Verfassungsgericht verlangt neuen Prozeß über Redaktionsdurchsuchungen in Bremen
Die polizeiliche Durchsuchung von Redaktionsräumen kann nachträglich gerichtlich überprüft werden. Dies entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht auf Beschwerde mehrerer Bremer Medien. Das dortige Landgericht hatte nach einer beispiellosen Polizeiaktion die Klagen der Medien als „unzulässig“ eingestuft, muß den Fall nun aber neu aufrollen.
Im August vor zwei Jahren bekamen gleich fünf Bremer Redaktionen ungebetenen Besuch: Die Staatsanwaltschaft durchsuchte den „Weser-Kurier“, die „Bremer Nachrichten“, den „Weser-Report“, die Bremer „taz“ sowie „Buten & Binnen“, das TV-Regionalmagazin von Radio Bremen, „M“ 10/96, 11/96, 12/96, Hände weg … II. Außerdem wurden die Privatwohnungen dreier Journalisten beehrt. Der Grund: Die Staatsanwälte suchten ein geheimes Papier des Landesrechnungshofes, in dem einem wichtigen Mitarbeiter von Regierungschef Henning Scherf Haushaltsverstöße vorgeworfen wurden. Nachdem mehrere Medien genüßlich aus diesem Papier zitierten, stellte der Präsident des Rechnungshofes Strafanzeige wegen „Verletzung des Dienstgeheimnisses“. Mit der Durchsuchungsaktion wollte die Polizei nun herausfinden, über welche Kanäle das Geheimpapier an die Journalisten gelangt war.
Doch die Aktion war ein doppelter Mißerfolg. So wurde zum einen in den Redaktionen nichts Verwertbares gefunden. Zum anderen wurde die Bremer Regierung nun mit Protesten aus der ganzen Republik überschüttet. „Der Schutz der Obrigkeit ist den Justizbehörden offensichtlich wichtiger als der Schutz der Pressefreiheit“, erklärte etwa Hermann Meyn (DJV). Die IG Medien sah in der Aktion einen Beleg dafür, „daß staatliche Willkür gegenüber Rundfunk und Presse in Deutschland gefährlich zunehmen“. Die nahezu flächendeckende Durchsuchung von Presse und Rundfunk eines Landes, das hatte es in der Bundesrepublik zuvor noch nicht gegeben. Henning Scherf beeilte sich zu erklären, daß er von der Aktion nichts gewußt habe – obwohl er gleichzeitig als Justizsenator auch für die Staatsanwaltschaft verantwortlich war.
Der Versuch der Bremer Medien, die Aktion vor Gericht überprüfen zu lassen, scheiterte jedoch schon im Ansatz. Das Landgericht Bremen ließ zwar durchblicken, daß es die Durchsuchung als nicht verhältnismäßig betrachte, wies die Klage aber dennoch als „unzulässig“ zurück. Der Grund: Die Aktion sei bereits beendet, beschlagnahmte Papiere inzwischen zurückgegeben. Diese harte Linie des Landgerichts entsprach der damaligen Rechtsprechung aller Gerichte – einschließlich des Bundesverfassungsgerichts.
Seitdem hat sich der Wind allerdings gedreht. In mehreren Beschlüssen hat Karlsruhe im letzten Jahr festgestellt, daß auch gegen erledigte Polizeimaßnahmen die Gerichte angerufen werden können. Die Anordnung der Maßnahmen durch einen Richter biete zu wenig Schutz, denn dieser sei dabei fast ausschließlich auf Angaben der (zu kontrollierenden) Polizei angewiesen. Die jüngste Entscheidung liegt ganz auf dieser Linie, kommt also nicht überraschend. Ausdrückliche Vorgaben für das Bremer Landgericht enthält der Karlsruher Beschluß nicht. Es ist allerdings damit zu rechnen, daß das Landgericht, nun die Bremer Durchsuchungsaktion als „rechtswidrig“ rügen wird. (Az.: 1 BvR 1935/95)