Mut und Einsatz für die Pressefreiheit

Journalisten in Wassilkiw in der Region Kiew nach einem Raketenangriff russischer Invasoren am 1. März 2022. Das Gebäude des Wassilkiw-Berufskollegs wurde nahezu zerstört. Foto: ukrinform/imago

Der Krieg in der Ukraine, in dessen Verlauf bereits mehrere Journalist*innen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet wurden und staatliche Zensur, die in Russland und Weißrussland unabhängige Berichterstattung nahezu unmöglich macht, unterstreichen die Bedeutung dieses Berufes. Dass Journalismus so gefährlich ist, offenbart letztlich, wie wichtig der Kampf um die Wahrheit mit Kamera, Laptop und Stift im Jahr 2022 bleibt.

Auch wenn aufgrund des Ukraine-Krieges die Gewalt gegen Journalist*innen in Europa in den Mittelpunkt rückt, darf dies nicht den Blick auf die Schwierigkeiten und Gefahren verstellen, mit denen Journalist*innen in anderen Teilen der Welt zu kämpfen haben. So verfestigten sich in vielen Ländern repressive Tendenzen, die Zahl inhaftierter Journalist*innen nahm weiter zu und politische Machtwechsel veränderten die Ausgangslage für freien Journalismus.

Aktion der dju in ver.di in Berlin zum Tag der Pressefreiheit zum Gedenken an Journalisten, die im Ukraine-Krieg ums Leben gekommen sind.
Foto: Christian von Polentz

Yevheniy Sakun, Viktor Dedov, Brent Renaud, Pierre Zakrzewski, Oleksandra Kuvshynova, Oxana Baulina, Maks Levin, Mantas Kvedaravicius – zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2022 erinnert die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di mit einer Solidaritätsaktion in Berlin an acht in der Ukraine während ihrer Arbeit getötete Medienschaffende und ihre Geschichten. Sie stehen nur für einen Teil der Journalist*innen, die bisher im blutigen Ukraine-Krieg ums Leben gekommen sind, zuletzt vermeldete die UNESCO den Tod der Journalisten Roman Nezhyborets und Zoreslav Zamoysky.

„Es ist bestürzend, dass wir im Jahr 2022 den Tod von Menschen beklagen müssen, die mit unerschütterlichem Mut und Einsatz das unglaubliche Geschehen eines Kriegs mitten in Europa für die Weltöffentlichkeit sichtbar machen und dokumentieren wollten“, bringt Tina Groll, Bundesvorsitzende der dju in ver.di, ihre Betroffenheit zum Ausdruck und betont in einer dju-Stellungnahme die Bedeutung von Pressefreiheit als Voraussetzung für Demokratie. „Wir erneuern auch unsere Forderung an die Bundesregierung, schnelle und unkomplizierte Aufnahmeverfahren sowie die Erteilung einer Arbeitserlaubnis für aus Russland flüchtende Medienschaffende zu ermöglichen.“ Zusammen mit einer Reihe von Partnerorganisationen hat die dju ein mehrsprachiges Job-Portal für Kolleg*innen aus dem Medienbereich geschaffen, die sich aufgrund des Krieges zur Flucht aus der Ukraine bzw. aufgrund von Zensur und Kriminalisierung zur Flucht aus Russland entscheiden mussten. Zudem unterstützt ver.di den von Reporter ohne Grenzen (RSF), Rudolf Augstein Stiftung und Schöpflin-Stiftung gegründete JX Fund für Medienschaffende aus Russland, Weißrussland und der Ukraine, die aus dem Exil ihre Arbeit weiterführen.

