Im Dialog mit Wikileaks

Onlineplattform als Synonym für Meinungsfreiheit

Freedom of speech has a number: 88.80.13.160, titelte die Homepage des amerikanischen Fernsehsenders CBS. Die IP-Adresse der Onlineplattform Wikileaks gilt vielen Journalisten als Synonym für Meinungsfreiheit. Das Time Magazin prophezeite gar, Wikileaks könnte zu einem ebenso wichtigen journalistischen Werkzeug werden, wie der Freedom of Information Act. Neben Hoffnungen gibt es aber auch Ängste. Kaum ein Artikel über Wikileaks kommt ohne Bedenken und Warnungen aus. Dabei liegt es vor allem in der Hand der Journalisten selber, was aus dem Projekt wird.

Die Politik von Wikileaks ist ebenso einfach wie radikal: Was an Wikileaks herangetragen wird, wird auch veröffentlicht. Steuert man auf der Wikileaks-Homepage den gesicherten Upload-Bereich an, heißt es dort: „Wir werden das eingereichte Dokument veröffentlichen und im Umlauf halten.“ Welches Dokument man eigentlich einreichen möchte, wählt man erst danach aus. Der Nutzer steht mit seiner Entscheidung, ob die gesellschaftliche Relevanz seiner Informationen das Aufheben von Vertraulichkeiten rechtfertigt, alleine da. „Bis jetzt“, sagt Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt, „haben wir noch kein einziges Dokument zensiert.“
Doch die fehlende Einflussnahme wird von vielen als problematisch angesehen. Steven Aftergood, Chefredakteur des Nachrichtenservices Secrecy News der Federation of American Scientists, lehnte eine Beratertätigkeit für Wikileaks ab. Als Begründung gab er an, dass durch „das Fehlen verantwortlicher redaktioneller Kontrolle“ Veröffentlichungen sehr leicht einen Akt der Aggression oder eine Aufwiegelung zur Gewalt darstellen könnten. Auch der Eingriff in die Privatsphäre und das Verletzen des guten Geschmacks könnten so begünstigt werden.

„Es gibt die verrücktesten Szenarien“, entgegnet Schmitt, „wie Wikileaks missbraucht werden könnte.“ Durch gezielte Falschmeldungen könnten Politiker diskreditiert, persönliche Feinde bloßgestellt und Börsenkurse manipuliert werden. Doch nichts von all dem sei bisher eingetroffen, all das nur hypothetisch. „Wer die kriminelle Energie aufbringt, eine professionelle Fälschung zu erstellen“, so Schmitt, „hat auch vor Wikileaks Möglichkeiten gefunden, diese zu verbreiten.“ Die Informanten seien aber im Allgemeinen viel redlicher, als viele es sich vorstellen.
Trotzdem liegt es nahe anzunehmen, dass anonyme Informanten beim Abwiegen von Persönlichkeitsrechten gegen öffentliches Interesse weniger behutsam vorgehen als haftbare Instanzen. „Aber hier“, sagt Schmitt, „kommt die wichtigste Komponente unseres Instrumentes zum Zuge: die Öffentlichkeit.“ Mehr als 1,2 Million Dokumente sind auf der Homepage von Wikileaks hinterlegt. Es obliege der Öffentlichkeit, die relevanten Dokumente darunter auszuwählen und zu diskutieren. „Dazu gehört natürlich auch ein angemessener Umgang mit privaten Informationen.“ In die Pflicht genommen werden durch dieses Konstrukt vor allem Journalisten. Sie sind es, die die wirklich wichtigen Dokumente aufgreifen, sie auf ihre Authentizität prüfen und in einen angemessenen Kontext stellen müssen, damit die aufbereiteten Informationen dann den Weg in die breite Öffentlichkeit finden können.
IT-Journalist Detlef Borchers hat schon öfter mit Wikileaks zu tun gehabt und weiß zu berichten, dass zu dem optimalen Umgang mit der Plattform mehr gehört, als das regelmäßige Lesen der Neuveröffentlichungen. „Wenn man Wikileaks wirklich effektiv nutzen möchte“, so Borchers, „sollte man versuchen, in einen Dialog mit Wikileaks zu treten.“ Hat ein Journalist etwa ein brisantes Dokument zugespielt bekommen, kann es vorteilhaft für ihn sein, das Dokument zunächst bei Wikileaks zu veröffentlichen. In seiner eigenen Publikation könnte der Journalist dann auf Wikileaks als Quelle verweisen und sich so vor möglichen juristischen Folgen schützen. Vor allem aber arbeitet Wikileaks auch direkt mit Journalisten zusammen. Wer sich etwa für ein bestimmtes Themengebiet interessiert, kann sich an Wikileaks wenden und eventuell darauf hoffen, brisante Informationen zu dem Thema exklusiv angeboten zu bekommen. „Wir geben unseren Quellen das Versprechen, ihre Informationen einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, so Schmitt. Dazu reiche es jedoch oft nicht aus, die Information einfach auf der Homepage zu veröffentlichen. Denn Informationen, die bereits einmal publik gemacht wurden, erscheinen Journalisten oft nicht mehr als exklusiv genug, um sie aufzugreifen. Durch die direkte Anhandgabe könne dieses Hindernis ausgeschaltet werden.
Aber nicht nur bei der praktischen Zusammenarbeit hofft Wikileaks auf das Engagement der Medien. Der Betrieb von Wikileaks kostet jährlich etwa 442.000 Euro. Das meiste wird über Spenden finanziert. „Da die Kosten für 2010 noch nicht gedeckt werden konnten“, sagt Schmitt, „musste Wikileaks zuletzt sogar vom Netz gehen.“ Zudem ist Wikileaks auf ehrenamtlichen Rechtsbeistand angewiesen. Zu den Unterstützern der Betreiber gehörten in den vergangenen Jahren namhafte amerikanische Medienhäuser wie die Los Angeles Times, der Gannett-Konzern oder die Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Von deutschen Verlagen oder Stiftungen seien bislang allerdings noch keine Spenden eingegangen. Dabei profitieren, seitdem der Bekanntheitsgrad von Wikileaks auch in Deutschland zunimmt, gerade die deutschen Medien immer öfter von dieser Dokumentenquelle, so etwa bei der Veröffentlichung der Toll-Collect-Verträge oder des Feldjägerreports während der Kunduzaffäre.


Spurlos bleiben

Wikileaks verfügt über eine der sichersten Technologien, um seine Quellen zu schützen. Wer aber wirklich anonym bleiben will, sollte in Betracht ziehen, dass die Spur der Datenübertragung auch durch die Überwachung des sendenden Computers auf den Informanten zurückgeführt werden kann. Um das zu vermeiden, empfiehlt es sich, brisante Daten nicht vom eigenen PC zu übermitteln oder durch eine Anonymisierungsapplikation wie etwa Vidalia seine IP-Adresse zu verschleiern. Zudem sollte man darauf achten, dass aus dem zu sendenden Dokument alle offenen und versteckten Hinweise auf den Verfasser gelöscht sind. Wikileaks im Netz: www.wikileaks.org

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