Korrektiv zum Althergebrachten

Stiftungen kümmern sich um journalistische Recherche- und Bildungsarbeit

„Die Zukunft des (investigativen) Journalismus” war die Medienversammlung 2014 überschrieben, die von der Medienkommission der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen (LfM) zusammen mit der „Initiative Qualität im Journalismus IQ”, zu der auch die dju gehört, und dem Recherche-Förderprojekt „Investigate!” am 1. Juli in Düsseldorf veranstaltet wurde.

Ulli Tückmantel mit Moderator Frank Überall und Lutz Feierabend (v.l.n.r.) Foto: FOX / Uwe Völkner
Ulli Tückmantel mit
Moderator Frank Überall und
Lutz Feierabend (v.l.n.r.)
Foto: FOX / Uwe Völkner

David Schraven, bis vor wenigen Wochen noch leitender Rechercheredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), nutzte die Tagung zur Vorstellung des jüngsten investigativen Start-Ups, der gemeinnützigen Rechercheredaktion „Correct!v”. Die Zukunft seines investigativen Journalismus sieht Schraven in einer freien Redaktion, die von Stiftungsgeldern und Leserspenden finanziert wird. „Correct!v” will „Recherchen für die Gesellschaft” umsetzen und ein Bildungsprogramm anbieten, dass die Bürger informations- und transparenzmündiger machen soll. Finanziert wird die Redaktion in Essen zunächst drei Jahre mit je einer Million Euro von der Brost-Stiftung einer der beiden früheren Besitzerfamilien des Verlagskonzerns WAZ. Aus diesem ist inzwischen die Funke Mediengruppe geworden, im Besitz der zweiten Gründerfamilie um Petra Grotkamp. Mit dem Stiftungsgeld, einst im Verlag erwirtschaft, sollen jetzt arbeitsaufwändige Geschichten erzählt werden, die sich Medien heute nicht mehr leisten. In Kooperationen sollen sie an Verlage, Blogs sowie Radio und Fernsehen weitergereicht werden – kostenlos.
Um noch eine Stiftung ging es in der Auftaktdiskussion. Nach dem neuen Landesmediengesetz für Nordrhein-Westfalen, das kurz nach der Medienversammlung am 3. Juli vom Landtag beschlossen wurde, soll sie „die Vielfalt und Qualität von Journalismus im lokalen und regionalen Raum fördern”, erklärte der Vorsitzende der LfM-Medienkommission Werner Schwaderlapp. Die LfM wird die Federführung übernehmen. Wie das aussehen könnte ohne die Konkurrenzprobleme zu provozieren, um die es schon aufgeregte Diskussionen gab, soll eine Konferenz im Herbst genauer definieren. Auf jeden Fall, so Schwaderlapp, müsse sie „staatsfern, wettbewerbsneutral, gemeinnützig” sein.
Über den „Journalismus unter digitalen Vorzeichen” haben Volker Lilienthal (Universität Hamburg) und Stephan Weichert (Makromediea Hochschule Hamburg) im vergangenen Jahr im Auftrag der LfM ausführlich geforscht. Erste Ergebnisse stellten sie vor, die gesamte Ausarbeitung soll im Herbst veröffentlicht werden. Als ein Resümee erscheint darin eine gewachsene Einsicht der Redaktionen, sich dem Leser digital mehr öffnen und das Feedback als wichtigen Teil der Arbeit werten zu müssen. Die Umsetzung sei vielerorts aber noch wenig professionell und werde den vielfältigen Möglichkeiten des Internets zu wenig gerecht.
Mangelnde Bindung zu den Lesern und Geringschätzung der Lokalredaktionen beklagte Alexander Völkel, früher Redaktionsleiter bei der inzwischen ohne eigene Redaktion auskommenden Westfälischen Rundschau als Grund für die nachhaltige Leserenttäuschung im Ruhrgebiet. Das Gegenteil ist das Ziel der „Nordstadtblogger” von ehemaligen Mitarbeitern der Westfälischen Rundschau. Der Lokalblog, den die „Nordstadtblogger” derzeit ehrenamtlich gestalten, soll nun zur Existenzgrundlage für die Macher ausgebaut werden, während die Redakteure noch von der Abfindungs-Lohnfortzahlung profitieren. Denn: „Lokale Inhalte sind es, die zu monetarisieren sind”, sagte Völkel. Mit ihm diskutierten Lutz Feierabend vom Kölner Stadtanzeiger, der gespannt ist auf die Akzeptanz der frisch eingeführten Bezahlschranke, und Ulli Tückmantel, der gerade die halbe Redaktion der Westdeutschen Zeitung abbaut.
Quer durch die Veranstaltung und besonders lebhaft in der Abschlussrunde zog sich die Diskussion, was denn eigentlich Journalismus qualitativ hochwertig mache. Tiefe? Schnelligkeit? „Ausgeruhtere Artikel” (Christian Fahrenbach von den derzeit omnipräsenten „Krautreportern”)? Ethische Fundierung? Der gesellschaftliche Auftrag? Oder die Ausrichtung an den Wünschen der Leser, wie es der Düsseldorfer Professor Gerhard Vowe energisch befürwortete, denn „Millionen Bildzeitungsleser müssen auch eingebunden werden”, und es der frühere Stern-Chefredakteur und Sprecher von „Investigate!” Klaus Liedtke ebenso heftig beklagte wegen der Tendenz der Medien „sich am unteren Massengeschmack zu orientieren”.„Journalismus ist nicht nur Wirtschaftsgut, sondern auch Kulturgut”, unterstrich Marlies Prinzing von der Makromedia Hochschule Köln, und Ulrike Kaiser von der Initiative Qualität forderte: „Aus und Weiterbildung ist das Thema der Zukunft. Bei Verlagen ist es zu untergeordnet, deshalb ist auch das eine Aufgabe für die neue Stiftung.”