Klima der Straffreiheit bei Angriffen auf Medienschaffende

„Stoppt den Krieg. Glaubt nicht der Propaganda, Ihr werdet hier belogen.“ Das selbstbeschriftete Plakat, das Marina Owsjannikowa, Redakteurin des Ersten Kanals des russischen Staatsfernsehens am 14. März 2022 während der Hauptnachrichten in die Kamera hielt, ging um die Welt. Während sie sich nach mehrtägiger Haft und hoher Geldstrafe wieder in Freiheit befindet, berichtet sie in Beiträgen für die Zeitung „Welt“ von ihrer Angst, Ziel von Angriffen zu werden. „Ein Klima der Straffreiheit bei Angriffen auf Medienschaffende“ macht die RSF in Russland aus. So sei der Friedensnobelpreisträger und Nowaja Gaseta-Redakteur Dmitri Muratow Anfang April 2022 im Zug von Moskau nach Samara Opfer eines Angriffs mit Aceton geworden. Die Polizeibehörden reagierten darauf mit Untätigkeit.

Seit die Duma am 4. März ein Fake News-Gesetz verabschiedet hat, droht jeder Berichterstatter*in über den Ukraine-Krieg, die von der Regierungslinie abweicht, bis zu 15 Jahre Haft. Diese repressiven Maßnahmen hatten die Schließung der letzten verbliebenen kritischen Medien wie etwa „Echo Moskwa“, „Nowaja Gaseta“ oder der Streaming-Dienst „TV Doschd“ zur Folge. Sie sahen sich ebenso wie ausländische Sender gezwungen, ihre Arbeit in Russland einzustellen, um ihre Mitarbeitenden zu schützen. Bereits vor der russischen Invasion in der Ukraine rangierte Russland auf Platz 150 von 180 im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen, die dem russischen Regime zunehmende Repressionen gegen unabhängige Medien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie vorwarfen. Nun setzte ein regelrechter Exodus russischer Medienschaffender aus ihrem Heimatland ein: Anfang März meldete das russische Portal „Agentstwo“ die Ausreise von rund 150 Medienschaffenden. Es dürften inzwischen noch mehr geworden sein. Während russische Medienschaffende ihre Arbeit im Exil fortsetzen – etwa von Lettland, Georgien oder der Türkei aus – erhöhen die russische Behörden laut RSF nun auch den Druck auf die lokale Presse, wie gegen die westsibirische Lokalzeitung „Listock“, deren Redaktion Geldstrafen und Haft drohen, weil sie die russische Invasion in die Ukraine als „Krieg“ bezeichnet hatten.

Viele Journalist*innen hinter Gittern

Im Weißrussland unter Lukaschenko zeigt sich seit Niederschlagung der Proteste gegen die umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2020 ein ähnliches Bild: laut der Belarusian Assocation of Journalists (BAJ) wurden dort mehr als 130 Medienschaffende in Haft genommen und 80 Journalist*innen wurde Gewalt zugefügt. Von mehr als 60 Journalist*innen, gegen die Strafen verhängt wurden, befinden sich aktuell 26 hinter Gittern. Ende März begann der Gerichtsprozess gegen Roman Protassewitsch, dem bekannten oppositionellen Blogger, der im vergangenen Jahr in einem Ryanair-Flieger verhaftet wurde, nach dem dieser auf der Route von Athen nach Vilnius zur Zwischenlandung in Weißrussland gezwungen wurde. Laut Redaktionsnetzwerk drohen dem 26-Jährigen bis zu zwölf Jahre Haft.

Archivbild: Fotograf in Köln 2011 am Rande einer Demo
Foto: dpa/Oliver Berg

Seit der Einstufung zahlreicher Medien als „extremistisch“, laufen nicht nur Journalist*innen in Weißrussland Gefahr strafrechtlich verfolgt zu werden, sondern auch Personen, die Inhalte in den sozialen Medien Teilen oder mit „Gefällt mir“ markieren. Für ihren Einsatz für Pressefreiheit wird die BAJ zum Tag der Pressefreiheit mit dem „UNESCO Guillermo Cano“ ausgezeichnet. „Die Anerkennung der Arbeit der BAJ durch die UNSECO ist eine Provokation für Herrn Lukaschenko, der die Zerschlagung unserer Mitgliedsorganisation anordnete”, sagte Ricardo Gutiérrez, Generalsekretär der European Federation of Journalists (EFJ), der auch die dju in ver.di angehört. „Die BAJ setzt ihre Arbeit im Exil fort. Wir lassen uns durch die Repressionen der weißrussischen Autoritäten nicht beeindrucken.“

