Im März 2016 hatte die Leitung des Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) angekündigt, ein Medienkompetenzzentrum am Standort Erfurt zu installieren. Unsere Nachfrage, was ein Jahr danach aus dem Projekt zum Wandel in der Medienwelt geworden ist, kam fast zeitgleich mit dem Auftritt von „Medien 360G“. Die Redaktion nimmt alle Ausspielwege und unterschiedliche Zielgruppen in den Blick.
Am 7. März 2016 hatte der MDR-Rundfunkrat das Vorhaben, am Standort des Landesfunkhauses Thüringen in Erfurt ein Medienkompetenzzentrum aufzubauen, öffentlich begrüßt. Vorsitzender Steffen Flath kündigte an: „In Erfurt werden vielfältige Inhalte für alle Ausspielwege und für alle Zielgruppen entstehen.“ Die Zuschauer, Hörer und Nutzer müssten zu einem bewussten Umgang mit Medien ermutigt und befähigt werden, so seinerzeit MDR-Intendantin Karola Wille: „Die Redaktion soll das Thema, wie mit neuen Medien umzugehen ist, für Internet, Fernsehen und Radio aufbereiten.“ Als Zielsetzung wurde u.a. definiert, Anzahl und Vielfalt von Medienkompetenzthemen in allen MDR-Angeboten spürbar zu steigern. Denn, so die Annahme, wer wisse, nach welchen Kriterien und unter welchen Umständen Nachrichten und Berichte zustande kommen, verfüge auch über ein gefestigtes Qualitätsurteil. Schwerpunkte des neuen Angebotes sollten die kritische und selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Wandel der Medienwelt, Chancen und Risiken beim Umgang mit klassischen und neuen Medien sowie Trends und Hintergründe zu neuen Medienformen und –angeboten sein. Auch ein regelmäßiges Medienkompetenz-Magazin im MDR Fernsehen und Hörfunk gehörte zum Plan.
Vernetzung und Kompetenztransfair
Nun, ein knappes Jahr später, sind die Zielsetzungen geblieben, die Umsetzung wurde jedoch an die (Medien-)Realität angepasst. Dafür sorgen Boris Lochthofen, seit 1. Februar 2016 Direktor des MDR-Landesfunkhauses Thüringen, sowie Projektleiterin Annett Stiebritz-Stepputat. Der 42jährige Lochthofen hatte sich schon während seiner Tätigkeit für den Privatfunk einen Namen als multimedialer Denker und Kenner technischer Innovationen gemacht. Unter seiner Federführung läuft nun das Medienkompetenzprojekt, das den frischen Namen Medien360G bekam. Stiebritz-Stepputat, auch leitende Redakteurin des MDR-Filmmagazins unicato, hat den Projekthut auf. Eine kleine Redaktion aus zwei festen und sechs freien Mitarbeiter_innen trägt nun zusammen, was im großen Medienuniversum für die MDR-Zielgruppen relevant sein könnte. Dies soll jedoch keine Einbahnstraße sein: „Wir wollen einerseits versammeln und vernetzen, was es an Angeboten schon gibt. Andererseits werden wir aber auch anderen Redaktionen zuarbeiten, unsere Kompetenz in laufende Projekte einfließen lassen“, erklärt Boris Lochthofen. Erstes gutes Beispiel für die MDR-interne Zusammenarbeit war der Thementag von MDR Aktuell zu Fake News, der am 7. Februar mit guter Resonanz lief.
Zukünftig soll die Vernetzung weit über den MDR-Tellerrand reichen: „Wir werden Kontakte aufbauen zu den Landesmedienanstalten und weiteren Institutionen, die Medienkompetenz vermitteln.“ Dabei gehe es nicht in erster Linie um die Finanzierung neuer Angebote, sondern die publizistische Abbildung solcher Themen: „Hier können wir die Reichweite des MDR nutzen, um bestehende Medienkompetenz-Angebote einem breiteren Publikum bekannt und nutzbar zu machen“, so Lochthofen.
Viele Facetten unter einer Klammer
Seit Anfang Februar ist die Medien360G-Seite scharf geschaltet. Hier versammeln sich in einem übersichtlichen Rundum-Blick die verschiedensten Medienangebote, die im weitesten Sinn mit Medienkompetenz zu tun haben. Ein erster Schritt. Alleinstellungsmerkmal des neuen Angebots könnten die verschiedenen Facetten von Medienberichterstattung unter einer virtuellen Klammer sein.
Das in einem frühen Projektstadium angedachte „Magazin für Fernsehen und Hörfunk“ entspringe noch dem alten Denkmodell der linearen Aussendung nach dem Motto: „Einmal im Monat 30 Minuten Sendung und dann sind die wichtigsten Themen abgearbeitet.“ Aus Lochthofens Sicht sind die Aufgaben der Redaktion andere: „Wir wollen lineare Sendungen für die Zukunft natürlich nicht ausschließen. Zunächst sind uns aber eher das Internet und die Zusammenarbeit mit den Redaktionen des MDR wichtig. Die Vermittlung von Medienkompetenz ist einer unserer Aufträge aus dem Rundfunkstaatsvertrag und gehört in die tägliche Redaktionsarbeit. Deshalb wollen wir das Thema in vielen Angeboten mitdenken.“ Der Etat der 360G-Redaktion entspreche momentan noch dem für eine halbstündige Sendung einmal monatlich. „Wir müssen sehen, wie weit wir damit kommen und im Herbst gegebenenfalls nachsteuern“, gibt sich Lochthofen pragmatisch.
Kooperation mit der Wissenschaft
Aber was will das MDR-Publikum überhaupt? Wo sind Defizite in der Medienkompetenz spürbar? „Das wollen wir herausfinden, indem wir beim Netzangebot experimentieren und Interaktionsangebote machen“, sagt der Landesfunkhausdirektor, fügt aber sofort hinzu: „Darauf aber wollen und können wir unsere journalistische Arbeit aber nicht aufbauen.“ Deshalb setze man derzeit Partnerschaften u.a. mit der Uni Leipzig, TU Ilmenau, TH und FH Erfurt. Die Wissenschaftler sollen Themen evaluieren und Probleme identifizieren. „Wir brauchen die Kopplung von Wissenschaft und Journalismus. Denn Medienkompetenz hat viele Facetten. Es spielen ethische, journalistische, rechtliche und technische Aspekte ebenso eine Rolle wie die Frage von Nutzungskompetenzen“, sagt Lochthofen. Ein 360-Grad-Blick ist da angebracht.