Eine Video-Podcast-Serie über die Kulturszene in Cottbus? Ein Wochenmagazin über den Sportbetrieb in der Kreisliga Strausberg? Crossmediale Lokalnews für die Prignitz? Unwahrscheinlich, da unrentabel? In Berlin-Brandenburg versucht die dortige Medienanstalt MABB seit Ende 2020, mit einem Förderprogramm speziell lokaljournalistische Angebote gezielt zu unterstützen. Ein Modell, das bundesweit Schule machen könnte.
Großen Teilen der Medienbranche geht es nicht gut. Fortschreitende Digitalisierung, verändertes Nutzungsverhalten und Werbeeinbrüche infolge der Pandemie setzen vor allem auch lokale Anbieter unter massiven ökonomischen Druck. Das gilt erst recht für ein dünn besiedeltes Flächenland wie Brandenburg. Freilich weniger für den „Speckgürtel“ Berlins unter Einschluss der Landeshauptstadt Potsdam als für Randregionen wie die Uckermark, die Prignitz oder Märkisch Oderland.
Zwar decken die existierenden Regionalzeitungen „Märkische Allgemeine“, „Märkische Oderzeitung“ und „Lausitzer Rundschau“ sowie die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (eine Tochter des Berliner „Tagesspiegel“) noch den Großteil der Gemeinden ab. Gleichwohl kämpfen sie wie die gesamte Printbranche mit sinkenden Auflagen, schrumpfenden Werbeerlösen und steigenden Vertriebskosten. Seit der Wende hat sich die Gesamtauflage der drei führenden Blätter um mehr als die Hälfte verringert. Allein die „Lausitzer Rundschau“ verlor 2021 mehr als fünf Prozent. Ein offenbar irreversibler Prozess.
Im Rundfunk sorgt der öffentlich-rechtliche Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) zwar mit Regionalstudios in Cottbus und Frankfurt (Oder) sowie mit Regionalbüros in Prenzlau und Perleberg für aktuelle Regionalinformationen und Korrespondentenberichte. Aber trotz landesweiter Präsenz hat er – anders als vielfach angenommen – keinen lokaljournalistischen Auftrag. Diese Berichterstattung ist privaten Medien vorbehalten. Eine Aufgabe, die speziell seit Ausbruch der Corona-Krise noch schwerer zu erfüllen ist als zuvor. Viele der lokalen Hörfunk- und TV-Veranstalter arbeiten hart an der Kostendeckungsgrenze.
Wie eine im Auftrag der MABB erstellte Bestandsaufnahme ergab, war die publizistische Leistungsfähigkeit der vor zwei Jahren in Brandenburg existierenden 14 lokalen TV-Veranstalter aufgrund der wirtschaftlichen Situation begrenzt: nur in fünf Verbreitungsgebieten wurde ein tagesaktuelles Programm angeboten, in vier weiteren wurde es wöchentlich ergänzt. Zur Linderung der pandemiebedingten Probleme übernahm die MABB – wie andere Landesmedienanstalten – einen Teil der technischen Verbreitungskosten.
In dieser Situation beschloss der Medienrat der MABB, neue Wege zu gehen. Bislang hatte ihn die Rechtslage dazu verdonnert, sich bei der Förderung auf Maßnahmen in den Bereichen Ausbildung und Technik zu beschränken. „Wenn Lokaljournalismus gestärkt werden soll, dann müssen wir anfangen, Inhalte zu fördern, also konkrete journalistische Leistungen an den Orten, an denen ein Defizit vorhanden oder in Zukunft zu befürchte ist“, erkannte Anja Zimmer, bis März 2021 Direktorin der MABB.
Geld nicht nur für Technik, sondern für lokale Inhalte
Ende 2020 war es so weit. Da stellte das Land Brandenburg der Medienanstalt für das Jahr 2021 erstmals eine Million Euro zur Verfügung, zweckgebunden für lokale Inhalte. Nötig war dafür eine Novellierung des Medienstaatsvertrags Berlin-Brandenburg. Er definierte in § 8 Absatz 12 die Förderung lokaljournalistischer Angebote von Rundfunkveranstaltern, Telemedienanbietern und Anbietergemeinschaften als neue Aufgabe der MABB, „soweit die Medienanstalt hierfür Landeshaushaltsmittel oder Mittel Dritter zur eigenverantwortlichen Verwendung erhält“. Letztere Auflage war erforderlich, um das Gebot der Staatsferne zu erfüllen: Regierungen dürfen nicht direkt in die Förderung von Medieninhalten involviert sein.