In ihrem aktuellen Jahresbericht „Defending Press Freedom in Times of Tension and Conflict“, den die EFJ gemeinsam mit Partnerorganisationen am 27. April in Brüssel präsentierte, mahnt sie eine Zunahme von Angriffen auf die Pressefreiheit auf dem gesamten Kontinent an. So seien in 2021 sechs Journalist*innen in Europa während der Arbeit getötet und 282 Angriffe auf die Pressefreiheit dokumentiert worden – im Vergleich zu 200 im Vorjahr. Die meisten Fälle sind für Polen, Russland, Slovenien und Großbritannien dokumentiert. Der Bericht unterstreicht dabei, dass es nicht nur um Zahlen gehe: „Die Art und Schwere der Verletzungen der Pressefreiheit sollte ein Weckruf für alle sein, die sich um den Zustand der Demokratie in Europa sorgen.“ Als besorgniserregend werde dabei die Zunahme von geschlechtsspezifischer Gewalt im Internet gesehen, für welche die Social Media-Plattformen mit angepassten Standards Verantwortung übernehmen sollten.

Sicherheit für Medienschaffende in der Europäischen Union forderten auch die Teilnehmenden der Konferenz „Media Freedom Rapid Response“, die im März 2022 stattfand. Der italienische Journalist und Autor der dokumentarischen Studie „Gomorrha“, Roberto Saviano, wies dabei auf das Risiko für Journalist*innen hin, die den Mut aufbringen, über Organisierte Kriminalität zu berichten und erinnerte an die Ermordung des niederländischen Reporters Peter de Vries im Juli 2021 in Amsterdam: „Wir dachten, so etwas passiert nur in Mexiko oder in Russland.“

Journalist*innen und ein Fotograf platzieren Bilder des Reporters Candido Rios am Gebäude des Innenministeriums in Mexiko-Stadt. Rios wurde während einer Demonstration in Veracruz getötet. (24. August 2017)
Foto: Reuters/Henry Romero

Bereits acht Journalistenmorde in Mexiko seit Jahresbeginn

Tatsächlich muss Mexiko weiter als mahnendes Beispiel gelten. Im März berichtete die Deutsche Welle vom bereits achten Journalistenmord seit Jahresbeginn. Sieben Morde waren es im gesamten vergangenen Jahr. Damit gehört Mexiko seit langen zu den gefährlichsten Ländern für Journalist*innen weltweit. Seit 2000 starben mindestens 138 Medienschaffende eines gewaltsamen Todes, während die Verbrechen in den meisten Fällen straflos blieben. Eine ähnliche verheerende Bilanz weist Honduras auf: Mit mehr als 90 Morden in den letzten 20 Jahren ist das lateinamerikanische Land insbesondere nach dem Militärputsch von 2009 zu einem extrem gefährlichen Ort für Journalist*innen geworden. Hoffnung schöpften Anfang des Jahres Medienorganisationen wie PEN Honduras anlässlich der Wahl von Xiomara Castro zur neuen Präsidentin, von der ein Schutzprogramm für Medienschaffende erwartet wird.

Dramatisch verschlechtert hat sich hingegen die Lage für Medienschaffende in Afghanistan, seitdem die Taliban im August letzten Jahres die Macht im Land zurückerobert haben. Ende 2021 konstatierte eine Untersuchung von RSF in Zusammenarbeit mit der Afghan Independent Journalists Association (AIJA), mit dem Verschwinden von rund der Hälfte aller Medien das absehbare Ende des Medienpluralismus in Afghanistan. Unter den mehr als 6400 Medienschaffende, die ihren Job verloren haben, seien vor allem Frauen: 84 Prozent aller Journalistinnen haben seit der Machtübernahme ihren Arbeitsplatz verloren. Frauen fehlten nun weitgehend im Journalismus.

