Die Pleite der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der jüngsten Europameisterschaft ist ein Desaster für den Sport-Journalismus
Selbst die „Internationale Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation“ sah sich alarmiert. Mit so viel Hass und Häme war die versammelte deutsche Sportjournaille nach dem blamablen Ausscheiden ihrer Fußball-Nationalmannschaft bei der jüngsten Europameisterschaft über die „Rumpelfüßler“ hergefallen, dass die Zivilisationswahrer in der „beispiellosen Hetzkampagne“ eine „Anstiftung zur Volksverhetzung“ witterten.
Tatsächlich hatte die „Bild“-Zeitung, das Leitmedium des deutschen Sportjournalismus, am Tage nach dem Ausscheiden in dicken Lettern über dem Mannschaftsfoto der Nationalkicker ihre Leser aufgerufen: „Ausreißen, zerknül-len, wegwerfen.“ Wie enttäuschte Liebhaber mit der Verflossenen rechneten die Berichterstatter mit dem „Sauhaufen Nationalmannschaft“ ab. „Scham“ und „Schande“ lugten inflationär aus den Spalten der Sportseiten – mit allerbesten Chancen auf das Wort des Jahres.
Heldensagen
Das schwache Abschneiden der Nationalmannschaft bei der Fußball-EM ist ein Desaster für den deutschen Sportjournalismus. Den Analytikern und Kommentatoren ist offenbar entgangen, dass „Deutschlands Fußball-Bubis einfach ihren Beruf nicht können“, wie der „Spiegel“ nach dem EM-Debakel leidenschaftslos urteilte. Obwohl mit Beginn des Ausländerbooms in der Fußball-Bundesliga die Schwächen in der Nationalmannschaft seit Jahren nicht mehr zu übersehen waren, strickte die Mehrheit der professionellen Beobachter an der Heldensaga von der unbezwingbaren teutonischen Kampfkraft.
„Die Deutschen sind eben eine Turniermannschaft“, predigten sie nach den immer schwächeren Auftritten des Nationalteams ihrer Lesergemeinde. Statt die dramatischen Fehlentwicklungen in Fußball-Deutschland aufzuzeigen, wurden Spiele und Spieler schöngeschrieben. Als der Münchner Mittelfeldakteur Jens Jeremies den Zustand der Nationalmannschaft wenige Wochen vor der EM als „jämmerlich“ kennzeichnete, wurde er von den Sportgazetten beinahe kollektiv in unschöner deutscher Maulkorbtradition als „Nestbeschmutzer“ gebrandmarkt.
Jetzt, nach der EM-Pleite, ringt die Sport-Journaille hilflos nach Erklärungen für die nationale Schamverletzung. Und am Ende machen sie doch nur wieder fehlende Sekundärtugenden wie „durchtriebene Faulheit“ (FAZ) bei den angeblich so verhätschelten Jungmillionären aus. Statt endlich anzuerkennen, dass Technik und Taktik des deutschen Fußballs kräftig angejahrt sind und das Nationalteam im internationalen Vergleich nurmehr drittklassig ist.
Korruption durch Nähe
Doch ein solches Eingeständnis fällt schwer, wenn im Fernsehen und in den Gazetten miserabelste Kicks regelmäßig zu Galavorstellungen des deutschen Fußballs hochgejazzt werden. Geblendet von dem glitzernden Fußball-Showbiz haben viele Berichterstatter die Übersicht auf dem grünen Rasen verloren. Die meisten sind nicht mehr auf Ballhöhe. Vieles aber wollen die Sportjournalisten auch gar nicht sehen. Der hautnahe Kontakt zu Starkickern und Spitzenfunktionären verschließt ihnen die Augen für kritische Entwicklungen: Etwa die schleichen de Mutation des DFB-Teams zu einer geschäftigen PR-Maschinerie mit angeschlossener Fußballmannschaft.
