Keine Journalistenschüler mehr nach Hammelburg

Berufsgenossenschaft und Bundeswehr streichen Präventionslehrgang

2013 sollen keine Auszubildende mehr am Seminar „Schutz und Verhalten in Krisenregionen“ teilnehmen können. Bisher wurden angehende Journalisten am Bundeswehrstandort Hammelburg in Realsituationen geschult. Nun fehlt es an freien Terminen. Die dju- Hochschulgruppe Hannover und der dju-Landesvorstand Niedersachsen-Bremen suchen gemeinsam mit den Veranstaltern nach Lösungen.

Als die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) Mitte September auf Nachfrage bekannt gab, dass sie das Seminar „Schutz und Verhalten in Krisengebieten“ für Volontäre und Studierende streicht, stieß das bei der dju-Hochschulgruppe Hannover auf Unverständnis. Denn der dju-Hochschul- und Ausbildungsbeauftragte des Landesbezirks Niedersachsen-Bremen, Sami Atwa, hatte das Seminar gerade erst zufällig bei einer Recherche über Berufsgenossenschaften entdeckt und eine Teilnahme organisiert. Der dju-Landesbezirk Niedersachsen-Bremen förderte die Teilnahme mit Fahrtkostenzuschüssen.
So reisten dreizehn Studierende des Studiengangs Fotojournalismus der hannoverschen Hochschule für Medien, Information und Design im Mai zum Vereinte Nationen-Ausbildungszentrum der Bundeswehr nach Hammelburg. Auf dem Übungsgelände werden in Gebäuden und Geländeformationen verschiedene Gefahrensituationen simuliert. So wurde eine Sprengstoffattrappe versteckt, um zu testen, ob sich die Teilnehmer an den Theorieteil vom Vormittag erinnerten. „Uns wurde gesagt, wir sollten uns grundsätzlich immer genau umschauen, bevor wir uns in eine Situation begeben. Das tun wir seitdem. Lernerfolg gleich 100 Prozent“, erinnert sich Jung-Fotografin Janina Rahn an die sich kontinuierlich steigernden Rollenspiele, wie zum Beispiel später auch eine Bombenexplosion. „Ich erfuhr am eigenen Leib, wie es sich anfühlen kann, wenn man in ein Krisengebiet fährt. So würde ich nicht mehr blauäugig in eine solche Situation hineingehen. Gleichzeitig hab ich auch einiges über mich als Person erfahren und wie man in Stressmomenten reagiert“, so beschreibt Teilnehmerin Patricia Kühfuss ihre Eindrücke. Irritiert waren die Teilnehmer jedoch, dass in diesem Jahr das vorher fünftägige Seminar erstmals auf drei Tage verkürzt wurde. „Wir fühlten uns nach den drei Tagen ausreichend vorbereitet und hätten die fehlenden Inhalte gut aufnehmen können“, fasst Fotografin Rahn die Stimmung zusammen. Die Übungen zur Geiselnahme und eine Situation unter Beschuss sind im regulären Seminar für die letzten zwei Tage vorgesehen.

Ausbildung in Hammelburg foto: Jonas Wresch
Ausbildung in Hammelburg
Foto: Jonas Wresch

Seit 2004 schulte die Bundeswehr in Zusammenarbeit mit der BG ETEM als Veranstalter mehr als 700 Journalisten. Werdende Journalisten konnten seit 2008 im gleichen Seminar sicherheitsbewusstes Verhalten in Gefahrensituationen lernen. Die Berufsgenossenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung hat satzungsgemäß unter anderem die Aufgabe, mit allen geeigneten Mitteln für die Verhütung von Arbeitsunfällen zu sorgen. Für Sami Atwa ist dies gerade für Nachwuchsjournalisten wichtig. „Studierende müssen heute oft wesentlich früher in ihrem Abschlussberuf arbeiten. Besonders betroffen davon sind Fotojournalisten, die schon während des Studiums weltweite Reisen unternehmen, um aus Krisen- und Kriegsgebieten zu berichten.“ Auch könne sich ein bisher unbedenkliches Land innerhalb kurzer Zeit in ein Krisengebiet verwandeln. „Während des Seminars werden die Teilnehmer oft das erste Mal mit der Gefahr von Verletzung, Tod, mit Geräuschkulissen und entsprechenden Stresssituationen konfrontiert.“ Es müsse verhindert werden, dass angehende Journalisten einen Auftrag annehmen und aufgrund mangelnder Vorbereitung scheitern, betont Atwa. Das Argument einer militärähnlichen Ausbildung lehnt er ab. Es gehe ausschließlich um verantwortungsbewusstes Schutzverhalten.
Aktuell laufen Gespräche zwischen dem dju-Landesvorstand und den Veranstaltern, um eine Teilnahme für junge Journalisten so praxisnah wie möglich zu gestalten. Die bei der Bundeswehr verantwortliche Mitarbeiterin erklärte, dass angestrebt werde, „im Rahmen der Kapazitäten so viele fertig ausgebildete Journalisten wie möglich an der Ausbildung in Hammelburg teilnehmen zu lassen.“ Da die Nachfrage aber sehr stark angestiegen sei, gäbe es in 2013 keinen Lehrgang speziell für Volontäre. „Dies bedeutet aber nicht, dass zukünftig keine Lehrgänge mehr für Volontäre durchgeführt werden“, so die Mitarbeiterin weiter. Sie habe auch Verständnis für die besondere Situation junger Fotojournalisten. Deshalb solle die Planung für 2014 auch wieder unter den Aspekten der Bedürfnisse von Volontären und Auszubildenden erfolgen.


Links:

www.bgetem.de/presse-aktuelles/versicherungsschutz-fuer-journalisten
www.bmvg.de (Presse, Seminare für Journalisten)
http://dju.verdi.de/junge-journalisten/hochschulgruppe

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Journalismus unter KI-Bedingungen

Digitalkonzerne und Künstliche Intelligenz stellen Medienschaffende vor neue Herausforderungen. „KI, Big Tech & Co. – was wird aus dem Journalismus?“ lautete folgerichtig der Titel der 11. Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 16. Oktober in Berlin. Über 80 Wissenschaftler*innen, Rundfunkräte und Journalist*innen informierten sich auch über den aktuellen Stand der Debatte über den neuen Medien“reform“staatsvertrag.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Traditionelle Medien zu wenig divers

Vielfalt in traditionellen Medien ist gefährdet - durch Chefetagen, die überdurchschnittlich mit weißen Männern besetzt sind. Dazu kommt eine zunehmend stärker werdende Berufsflucht. Daneben entsteht ein „peripherer Journalismus“ – entweder mit einem hohem Anspruch an Diversität oder andererseits sehr eingeschränkter Vielfalt. Das Meinungsspektrum verschiebt sich von „migrantischen zu ultrakonservativen Stimmen“. Schlaglichter auf die kritisch-konstruktive Tagung „Diversität und Geschlecht im Journalismus“.
mehr »