Medienfrauen wollen sich mehr einmischen

42. Herbsttreffen der Medienfrauen: Die "Saure Gurke" wird künftig nicht mehr verliehen. Auf einen Nachfolger des Negativpreises darf man gespannt sein. Foto: hr/Carolin Schwarz

Am ersten November-Wochenende trafen sich 300 Frauen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zum 42. Herbsttreffen der Medienfrauen beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main. Dieses Jahr sorgten neben den Vorträgen, Podiumsrunden und 27 Workshops zum Thema „Frauen und Geld“ vor allem der Negativpreis „Saure Gurke“, der nun Geschichte ist, und das Programm einer Kabarettistin für Gesprächsstoff.

In ihrer Keynote „Von der Pharaonin zum Heimchen am Herd” ging Helma Sick auf eine Zeitreise durch die Jahrtausende. Geld bedeute Einfluss und Macht: „Das große Geld für Handel war jedoch stets die Domäne der Männer”, sagte Sick, die seit 30 Jahren Finanzberaterin für Frauen und Kolumnistin der „Brigitte“ ist. Sie führte zurück ins alte Ägypten, als die Frauen noch Pharaonin werden konnten. Dies sei jedoch die große Ausnahme gewesen. „Die Geschichte der Frau ist geprägt von Unterdrückung!” Erst im Mittelalter sei es besser geworden, als durch Pest und Kriege ein Männer-Defizit vorherrschte, so dass Frauen wieder verschiedene Berufe ergreifen konnten und nicht nur auf Haus und Familie reduziert wurden. Die Hexenverbrennungen im 16. und 17. Jahrhundert bereiteten dem wieder ein Ende. Das habe sich erst mit den Frauenbewegungen im 19. Jahrhundert und dem Frauenwahlrecht in der Weimarer Republik geändert, erklärte Sick. Die Nazizeit in Deutschland stoppte das frische Erblühen wieder und schickte die Frau zurück zum Herd und kreierte das Bild der “aufopfernden Mutter und Ehefrau”.

Allzu schnell vergessen wir heute, dass die gesetzlich verankerte Gleichberechtigung und unsere Errungenschaften erst wenige Jahrzehnte alt sind. Helma Sick erinnert uns daran, dass verheiratete Frauen in der Bundesrepublik erst ab 1962 ein eigenes Bankkonto eröffnen durften und bis 1977 das Einverständnis ihres Ehemannes brauchten, um arbeiten gehen zu können.

Helma Sick warnt: „Nichts was erkämpft wurde, ist sicher, auch 2019 wird alles wieder in Frage gestellt“.  Die AfD mit einem rückwärtig gewanden und konservativen Frauenbild erhalte immer mehr Einfluss in unserem Alltag. Sick fordert dazu auf, sich „einzumischen und mitzumischen“!

Frauen sollten öfter mehr Geld verlangen

In der Podiumsdiskussion „Frauen und Geld“, moderiert von der ARD-Finanzjournalistin Anja Kohl, gingen die sieben Expertinnen der Frage nach, warum Frauen in Deutschland laut OECD-Studie europaweit am wenigsten zum Familieneinkommen beitragen? Viele Frauen arbeiten in Teilzeit, weil zu wenige Kinderbetreuungsstellen in Deutschland vorhanden sind. Im skandinavischen Modell gibt es eine Kinderbetreuung bis 16:00 Uhr.

Einigkeit gab es darüber, dass die Erziehungs- und Pflegeberufe dringend aufgewertet werden müssen. Auch ein „Ja“ zur Quote ist zu hören, denn nur wo es verbindliche Vorgaben gibt, steigt auch der Frauen-Anteil.

Simone Menne, Aufsichtsrätin in verschiedenen Unternehmen, ermutigt Frauen mehr Geld bei den Gehaltsverhandlungen zu verlangen. Auch berichtet sie von Frauen, die sich Führungspositionen teilen. Alina Hernandez-Bark, Sozialpsychologin, ergänzt, dass „viel zu wenige Frauen sich für Führungspositionen bewerben“! Helma Sick plädiert für die Eigenverantwortung der Frau bei Finanzthemen. Oft würden die Frauen die Finanzplanung und Altersvorsorge den Männern überlassen.

Künftig keine „Saure Gurke“ mehr

Die Saure Gurke gehört nach 39 Jahren der Geschichte an. Sie war die „scharfe Zunge als Negativpreis im Kampf gegen Frauenfeindlichkeit in den Medien.“ So die offizielle Twittermeldung der #Medienfrauen19. Man darf gespannt sein, wie die angekündigte Nachfolge aussehen wird.

Der Auftritt der Kabarettistin Christine Prayon, die durch die „heute-show“ bekannt ist, sorgte für Diskussion und Kontroversen mit ihrer Satire-Show. Die Jury des Dieter-Hildebrandt-Preises 2019 beschreibt, dass sie ihre Figuren „radikal und bis zur Schmerzgrenze ausspielt.“ Sie schone keinen mit ihrer Satire, und rege kritisch zum Nachdenken an.

Zum Thema: „Individuum & System. Perspektiven eines Privilegierten.“, referierte Robert Franken, UN-Botschafter HeForShe Deutschland und Experte für digitale Transformation. „Ich bin männlich, cis, hetero, weiß, 46, und nichts Besonderes“ und gehöre der Gruppe Menschen an, für die die Systeme konzipiert wurden. Das sei ein enormes Privileg. Und das Bewusstsein von Privilegien sei ein entscheidender Schlüssel zur Veränderung.

Männer als Norm der Gesellschaft

Zu spüren sei dies auch bei der Auswahl der Führungskräfte. Es werde auf bestehende Selektionspfade zurückgegriffen, die für Männer entwickelt wurden, und so werde immer wieder der gleiche Typus ausgewählt, womit sich die Homogenität im Topmanagement reproduziere. Von den Frauen werde verlangt, sich diesem Typus anzupassen.

Dem gegenüber stehen ein Gender Pay Gap von 21 Prozent und ein Child Penalty, das Gender Pay Gap der Mütter nach ihrem ersten Kind, von 61 Prozent in Deutschland. Laut OECD gibt es in keinem anderen europäischen Land so viele Frauen in Teilzeit wie bei uns. Die Folgen sind bekannt. Gleichzeitig leisten Frauen in Deutschland täglich 52 Prozent mehr unbezahlte Tätigkeit für andere als Männer: Mit der Erziehung von Kindern, mit der Pflege von Angehörigen, mit Ehrenämtern und Hausarbeit. Angesichts dessen bedeute jeder Versuch, mehr Frauen in Vollzeit und Führungspositionen zu bringen, Frauen noch stärker zu belasten, wenn am System nichts geändert werde.

Bezahlte und unbezahlte Tätigkeit gerecht verteilen

Robert Franken erwähnt in diesem Zusammenhang Frigga Haug, Soziologin und Philosophin, deren Modell vorsieht, die 16 Stunden tägliche Wach-Zeit in vier Tätigkeitsbereiche zu teilen, die gleichwertig sind. Jeder Mensch ist demnach täglich 4 Stunden erwerbstätig, 4 Stunden reproduktionstätig, 4 Stunden für sich selbst und 4 Stunden für die Gesellschaft aktiv. Das heißt, die Erwerbstätigkeit der Männer und Frauen wird zugunsten der anderen gleichgestellten Bereiche auf 4 Stunden täglich reduziert.

Die alten, „männlichen“ Normen, so zeigt der Vortrag von Robert Franken, sind überholt und nicht geeignet, die Probleme der Gesellschaft bewältigen zu können. Die Lösung liegt bei den Privilegierten. Das heißt, die Männer müssen ihre Gestaltungsmacht nutzen, hin zur „konsequenten Gleichberechtigung von Frauen und Männern“.

Am Ende des Tages ging der Staffelstab an den SWR. Dr. Susanne Werling nahm diesen mit „großer Nachdenklichkeit“ entgegen. Das 43. Herbsttreffen der Medienfrauen wird vom 13. bis 15. November 2020 beim SWR in Mainz stattfinden.

Berlinda Kestler und Miriam Otto gehören zu den , ver.di-Frauen im ZDF, Mainz

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