkennen. Man beurteile den Beitrag als zulässige Satire. So sei z. B. gerade die Unterzeile eine ironische Umkehr. Gleichzeitig legt die Chefredaktion die Veröffentlichung von diversen Leserbriefen zu dem Beitrag vor.

In beiden Fällen erklärt der Beschwerdeausschuss die Beschwerden für begründet und spricht gegen die Publikationen je eine öffentliche Rüge aufgrund der Verletzung der Ziffer 1 aus.

Der Ausschuss war der Auffassung, dass die „taz“ mit der Veröffentlichung des Beitrages unter der Überschrift „Schnöff, das Schwein“ gegen den Pressekodex verstoßen hat.

Die „einfachste Möglichkeit“

In dem Beitrag schildert der Autor seine persönliche Erfahrung mit Lehrern während seiner Schulzeit. Die vom Beschwerdeführer kritisierte generelle Diskriminierung von Lehrern konnte der Ausschuss nicht erkennen. Nach Meinung des Beschwerdeausschusses wurde jedoch mit dem Satz am Ende der Veröffentlichung „Unsere Rache wäre schrecklich und süß gewesen, aber an die naheliegendste und einfachste Möglichkeit dachte damals niemand“ die Menschenwürde der Opfer von Erfurt verletzt. Angesichts der Bluttat von Erfurt einen Mord als „naheliegendste und einfachste Möglichkeit“ zu bezeichnen, ist menschenverachtend. Gleiches gilt im Fall „Eulenspiegel“ vor allem für die Formulierung „Sie schaffen mit einer Magazinfüllung, was diverse Bundespräsidenten mit ihren Fensterreden nie auf die Reihe kriegen.“ Menschenverachtend sei es angesichts der Toten davon zu reden, dass mit einer „Magazinfüllung“ dem Gemeinwesen „das gewisse Etwas“ gegeben wurde. Die Grenzen der Satire wurden in beiden Fällen eindeutig überschritten.

Deutscher Presserat
E-Mail: info@presserat.de
www.presserat.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Der Rotstift beim Kinderfernsehen

ARD und ZDF halten es nicht für sinnvoll, wenn die Bundesländer im Reformstaatsvertrag einen fixen Abschalttermin für das lineare Programmangebot des Kinderkanals KiKa festlegen. Die lineare Verbreitung zu beenden, sei „erst dann sachgerecht, wenn die weit überwiegende Nutzung eines Angebots non-linear erfolgt“, erklärten ARD und ZDF gemeinsam auf Nachfrage. „KiKA bleibt gerade für Familien mit kleinen Kindern eine geschätzte Vertrauensmarke, die den Tag linear ritualisiert, strukturiert und medienpädagogisch begleitet.“
mehr »

Journalismus unter KI-Bedingungen

Digitalkonzerne und Künstliche Intelligenz stellen Medienschaffende vor neue Herausforderungen. „KI, Big Tech & Co. – was wird aus dem Journalismus?“ lautete folgerichtig der Titel der 11. Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 16. Oktober in Berlin. Über 80 Wissenschaftler*innen, Rundfunkräte und Journalist*innen informierten sich auch über den aktuellen Stand der Debatte über den neuen Medien“reform“staatsvertrag.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »