Ich möchte zwei Vorurteile ausräumen. Erstens: Der Bürger findet Journalisten/innen lästig und traut ihnen nicht. Zweitens: Der Bürger weiß nicht, wie Freie leben. Stimmt beides nicht: Der Bürger freut sich über Journalisten/ -innen und er weiß von ihrer prekären freien Existenz.
Ich muß ständig fremden Menschen ins Haus fallen, weil ich für den Hörfunk „Betroffene“ brauche. Das geht von der Inkontinenzselbsthilfe über ehemalige Widerstandskämpfer, Existenzgründerinnen bis zu besonders aktiven Alten … Irgendwie kommt man an die Leute ran, verabredet sich, „dauert höchstens ein halbes Stündchen“. Nur selten bin ich über gemeinsame Bekannte empfohlen.
Und trotzdem: Nie, ich schwöre, wollte Jemand einen Ausweis sehen, niemals wurde beim WDR gefragt, ob ich die bin, die ich zu sein vorgebe. Im Gegenteil: Sie laden mich freundlichst in ihre Wohnzimmer und immer, ich schwöre, gibt es Wasser oder Kaffee oder Tee oder Plätzchen oder Kuchen. Erst gestern quälte ich mich mit einer Sahnetorte herum, es wurde für mich schon extra gebacken! Ich sehe nicht verhungert aus, aber die Menschen scheinen zu wissen, wie sehr wir Freien darben und darauf angewiesen sind, von unseren Interviewpartnern durchgefüttert zu werden.
Nicht nur das: Sie sind entsetzt, wenn ich dreimal umgestiegen bin („Ich hätte sie vom Bahnhof abgeholt!“) oder bewundern, dass man an den kleinen MD-Playern Knöpfe erkennen kann. Gut, ich habe viel mit Älteren zu tun, die noch wissen, was sich gehört. Junge aber sind genauso: Ein anonymer Alkoholiker von etwa 25 Jahren bot Krapfen an, bevor er von seiner Sucht erzählte.
Das Drama ist: Ich hasse Kuchen. Ich finde, ich kann mir erlauben, ab sofort zu sagen: „Wenn Sie übrigens etwas anbieten möchten, wäre mir ein Vollkornbrot mit Leberwurst sehr lieb.“