 

https://www.correctiv.org/
http://nordstadtblogger.de
www.lfm-nrw.de/
www.initiative-qualitaet.de
www.investigate-ev.net

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Presserat spricht  17 Rügen aus

Der Deutsche Presserat hat wegen Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht und den Opferschutz auf seiner Märzsitzung 17 Rügen ausgesprochen. Acht Rügen betrafen allein „Bild“ und bild.de. Insgesamt wurden 160 Beschwerden behandelt, 65 Beschwerden erachtete das Gremium der freiwilligen Selbstkontrolle der Presse als unbegründet. Es sprach zudem 32 Missbilligungen und 30 Hinweise aus.
mehr »

Habets lädt ein zum gemeinsamen Streamen

ProSiebenSat.1-Vorstandschef Bert Habets schlägt den Aufbau einer gemeinsamen Streaming-Plattform öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter vor. Es gehe nicht um einen Wettbewerb der beiden Systeme, sondern um den gemeinsamen Wettbewerb „gegen die Flut der Desinformation“, sagte Habets auf einem Symposium der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) am 22. März in Berlin. ARD-Vorsitzender Kai Gniffke signalisierte Gesprächsbereitschaft.
mehr »

DW vor Stellenabbau – ver.di protestiert

Mit Empörung reagiert die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) auf die am Abend des 17. März in einer Online-Betriebsversammlung verkündeten Entlassungen bei der Deutschen Welle: Bis zu 300 vorwiegend freie Mitarbeitende sollen demnach noch dieses Jahr ihren Job verlieren. Begründung: Die Intendanz befürchte eine Verschlechterung der Finanzsituation für das Jahr 2024.
mehr »

Dreyeckland geht gegen Durchsuchung vor

Gemeinsam mit Radio Dreyeckland (RDL) hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) heute eine Beschwerdebegründung beim Landgericht Karlsruhe gegen die im Januar erfolgten Durchsuchungen und die Beschlagnahmung von Laptops eingereicht. RDL hatte in einem Artikel die Archivseite der verbotenen Internetplattform linksunten.indymedia verlinkt. M berichtete darüber. Den Link wertete die Staatsschutzabteilung der Karlsruher Staatsanwaltschaft als strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung.
mehr »