Zur Unterstützung des Reformvorhabens holte die MABB die Expertise der Kommunikationswissenschaftler Klaus Beck von der Uni Greifswald und Leyla Dogruel von der Johannes-Gutenberg-Uni Mainz ein. In ihrem medienwirtschaftlichen Gutachten schlagen sie eine „selektive und kriterienbasierte Antrags-Förderung“ von zusätzlichen lokaljournalistischen Inhalten vor. Als zentrale Maßnahmen empfehlen sie Projektförderungen für Rundfunkveranstalter, Telemedienanbieter und Anbietergemeinschaften.
Darüber hinaus schwebt ihnen die Förderung lokaljournalistischer Innovationen sowie eine Anschubfinanzierung lokaljournalistischer Neugründungen vor. Ebenfalls empfohlen werden die Förderung und Weiterbildung von zusätzlichem redaktionellen und freiberuflichen Personal. Eine klare Absage erteilten die Gutachter dagegen einer Verteilung von Steuermitteln nach dem „Gießkannen-Prinzip“. Dieser Ansatz müsse als „unzweckmäßig und ineffizient gelten, da es nicht um die bloße Subventionierung des Status quo gehen kann“.
Die MABB folgte in zentralen Punkten den Empfehlungen der Wissenschaftler. Als Ziel des Förderprogramms definierte sie die „Sicherung lokaler Medienvielfalt in Berlin und Brandenburg“. Dabei solle vorrangig „Defiziten in der lokalen Informationsversorgung entgegengewirkt“ werden. Förderwürdig sind laut Satzung demgemäß „journalistisch-redaktionell gestaltete Rundfunk und/oder Telemedienangebote, in denen überwiegend und regelmäßig lokale Nachrichten und/oder lokale politische Informationen enthalten sind“. Wichtig: die „Förderbedürftigkeit“ – will sagen: Die Angebote dürfen ohne Fördermittel wirtschaftlich nicht umsetzbar sein. Keine Chance auf Förderung haben demnach Angebote mit überregionaler Berichterstattung. Ebenso wenig Formate, die vorwiegend auf Unterhaltung setzen.
Nahtlos in die zweite Runde
Das Projekt traf umgehend auf starke Resonanz. Bis zum Antragsschluss Ende Februar 2021 waren 62 Anträge bei der MABB eingegangen. In der ersten Runde bewilligte der Medienrat die Förderung von 35 neuen lokaljournalistischen Rundfunk- und Internetangeboten, verteilt auf zwölf Landkreise und drei kreisfreie Städte. Eine Million Gesamtfördersumme – das ergibt im Schnitt etwa 30.000 Euro pro Projekt. Unter denen, die einen Zuschlag bekamen: lokale Radio- und TV-Macher*innen, Einzelkämpfer*innen, aber auch regionale Zeitungsverlage.
Das Märkische Medienhaus, Herausgeber der „Märkischen Oderzeitung“ (MOZ), porträtierte in seiner Podcast-Reihe „Lebenswertes Brandenburg“ engagierte Personen oder Vereine aus Frankfurt/Oder und verschiedenen Landkreisen. Den Bundestagswahlkampf nutzten diverse Lokalmatadore für Interviews und Politik-Podcasts mit den regionalen Kandidat*innen.
Einige der Geförderten waren etablierte Akteure aus der jeweiligen Lokalrundfunkszene, z.B. Strausberg-TV, Hauptstadt-TV oder Lokal-Radio Cottbus. Das inhaltliche Spektrum reichte dabei von Koch-Talk mit Promis über regionalpolitische Debatten etwa zum Strukturwandel in der Lausitz bis hin zur wöchentlichen Vor- und Nachberichterstattung zum örtlichen Kreisliga-Sportgeschehen.
„Die erste Runde verlief sehr erfolgreich“, zieht MAAB-Referentin Judith Günther eine positive Zwischenbilanz. Eine genauere Evaluierung der Ergebnisse der ersten Förderrunde steht zwar noch aus. Aber das bisherige Feedback der Beteiligten sei sehr zufriedenstellend. Auch externe Kritik habe es kaum gegeben. Es habe sich ausgezahlt, dass schon die Entwicklung des Förderprogramms von einem Konsultationsverfahren begleitet worden sei, in das an die 150 lokale Medienanbieter einbezogen wurden. „Viele Geförderte haben gemerkt, dass wir inhaltlich nicht bewerten und vor allem keine ‚journalistische Geschmackspolizei‘ sind, solange die journalistischen Grundsätze eingehalten werden“, sagt Günther.
Dementsprechend ging zu Beginn des neuen Jahres das Förderprogramm nahtlos in die zweite Runde. Wieder war der Andrang groß. Das Antragsvolumen übertraf nach Angaben der MABB die verfügbaren Mittel um mehr als das Doppelte. Die Konkurrenz um die Fördermillion hat sich verschärft. Bewilligt wurde schließlich die Förderung von 32 Projekten in elf Landkreisen und zwei kreisfreien Städten. „Die Vielfalt der Formate ist wieder groß, es sind einige innovative Projekte dabei“, konstatiert Günther.