Mit sechs getöteten Medienschaffenden in 2021 folgte Afghanistan als zweitgefährlichstes Land für Berichterstatter*innen direkt auf Mexiko in der letzten Jahresbilanz der RSF, deren Fazit lautete: Mehr Journalisten in Haft denn je. Hieran haben vor allem China und Myanmar großen Anteil. Während sich nach dem Militärputsch in Myanmar 53 Medienschaffende hinter Gittern befinden, sind es in China geschätzte 127 – so viele wie in keinem anderen Land dieser Welt. Vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking im Februar 2022 kritisierte der Foreign Correspondent Club of China, Interessensorganisation von Auslandskorrespondent*innen in der Volksrepublik, die weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen auch für ausländische Journalist*innen im Land: In einer Befragung ihrer Mitglieder bezeugten diese die Behinderung ihrer Arbeit durch Polizeibehörden, die Einschüchterung von Kontaktpersonen und Überwachung.

Angesichts der Bedrohungslagen für Medienschaffende weltweit, angesichts der Morde und unterschiedlichen Formen der Unterdrückung von Pressefreiheit, darf dennoch nicht aus dem Blick geraten, vor welchen Herausforderungen Journalist*innen hierzulande stehen. So erreichten im vergangenen Jahr die Übergriffe auf Pressevertreter*innen insbesondere am Rande von Anti-Corona-Demonstrationen ein völlig neues Ausmaß. Laut der Studie „Feindbild Journalist“ des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig (ECPMF) sind „Gewalt und Lügenpresse-Vorwürfe“ mittlerweile zu „einer gefährlichen Normalität im journalistischen Arbeitsalltag“ geworden.

Am Rande der Kundgebungen von AfD und Pegida in Chemnitz am 1. Spetember 2018 flüchtet ein Fotograf nachdem er von Demonstranten attackiert worden ist. Foto: Michael Trammer

Die dju in ver.di sieht Journalist*innen in Deutschland darüber hinaus unter zunehmendem Druck. So komme es immer häufiger zu sogenannten SLAPPs – gezielten Klagen von Unternehmen gegen kritische Berichterstattung. Aber auch von staatlicher Seite werde die Pressefreiheit infrage gestellt – wie im Fall des laufenden Verfahrens gegen den Journalisten Michael Trammer, der zum Zweck der Berichterstattung ein besetztes Gebäude im Eigentum der Immobilien Freistaat Bayern betreten hatte, weshalb diese den Journalisten wegen Hausfriedensbruch verklagt. Der Prozess soll am 5. Mai in München stattfinden.

Wie also kann der Einsatz für Pressefreiheit und Demokratie in der Zukunft neue Wirkungsmacht erzielen? Die Formen der Solidarität zwischen Medienschaffenden, ob auf der Flucht, im Exil, oder vor Gericht machen Hoffnung, dass Journalist*innen trotz unterschiedlicher Erfahrungshintergründe ihr gemeinsames, länderübergreifendes Interesse nicht aus den Augen verlieren: weiterhin kritisch berichten.


M – Der Medienpodcast im Gespräch mit der freien Jornalistin Verena Hölzl, die aus der Ukraine berichtete

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Mehr Informationen


Zur Rangliste für die Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF)

Das Fotobuch von Reporter ohne Grenzen 2022

Das Fotobuch zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2022
Foto: Marcus Yam/Los Angeles Times/Getty Images

Insgesamt 20 Fotografinnen und Fotografen sowie Autorinnen und Autoren haben Reporter ohne Grenzen ihre Arbeiten für diese 28. Ausgabe des Fotobuchs zur Verfügung gestellt. Reporter ohne Grenzen finanziert sich neben Spenden und Mitgliedsbeiträgen auch durch den Verkauf des Fotobuchs. Der Erlös fließt vollständig in die Pressearbeit und Nothilfe, sowie Anwaltskosten und medizinische Hilfe für verfolgte Journalistinnen und Journalisten.

 

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