Die Fälle, in denen Polizisten bei Demonstrationen und Großveranstaltungen die Berichterstattung verhindern, nehmen zu. Eine Häufung von Einzelfällen? Spätestens seit der massenhafte Akkreditierungsentzug beim Hamburger G20-Gipfel aufgearbeitet wurde, weiß man, dass Geheimdienste und Ermittlungsbehörden systematisch Daten von Journalisten erheben und horten. Angesichts des Staatsverständnisses derer, die bei den Diensten arbeiten, sei das beinahe schon natürlich, erklärte Professor Nils Zurawski bei einer dju-Veranstaltung in Hamburg.
„Journalist_innen im Fokus von Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden“ war das Thema der dritten von drei Podiumsdiskussionen der Reihe „Pressefreiheit in Deutschland“, die die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di in diesem Herbst im FC-St-Pauli-Museum durchführte. Auf dem Podium saßen der Kriminologe Nils Zurawski von der Uni Hamburg und die Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di Cornelia Berger. Tina Fritsche vom ver.di-Landesbezirk Nord moderierte.
Cornelia Berger war im Zuge und im Nachgang des Akkreditierungsentzugs beim G20 mit der Aufklärung des Skandals befasst und sieht das Problem längst nicht als erledigt an: „Die Gerichtsverfahren, in denen die Akkreditierungsverweigerungen jetzt für unrechtmäßig erklärt wurden, zeigen einzelne Verwaltungsfehler auf“, sagte sie. „Die Datensammelwut der Staatsschutzdienste geht aber ungebrochen und unkontrolliert weiter. Welcher Dienst warum welche Daten speichert, ist weder für Betroffene noch für uns als Journalistengewerkschaft transparent nachvollziehbar.“
Immerhin habe die Nachbereitung der G20-Vorfälle zum Ergebnis gehabt, dass es beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung nun einen Akkreditierungsbeauftragten gebe und dass dieser Sicherheitsbedenken des BKA auch kritisch hinterfrage, sagte Berger. Aber es gebe auch Fälle, in denen Journalist_innen, die problemlos eine Akkreditierung bei der Bundespressekonferenz erhielten, die Akkreditierung für öffentliche Gelöbnisse versagt wurde.
Nils Zurawski wunderte das nicht: „Staatsschützer haben meistens ein sehr eng gefasstes Bild davon, welchen Staat sie eigentlich schützen, und das hat mit dem Staatsbild des Grundgesetzes meistens wenig zu tun“, erklärte der Soziologe die Psyche der Geheimdienstler. „Für sie ist der Staat ein hierarchisches Gefüge, von dem sie ein Teil sind. Wer dieses Gefüge hinterfragt, ist schon verdächtig, Staatsfeind zu sein. Feindbilder sind da schnell erstellt und Schlagworte wie Gentrifizierung oder soziale Gerechtigkeit lösen dann schon Verdachtsmomente aus.“
Und ein Verdachtsmoment reiche bereits aus, einen Journalisten zum Sicherheitsrisiko zu erklären: „Es wird ja nie definiert, welche Sicherheit bedroht ist“, so Zurawski. „Sicherheit ist ja auch nichts Objektives, sondern etwas Emotionales. Deshalb ist das Stichwort Sicherheitsrisiko ein Totschlagargument! Dazu kommt, dass Geheimdienste auch ständig ihre Existenz rechtfertigen müssen. Dafür suchen sie nach der metaphorischen Stecknadel im Heuhaufen, allerdings ohne zu wissen, wie eine Stecknadel eigentlich aussieht. So wird so mancher Halm kurzerhand zur Nadel erklärt.“
„Offensichtlich haben wir es zunehmend mit einem Staat zu tun, der die Träger der grundgesetzlich garantierten Pressefreiheit an der Arbeit hindert. Das setzt sich mittlerweile bis in die untersten Ränge der Einsatzkräfte fort. Bei rechtsextremen Veranstaltungen hat man manchmal das Gefühl, dass sich die Polizei zum Erfüllungsgehilfen der Veranstalter macht“, analysiert dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Berger die Entwicklung vor allem der letzten Monate.
Polizisten würden zwischen Bürgern und Störern unterscheiden und Störer sei man schnell, so Zurawski: „Die Einsatzkräfte befinden sich ja selbst in hierarchischen Strukturen. Deshalb kommen viele innerlich mit Rechten auch besser zurecht als mit Linken, denn Rechte sind ebenfalls Hierarchie-orientiert. Was für jemanden mit einem klar strukturierten Weltbild aber furchtbar ist, ist Ambivalenz. Journalisten sind die Verkörperung der Ambivalenz und deshalb verdächtig!“
Tina Fritsche wollte wissen, ob es Ausbildungsdefizite bei der Polizei gebe, was die Pressefreiheit angeht. Auf diversen Ebenen der dju wird derzeit diskutiert, die Polizei in dieser Hinsicht zu unterstützen. „Die Polizeiausbildung ist schon sehr gut“, erwiderte Nils Zurawski, „die Probleme beginnen, wenn die Jungpolizisten auf die Wachen und in die Einsatzzüge kommen. Dort werden sie massiv mit dem engen Weltbild der Kollegen konfrontiert und darin einbezogen. Der Weg muss vielmehr sein, ständig im Dialog mit der Polizei zu bleiben, um das starre Weltbild der Staatsschützer nachhaltig aufzuweichen.“