Welche Rolle spielen lokale Medien in Ostdeutschland? Wie werden ihre Inhalte genutzt und welche Fördermodelle gibt es? Spielt auch der Einsatz von KI schon eine Rolle im Lokalen? Nur einige von vielen Fragen, die auf dem ersten Lokaljournalismus-Kongress unter der Regie der fünf ostdeutschen Landesmedienanstalten am 6. September in der Landesvertretung Brandenburg erörtert wurden. Die Veranstaltung begreift sich als Weiterentwicklung des periodisch stattfindenden Lokal-TV-Kongresses.
Was ist die Erfolgsformel für gute Berichterstattung im Lokalen? Attraktiver Lokaljournalismus verlange „Mut zum Neuen, aber auch zum Scheitern“, erklärt Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Berliner „Tagesspiegel“. Seit 29. November 2022 erscheint das Blatt im Tabloid-Format und rundumerneuertem Design. Überaus erfolgreich ist der 2014 gegründete tägliche digitale Newsletter „Checkpoint“. Es gelte das Prinzip „Bloß nicht langweilen“, findet Maroldt. Will sagen: Das A und O bestehe in der Verarbeitung von Nachrichten in seriöser, aber unterhaltsamer Form. Auch helfe es, gegenüber den lokalen Autoritäten „ein bisschen gemein“ zu sein, selbstredend auf ironische Weise. Ganz wichtig sei der Einsatz von Sprache, dem zentralen beruflichen Werkzeug von Journalist*innen. Der leidige Behördensprech müsse so übersetzt werden, bis ihn auch der letzte Leser, die letzte Leserin verstanden habe. Das sei zwar „wahnsinnig mühsam“ zahle sich aber in wachsender Anerkennung beim Publikum aus. Das überraschende Fazit Maroldts: „Die Zukunft des Lokaljournalismus liegt (nicht nur) in seiner Vergangenheit.“ Denn die von ihm genannten Rezepte gehörten seit jeher zu den auch künftig gültigen journalistischen Primärtugenden.
Kristian Kuhnow, stellvertretender Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), dort Leiter des Bereichs Förderung und Beteiligungen, präsentierte Ergebnisse aus der „Mediengewichtungsstudie“ der Landesmedienanstalten. Darin geht es um die Frage, welche Relevanz die einzelnen Medien für die lokale Meinungsbildung haben. Knapp zusammengefasst: „Die im Westen lesen mehr lokal, die im Osten hören und sehen dafür mehr. Und alle lieben das Internet.“ Bei der Frage nach der subjektiv empfundenen Relevanz der Medien für die Information über das lokale Geschehen liege – wenig überraschend – das Internet ganz vorn, gefolgt von Tageszeitungen, Radio und – noch vor dem Fernsehen – die Anzeigenblätter. Ähnlich verhält es sich mit den Marktanteilen im Reichweitenmarkt.
Mediengewohnheiten ändern sich
Daten über die „Mediennutzung und politische Kultur in Mecklenburg-Vorpommern“ präsentierte Bert Lingnau, Direktor der Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern, in der Direktorenkonferenz der DLM verantwortlich für den Bereich „lokale Medienvielfalt“. Basis der Untersuchung des Leibniz-Instituts für Medienforschung (Hans-Bredow-Institut) in Hamburg waren Interviews mit 1050 repräsentativ ausgewählten Personen im März dieses Jahres zu ihren Mediengewohnheiten. Ausgangshypothese war eine mutmaßliche Nachrichtenmüdigkeit infolge der Pandemiejahre. Wichtigste Ergebnisse laut Lingnau: Die Menschen in MV sind interessiert am Geschehen in ihrem Bundesland und darüber hinaus. Meistgenutzte Informationsmedien sind TV und Radio, klassisch linear. Ein Großteil der Leute halte die Demokratie für das geeignete System in Deutschland, aber nur wenige seien mit der Leistung der Politik zufrieden. Menschen, die glauben, ihr Tun habe Einfluss auf die Gestaltung ihrer unmittelbaren Umwelt, seien deutlich zufriedener als diejenigen, die sich machtlos und übergangen fühlen. Schlussfolgerung der Studie: Die politische Einbeziehung der Bürger*innen sei die Voraussetzung dafür, sie für Demokratie und Gesellschaft (zurück) zu gewinnen.