Die Bandbreite reicht wieder von Podcasts über Newsletter, TV-Magazine, Web-Stories und Reportagen bis zu Talk- und Interviewformaten. Einige schon im Vorjahr geförderten Akteure warten 2022 mit neuen Projekten auf. Die Porträt-Reihe der MOZ widmet sich jetzt den aktuellen Problemen von Dörfern aus verschiedenen Landkreisen. Am Stammsitz des Verlagshauses geht es zu „wirtschaftlichen und politischen Fragestellungen, welche die offene deutsch-polnische Grenze in Frankfurt/Oder über die Jahre mit sich gebracht haben“. Der Verlag der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (Holtzbrinck) macht ein „crossmediales und hyperlokales Info-Angebot für die Potsdamer Bevölkerung in den sechs Potsdamer Stadtteilen“. Die „Pritzwalker Stadtzeitung“, das laut Selbstdarstellung „engagierte Bürgerblatt für Stadt und Land“, bietet mit dem „Lokalnews-Blitzer“ einen „Audio- und Video-Podcast mit täglichen Nachrichten aus der Region“. Ein verdienstvolles Projekt – angesichts der kommunikativen Leerstellen in der Prignitz, einer der am dünnsten besiedelten Regionen der Republik.
Berlin hält sich zurück
Bundesweit gilt das Programm als Novum in der Medienlandschaft. Zwar kümmern sich auch andere Landesmedienanstalten um die Förderung von Vielfalt und Qualität der Medienangebote in ihrem Zuständigkeitsbereich. Die bayerische BLM, auch das JournalismusLab der LfM in Nordrhein-Westfalen setzen auf Programm- und Technikförderung, auf Aus- und Fortbildung, auf Maßnahmen zur Stärkung der Medienkompetenz. Lauter Aufgaben, um die sich auch die MABB kümmert. Aber keine andere Anstalt unterstützt speziell die Entwicklung crossmedialer lokaljournalistischer Angebote.
Einstweilen stellt nur Brandenburg Haushaltsmittel zur Verfügung. Das Land Berlin hält sich noch bedeckt. Ob sich das künftig ändern wird? Im Rot-Grün-Roten Koalitionsvertrag „Zukunftshauptstadt Berlin“ heißt es relativ vage: „Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (Mabb) wird den wachsenden Aufgaben angepasst und wird Medienkompetenz fördern, Jugendschutz stärken und journalistische Ausbildung sichern.“
Unter den Fittichen der Medienanstalt wurde soeben eine weitere Initiative für Innovativen Lokaljournalismus vor Ort gestartet, die „Lokalkomplizen“. Dahinter steckt ein Pilotprojekt des Medieninnovationszentrums Babelsberg (MIZ) – einer Einrichtung der MABB – in Kooperation mit dem Online-Magazin „Krautreporter“. Ziel ist zunächst der Aufbau eines lokaljournalistischen Newsletters für Cottbus. Wieso ausgerechnet Cottbus? Die strukturkrisengebeutelte Stadt in der Niederlausitz sei wegen des anstehenden ökonomischen Transformationsprozesses besonders interessant, findet Krautreporter-Vorstandsmitglied Leon Fryszer. Es gehe darum, „nicht nur Corona-Spaziergänger, sondern vor allem das neue Cottbus zu zeigen“.
In einem zweiten Schritt soll ein Empfehlungstool entwickelt werden, mit dem Journalist*innen eine Community von Abonnent*innen für ihren Newsletter aufbauen können. Dabei können Leser*innen das Angebot über ein Online-Formular weiterempfehlen und nachverfolgen, ob ihre Einladung angenommen wurde. Abonnentinnen würden, so wünscht sich das MIZ, zu „Botschafter*innen für lokale Inhalte“.
Das inhaltliche Projektmanagement liegt bei Kooperationspartner „Krautreporter“. Die Finanzierung des dreiköpfigen interdisziplinären Teams für ein halbes Jahr (20 Stunden/Woche) übernimmt das MIZ. „Aber wir stecken auch selbst eigene Ressourcen da rein“, sagt Fryszer. Bei erfolgreichem Abschluss wird eine Übertragung des Projekts auf weitere Regionen in Berlin und Brandenburg anvisiert.
Nachhaltigkeit strebt die MABB auch beim Förderprogramm Lokaljournalismus an. Einige der in Brandenburg Geförderten des Projekts Lokaljournalismus haben sich selbstständig um zusätzliche Finanzierungsquellen gekümmert, berichtet MABB-Referentin Judith Günther. Was von Seiten der Medienanstalt im Sinne einer nachhaltigen Förderung auch erwünscht sei: „Wir hoffen, dass sich einige Medienangebote mittel- bis langfristig dauerhaft etablieren können.“