Tauwetter
Von Mareike Aden, Moskau | Die 29 Jahre alte PR-Managerin Jekatarina schaltet neuerdings wieder jeden Abend das russische Staatsfernsehen an – dabei hatte sie die Staatspropaganda dort eigentlich längst satt. Doch nun flimmert dort eine neue TV-Serie über den Bildschirm. Diese zeigt den Alltag einer imaginären Moskauer Schulklasse. Da wird vor der Kamera gepöbelt, geschimpft und gefummelt – und das zur besten Sendezeit. Normalerweise gab es dort um diese Zeit die neuesten Erfolgsmeldungen von Übervater Putin und Präsident Medwedew zu sehen. Prompt gab es dann auch vom älteren Publikum entrüstete Anrufe beim Sender, Parlamentsabgeordnete fordern die Absetzung der Serie. Lehrer fühlen sich verletzt.
Eines hat die neue Serie schon jetzt erreicht – sie hat eine Diskussion von Politikern und Bildungsexperten ausgelöst. Und viele fragen sich, warum das staatstreue Staatsfernsehen den Auftrag zu dieser Serie in verwackelter Handkamera-Technik bei einer jungen 25jährigen Regisseurin in Auftrag gab. Medienexperten glauben den Grund zu kennen: Der „Erste Kanal“, der in den letzten Jahren wegen seiner allzu offensichtlichen Staatspropaganda vor allem junge Zuschauer eingebüßt hat, will das junge Publikum zurück gewinnen. Denn 2012 stehen erneut Präsidentschaftswahlen an und das Fernsehen ist in Russland nach wie vor das wichtigste Instrument der Meinungsmache.
„Schkola“ heißt die neue Serie, mit der das gelingen soll. Und es ist nicht das einzige Projekt, mit dem der Staatssender Öffnung vortäuschen will: In der neuen politischen Comedy-Sendung „Multlitschnosti“ treten seit langem Cartoon-Puppen von russischen Stars und ausländischen Politikern auf. Doch seit Jahresende sind plötzlich auch Puppen von Putin und Medwedew dabei. Die PR-Managerin fühlt sich schon an die politische Puppenshow „Kukli“ des Senders NTW erinnert, die lange gegen Putin ätzte und dann abgesetzt wurde. Allerdings gäbe es zu dieser einen großen Unterschied, sagen TV-Kritiker: Anders als üblich in solchen Shows werden im russischen Fernsehen die russischen Politiker nach wie vor mit Samthandschuhen angefasst. Das Drehbuch für das vermeintliche Tauwetter im russischen Staatsfernsehen, da sind sich viele sicher, wurde im Kreml geschrieben.
Fragwürdig
Von Günter Herkel | „Die Presse“, heißt es in Ziffer8 der publizistischen Grundsätze des deutschen Presserates, „achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen.“ Es folgt die Einschränkung: „Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden.“ Wie dehnbar und interpretationsfähig solche Grundsätze sind, lässt sich in der so genannten „Bunte“-Affäre wunderbar an der Güterabwägung von Bunte-Chefin Patricia Riekel ablesen. Die Lebensgefährtin von Helmut Markwort (Focus) differenziert feinsinnig zwischen berichterstattungsrelevanter Privatsphäre und schützenswerter Intimsphäre. Ein allzu durchsichtiges Manöver, um das fragwürdige Herumstochern im Privatleben von Politikern aller Couleur zu rechtfertigen. Und um abzulenken von den noch fragwürdigeren Methoden, derer sich die Berliner Fotoagentur CMK im Auftrag der Bunten bedient hat. „Bei der Beschaffung von personenbezogenen Daten, Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden“ lautet eine weitere im Pressekodex verankerte goldene Regel. Der vom paparazzigeschädigten SPD-Politiker Franz Müntefering angerufene Presserat wird in Kürze entscheiden müssen, ob Bewegungsmelder, heimliche Filmaufnahmen und andere verdeckte Ermittlungsmethoden von CMK damit in Einklang standen.
Auf den Einwand des Burda-Verlags, bei der Stern-Attacke handle es lediglich um den Versuch eines Wettbewerbers, „durch lautes Blöken vom journalistischen Niedergang des Stern abzulenken“, reagierte die „Stern“-Chefredaktion in der taz recht beleidigt. Die Bunte konkurriere mit People-Magazinen wie Gala oder InToach, der Stern dagegen mit Focus und Spiegel – auch mit solchen Enthüllungsgeschichten. Was die Sache nicht besser macht. Auch der Stern war in der Vergangenheit Kunde von CMK, hatte keine Skrupel, ein Bild der Agentur von Seehofers unehelicher Tochter und deren Mutter abzudrucken. Oder schauen wir auf den ekelerregenden Beitrag des Stern zum Internationalen Frauentag: Auf dem Cover das Bild eines Pin-up-Girls, ein Stethoskop über den baren Brüsten – nach Ansicht der Stern-Macher offenbar die angemessene Illustration eines „schwierigen Themas“: Vorsorgeuntersuchungen und Früherkennungsdiagnostik.