Wie sieht die Zukunft des Journalismus im Lokalen aus? Antonia Eichenauer, Chefredakteurin Content Marketing, hat sechs Lokaljournalist*innen für eine Studie über ihre „Vorstellungen eines idealen Lokaljournalismus im Jahr 2041 befragt. Eichenauers „systematische Metaphernanalyse“ der dabei gewonnenen Geschichten („Metaphern haben ein transformatives Potential“) ließ den größten Teil des Auditoriums offenbar einigermaßen ratlos zurück. Das umso mehr, als die Debatte über Künstliche Intelligenz in ihren 2021 eingesammelten Geschichten noch keine Rolle spielte.
Wie lässt sich Lokaljournalismus am besten fördern?
Für Melanie Kühnemann-Grunow, medienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, verfügt Berlin-Brandenburg mit der Landesmedienanstalt MABB über die geeignete Förderinstitution. Um das angeschlagene Vertrauen der Bürger*innen in den Staat nicht weiter zu beschädigen, sei aber bei der Förderpolitik auf die verfassungsrechtlich gebotene Staatsferne zu achten. Erforderlich sei jedoch eine bessere materielle Ausstattung der MABB, die diese Mittel verteile. In Brandenburg werde bereits eine Million Euro für lokale TV-Sender zur Verfügung gestellt. Kühnemann-Grunow, seit Anfang des Jahres auch im Auftrag des ver.di- Landesbezirks im RBB-Rundfunkrat präsent: „Ich glaube, wir werden auch in Berlin den Einstieg wagen müssen.“
Mehr Vielfalt im Fernsehen
Im Freistaat Thüringen existiert schon seit 2021 der Aktionsplan „Lokale Vielfalt – Demokratie in Thüringen stärken“. Ein Bündnis aus Medienanstalt, Staatskanzlei und regionalen Medienakteuren habe eine entsprechende Strategie entwickelt. Ziel sei es, den lokalen TV-Veranstaltern zu helfen, die Vielfalt der bisherigen Berichterstattung zu steigern, die Attraktivität der Programme und Online-Angebote zu erhöhen und so auch mittelfristig zusätzliche Finanzierungsquellen zu erschließen, erläuterte Jochen Fasco, Direktor der Landesmedienanstalt Thüringen.
Für MABB-Direktorin Eva Flecken fällt die bisherige Bilanz des ebenfalls 2021 gestarteten Förderprogramms für lokaljournalistische Inhalte positiv aus. Die geförderten Angebote zeichneten sich nicht nur durch beeindruckende inhaltliche Vielfalt, sondern auch durch eine gewollte regionale Streuung aus. Sie beklagte, dass die Fördermittel – selbstredend aus Gründen der Staatsferne – alljährlich neu bei den Ländern beantragt werden müssten. Als Chefin der Zwei-Länder-Anstalt lege sie großen Wert auch auf einen gerechten Ost-West-Ausgleich. „Genau das wollen wir im Bereich der Nachwuchsförderung ganz gezielt angehen, um ostdeutsche Stimmen in einen bundesweiten medialen Diskurs reinzubringen“, konstatierte Flecken.
KI im Lokaljournalismus
Wo sich etablierte Medien zurückziehen, greifen engagierte Bürger*innen gelegentlich zur Selbsthilfe. Wie zum Beispiel Andreas Trunschke, der in seinem Verlag für Bürgerjournalismus unter der Netzadresse www.webfischerei.de digitale Publikationen wie „Fläming 365 – Die Bürgerzeitung“ und „Zauche 365 – Die Mitmachzeitung“ herausgibt. Für die Inhalte sorgen keine Profis, sondern ein Netz von bis zu 85 unterschiedlich aktiven Bürgerjournalist*innen. Derzeit kommt man auf täglich rund 1.000 Leser*innen und 3.500 Follower*innen auf Facebook. „Seit kurzem“, so Trunschke, „tasten wir uns ein bisschen an KI heran“. In der Pilotphase probiere man aus, wie mittels Künstlicher Intelligenz schneller und effizienter mehr Content für die Bürgerzeitungen beschafft werden könne. Jeder Text gehe direkt online, aber auch zu Murf.AI, einer einfach zu handhabenden Text-to-Speech-Software, die den Text in eine Audio-Datei umwandle. Das funktioniere aber nur dank Förderung durch die MABB, räumt Trunschke ein, „ohne diese Hilfe wäre das nicht möglich“.