Nirgendwo gibt es mehr Korruption durch Nähe als im Sportjournalismus. Beinahe jeder Nationalkicker hält sich einen eigenen Hofberichterstatter. Und der Deutsche Fußballbund (DFB) hat ganze Bataillone davon. Da wird es keineswegs als Hautgout empfunden, wenn bei den DFB-Pressekonferenzen statt der Journalisten dessen Pressechef Wolfgang Niersbach die Fragen an Spieler und Funktionäre formuliert.
Sogar für durchsichtige PR-Kampagnen des DFB lassen sich Fußball-Berichterstatter bedenkenlos einspannen. Zu seinem 100jährigen Bestehen legte der DFB vor einigen Monaten eine daumendicke Hochglanz-Chronik vor, an der die prominentesten Beobachter der Fußball-Szenerie mitgeschrieben haben – unter der Chefredaktion von DFB-Pressechef Niersbach, wie im Impressum in schüchtern kleiner Sieben-Punkt-Schrift offenbart wird. Herausgekommen ist eine bis zur Peinlichkeit geschönte Geschichtsschreibung, in der die Instrumentalisierung des Fußballs durch die Nationalsozialisten ebenso ausgeblendet wird wie die Fehlentwicklungen und Übelstände in der Bundesliga. Statt dessen versprühen die vom DFB eingekauften Journalisten Glanz und Gloria über den weltweit reichsten und mitgliederstärksten Fußballverband. Seitenweise schwadronieren sie, mit wenigen Ausnahmen, über „Erfolge, Wunder und Legenden“.
Teil des Milieus
Begreifen sich Sportjournalisten überhaupt noch als distanzierte Beobachter und analytische Kritiker des Fußball-Business? „Journalismus ist doch ein anderer Beruf“, gesteht der Sportautor Ulrich Kaiser. „Heute ist man Entertainer oder Kommunikator oder einfach Fan.“ Gerade die Medienmacher rund um die Fußball-Nationalmannschaft verstehen sich zunehmend als deren Bestandteil. Jens Todt, Stuttgarter Bundesligakicker und einer der wenigen Fußball-Intellektuellen im Profigewerbe, hat die Sportjournaille während seiner Zeit bei der Nationalmannschaft sorgfältig beobachtet: „An ihren Gesten und Gebärden kannst du erkennen, dass die sich als ein Teil dieses ganzen Milieus verstehen.“
Von Distanz keine Spur. Niederlagen des Nationalteams kränken das Selbstwertgefühl des Mediencorps. Jetzt bläst das verletzte Ego zu einer gehässigen Hatz auf die vermeintlichen Elitekicker, die „das Trikot der Nationalmannschaft besudelten“ (Bild).
In den Bundesligaclubs ist dies kaum anders. Das Hochjubeln von Spielen und Spielern ist längst schon kein Privileg des um Quoten buhlenden Privatfernsehens mehr. Wenngleich eine Sportsendung wie „ran“ bei Sat.1 diese Entwicklung nicht unerheblich forciert hat. „Die haben den Fußball in einer Art und Weise hochgesungen“, bekennt Jens Todt, „dass die Gehälter in der Bundesliga explodiert sind.“ Während die sportlichen Leistungen bestenfalls stagnierten.
Nach der EM-Pleite macht sich Katerstimmung breit im Lager der Sportjournalisten. Plötzlich stimmen die „ran“-Schmeißer ein öffentliches Wutgeheul über die dreisten Fußball-Millionäre an, die statt der Nationalhymne den „Anton aus Tirol“ singen. So als habe es dies vorher nie gegeben.
Vermutlich wurde es nur systematisch verschwiegen. Statt dessen gaukelten uns die Medienmacher jahrelang das geschönte Bild vom deutschen Musterprofi vor, der im Trikot mit dem Bundesadler vor Ehrgeiz und Kampfkraft schier explodiere. Dieses Bild ist nun ebenso zerstört wie das von einem unbestechlich kritischen Sportjournalismus – wenn wir uns solchen Illusionen denn je hingegeben haben.