Prozeß in Hamburg gegen Polizeibeamte, die den Fernsehjournalisten Oliver Neß schwer mißhandelt haben
Die zitternde Hand bittet um Hilfe, das Gesicht ist schmerzverzerrt. Zahlreiche Fernsehbilder und Fotos dokumentieren schonungslos die Mißhandlung des Hamburger Fernsehjournalisten Oliver Neß durch fast ein Dutzend Polizeibeamte im Mai 1994. Trotzdem stehen jetzt nur zwei der Polizei-Schläger, die den für seine polizeikritischen Reportagen bekannten Journalisten überfallen haben, vor Gericht: Olaf A. und Oliver H.
A. hat Neß gejagt und mit dem Schlagstock auf ihn eingedroschen – so ist es auf einem Fernsehfilm zu sehen. H. wurde von hinten gefilmt, als er den Schuh des Journalisten vom Fuß streift, der anschließend zweimal so aus dem Gelenk gerissen wird, daß zwei Bänder zerfetzen. Den Rest der am Überfall beteiligten Beamten konnten Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht in einer konzertierten Aktion aus dem Verfahren heraushalten. Einem Mißhandler hält die Staatsanwaltschaft zu Gute, daß er einen erlaubten Polizeigriff angewandt habe. Einem anderen, der Neß bis zur Bewußtlosigkeit gewürgt hat, wird ein „Irrtum“ attestiert, den nicht einmal der Beamte selbst behauptet. Und monatelang ließ die Staatsanwaltschaft der Polizei freie Hand. Dabei wurde Beweismaterial – Videos und Funkprotokolle – manipuliert oder ganz vernichtet. Bis heute behauptet die Polizei, es gebe nur ein offizielles Polizeivideo. Jetzt wurden Bilder bekannt, die belegen, daß insgesamt drei Kameramänner in Uniform am Tatort waren. Zwei der Filme sind bis heute verschwunden. Ohne die Fernsehbilder wäre es nie zum Prozeß gekommen (siehe „M“ 8-9/94, 1/95; 11/95).
Während der Angeklagte A. im Prozeß zunächst die Aussage verweigert, will sich H. plötzlich – nachdem er zweifelsfrei identifiziert wird – zwar erinnern, an den Füßen des Reporters gewesen zu sein: „Aber da habe ich nur die Beine gehalten.“ Den Fuß habe er nicht verletzt. Ein vom Gericht angefordertes unabhängiges ärztliches Gutachten hält dagegen die Aussage von Neß ohne Einschränkungen für plausibel: „Einer saß auf meinem Oberkörper und rammte mir seinen Schlagstock immer wieder auf das Brustbein. Plötzlich hörte ich in meinem Körper einen ohrenbetäubenden Knall, der bis in den Kopf schoß – als wenn ein Tau reißt.“ Der Beginn einer zweijährigen Odyssee durch Arztpraxen, Krankenhäuser und Reha-Zentren.
Im Prozeß haben sich die Polizeizeugen offensichtlich abgesprochen. Ihre Standard-Antworten: „Ich habe nichts gesehen“ und „Daran kann ich mich nicht mehr erinnern“. Zugführer Ralf Meins nimmt unverblümt „Alzheimer light“ für sich in Anspruch. Er hat einen Bericht unterschrieben, in dem Neß amtlicherseits zum „Rädelsführer“ der Anti-Haider-Demonstranten umgedichtet wird. Ein von der Polizeiführung nachträglich gebasteltes Konstrukt, wie ein internes Papier belegt, das „M“ vorliegt. Danach wurde Oliver Neß erst in den Tagen nach dem Überfall als „Rädelsführer“ deklariert, um den Überfall auf den unliebsamen Journalisten im Nachhinein zu legimitieren. Im Faschjargon nennt man das „Nachschieben“, daß dies „problematisch“ sei und „nicht gerade die Glaubwürdigkeit der Polizei“ erhöhe, schreibt selbst der Polizeidirektor Richard Peters in einem vertraulichen Bericht, der an den damaligen Innensenator, Werner Hackmann (SPD), weitergeleitet wurde. Der präsentierte das Konstrukt prompt der Öffentlichkeit in einem Fernsehinterview. Dieses Lügengebäude ist allerdings derart absurd, daß es im Prozeß keine Rolle spielte.Am 26. Juni wurde Olaf A. zu 3200 DM Geldstrafe wegen Nötigung verurteilt, Oliver H. zu 4800 DM wegen fahrlässiger Körperverletzung, zahlbar in monatlichen Raten. Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus.
Dieses Urteil bedeutet, daß Polizeibeamte jetzt nicht nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit, sondern auch vor laufenden Kameras für billiges Geld, zahlbar in Raten, Menschen mißhandeln können.