In Bezug auf Trump an die eigene Nase fassen

Donald Trump spricht vor dem Weissen Haus mit der Presse. REUTERS/Kevin Lamarque

Wenn die Präsidentschaft von Donald Trump am 20. Januar beendet ist, bleiben für Journalist*innen, Medienunternehmen und Social-Media-Plattformen einige Fragen offen: Warum hat man Trump so lange nicht ernst genug genommen, die Wirkung seiner Anschuldigungen und Lügen unterschätzt und ihn ungestraft Regeln brechen lassen? „Bei Trump müssen wir uns an die eigene Nase fassen“, meinte Dorothea Hahn beim Mediensalon.

Antworten hatten die fünf Beobachter*innen des Weißen Hauses in der von Johannes Altmeyer (The Pioneer) moderierten Online-Veranstaltung „Ende des Stellungskriegs: Hat Trump Medien und Berichterstattung verändert?“ nicht, eher Warnungen für die rund 60 Teilnehmer*innen. Nach dem Sturm von Trump-Anhänger*innen auf das Capitol, zu dem Trump aufgerufen hatte, dem gewalttätigen Eindringen und mehreren Toten am 6. Januar, fragte sich Hahn, warum sie geglaubt hatte, „dass Trump aufgegeben“ habe. Hahn berichtet seit rund zehn Jahren für die taz aus den Vereinigten Staaten. Es habe viele Anzeichen für einen gewaltsamen Protest gegen die „gestohlene Wahl“ gegeben. „Diese Leute haben nie eine Geheimnis aus ihrem Ziel gemacht“, resümierte sie die Äußerungen in den sogenannten sozialen Medien.

Für unwahrscheinlich hat auch Christoph von Marschall ein Ereignis wie die Erstürmung des Capitols gehalten. Marschall berichtet seit Jahren immer wieder für den Tagesspiegel aus den USA. Juristisch werde man Trump für den Capitol-Sturm aber kaum belangen können. Für Marschall lautet die Schlussfolgerung aus den letzten vier Jahren, dass die journalistischen und juristischen Regeln wieder strikter beachtet werden müssen. Zwar habe Trump wie schon Obama die direkte Kommunikation zu seinen Anhängern gesucht, die meisten Menschen hätten seine Tweets allerdings erst durch die Verbreitung in den klassischen Medien erreicht: „Warum haben wir das so mitgemacht?“

Die Korrespondentin für Zeit Online, Rieke Havertz, verwies darauf, dass die Medien ja nicht nur über Trumps Tweets berichtet hätten, aber durch den Quotendruck sei die Aufmerksamkeit der US-Medien insgesamt stark auf Trump konzentriert gewesen. Die prekäre soziale und ökonomische Realität weiter Bevölkerungsschichten werde in vielen US-Medien gar nicht dargestellt, hat Hahn beobachtet. Christoph Bieber, Politikprofessor an der Universität Duisburg-Essen, erklärte, die Medienöffentlichkeit sei in den USA viel stärker polarisiert mit einseitig rechten Sendern wie Fox News oder One America Network: „Das zeigt uns noch einmal, was wir an dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk haben“, hob er hervor.

Constance Chucholowski, in Deutschland lebende US-Amerikanerin und politische Kommunikationsberaterin bei „365 Sherpas“, sah als größtes Problem die Desinformation. Es habe auch bei den „hochwertigen Medien“ lange gedauert, bis sie Trumps Lügen wirklich „Lügen“ nannten. Als Auswirkung gebe es viele Anhänger und Republikaner, „die bei Wahrheiten nicht mitgehen“. Allerdings gebe es auch republikanische Abgeordnete, die diese Lügen übernähmen, weil sie sich „als zugkräftig erwiesen“ hätten.

Adrian Rosenthal, Chef für digitale und soziale Medien bei „MSL Germany“, lebte länger in Texas und erklärte, man könne sich die Folgen der Trump-Propaganda hier gar nicht richtig vorstellen. Er wüsste bei vielen „Trumpisten“ nicht, wie man sie wieder „einfangen“ könne. Außerdem gebe es inzwischen gewählte QAnon-Vertreter im Kongress, „als säße Attila Hildmann im Bundestag“. Gegen QAnon sei die rechte Republikaner-Bewegung der „Tea-Party“ ein „Witz“. Viele Probleme werde es vor allem auf lokaler Ebene geben.

Die Erwartungen vieler, dass Trump von den Regeln des Amtes gezähmt werde, haben sich nicht erfüllt. Bieber unterstrich, dass mit Trump weder ein Politiker noch ein Geschäftsmann ins Amt gewählt wurde, sondern ein Fernsehstar, der sich auch dort „als alleiniger Hauptdarsteller zeigen“ wollte und Berater oder Minister eher „als lästig“ empfunden habe. Die Republikaner hätten sich früher und stärker als Gegengewicht positionieren müssen.

Wie sich die Republikanische Partei in den kommenden Wochen und Jahren verhalte, werde sehr wichtig sein für die Chance des neuen demokratischen Präsidenten Joe Biden, die Gräben in der Gesellschaft zu verkleinern, meinte Havertz. „Bis zu den Midterms müssen sich alle Republikaner entscheiden, zu welchem Lager sie gehören wollen“, sagte Bieber in Anspielung auf die Zwischenwahlen in zwei Jahren, wenn alle Abgeordneten des House of Representatives und ein Drittel der Senatoren zur Wahl stehen. Bei einem anderen Wahlsystem wäre die Republikanische Partei längst auseinandergebrochen, zeigte sich der Politologie überzeugt. Allerdings, so Hahn, habe Trump ja vieles umgesetzt, was die Republikaner und die Evangelikalen wollten: Abbau von Umweltschutz und Arbeitsrecht, Berufung vieler Abtreibungsgegner*innen als Richter*innen, Steuererleichterung für die Reichen.

Dass Twitter Trump den Account gesperrt habe, fanden die Diskussionsteilnehmer*innen richtig, zumindest bis zur Amtseinführung Bidens. Es komme eher viel zu spät. Für Havertz muss die künftige Diskussion um Machtkonzentrationen und darum gehen, ob Twitter und Co nur Tech-Plattformen sind oder verlegerische Verantwortung tragen, was ihnen das Immunitätsgesetz „Section 230“ von Bill Clinton bisher erspart hat. Marschall stellte fest, ein Twitter-Account sei ein privatrechtlicher Vertrag, dessen Regeln Trump über lange Zeit ohne Konsequenzen seitens der Plattform gebrochen habe. Äußerungen und Sperrungen in den Social Media müssten gerichtlich geklärt werden können: „Wenn diese Regeln in einem Rechtsstaat gerichtlich überprüfbar sind, ist es für mich in Ordnung.“

#Mediensalon ist eine Kooperation von Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di, Deutscher Journalistenverband DJV Berlin – JVBB e.V. und #mekolab, unterstützt von Landau Media.

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