Party machen ohne Sexismus

Bild: Screenshot aus dem Video "Schön und sicher feiern" von Masterstudierenden der Medienwissenschaft an der Universität Tübingen in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mädchen*politik

Ein Jahr nach der #MeToo-Debatte gebe es noch immer viel zu tun, sagt Tanja Thomas, Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, in einem Interview mit dem ZDF. Studierende ihres Master-Seminars zur „Verhandlung von Geschlechterverhältnissen in digitalen Öffentlichkeiten“ haben teilweise selbst Erfahrungen mit Sexismus – auch in ihren Praktika –  gemacht und wollen andere sensibilisieren. Dafür produzierten sie den Spot „Schön und sicher feiern“, der gestern ins Netz gestellt wurde.

Durch Gastreferent_innen, die im Seminar von ihrer Arbeit berichteten, entstand bei den Studierenden die Idee, ein Video über Maßnahmen zur Prävention sexueller Belästigung zu produzieren. Dafür suchten sie sich die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mädchen*politik Baden-Württemberg als Kooperationspartnerin, denn „wir wollten nicht, dass unser Film in irgendeiner Unischublade verstaubt“, so Student Marcel Lemmes. Und Studentin Angelina Wex ergänzt: „Die Infos sollen in der breiten Gesellschaft ankommen.“ Deshalb sei das Erklärvideo für eine „jüngere Zielgruppe“ nicht nur auf der LAG-Website, sondern auch auf anderen Kanälen zu sehen. Die Studierenden haben zum Teil selbst Erfahrungen mit sexueller Belästigung in der Tübinger Gastroszene gemacht. „Ich habe lange Haare“, so Marcel Lemmes, „und wenn ich im Club an der Theke stand, wurde mir mehrfach an den Hintern gefasst“.  Aber die Branche hat reagiert: „‘Arbeitet Uli heute?‘ ist das Schlüsselwort für Barleute, wenn sich jemand belästigt fühlt und Hilfe braucht“, berichtet Angelina Wex.

Zusammen mit einer Comic-Zeichnerin gestalteten die Studierenden des Seminars eine Legeanimation, die in fünf Kapiteln zeigt, wie man eine „Party, auf der sich alle wohlfühlen“, plant und veranstaltet. Bei der Wahl der Location solle man darauf achten, dunkle Ecken zu vermeiden und Lampen als Deko einzusetzen. Sexistische Plakate seien „no go“. Auch die Werbung sollte sensibel formuliert und gestaltet sein, denn das habe Einfluss darauf, wer kommt. Das gleiche gelte für die Personalauswahl, insbesondere wenn Sicherheitsdienste angeheuert werden. In Schulungen könne für Grenzüberschreitungen sensibilisiert werden: „Gute Kommunikation und reflektiertes Handeln entschärft Konflikte oft besser als muskulöse Oberarme.“ Bei der Musik dürfe der „coole Beat“ nicht fehlen, aber die Texte sollten „respektvoll“ sein. Wenn es dann doch zu einer kritischen Situation komme, müsse man sie entschärfen können – etwa indem man jemanden, der sich unwohl oder belästigt fühlt, in einen ruhigen Raum begleitet. Zum Schluss gibt es jede Menge Hinweise, etwa auf eine LAG-Broschüre, denn „schön feiern bedeutet sicher feiern“.

Wie wichtig Unterstützung bei sexueller Belästigung ist, haben viele Medienstudierende auch während des Praktikums erlebt. Ein Kollege habe „eine Grenze überschritten, aber Gott sei Dank konnte ich mit einer Kollegin darüber sprechen und Erfahrungen austauschen“, berichtet eine Studentin, die danach sogar den Mut aufbrachte, den Kollegen in einer Email mit seinem Verhalten zu konfrontieren. „Ich wollte das schriftlich festhalten – auch, falls er nochmal übergriffig wird.“

Die Studierenden und ihre Dozentin sind sich einig, dass bei Hilfestellungen gegen sexuelle Belästigung nicht nur Betroffene in den Blick genommen werden sollten, sondern auch diejenigen, die solche Situationen beobachten. Sie könnten, wenn sie am Praktikumsplatz oder an der Uni eine herabwürdigende Situation mitbekommen, die betroffene Person ansprechen und fragen, ob alles okay ist. Alternativ könne man anbieten, gemeinsam zum Getränkeautomaten zu gehen, d.h. die belästigte Person „zunächst aus der Situation herauszuführen und dann zu überlegen, wie die Situation erlebt wurde und welche Möglichkeiten des Umgangs es geben kann“, so Tanja Thomas.

„Starke Abhängigkeit begünstigt sexistisches Verhalten“, erklärt Thomas und fordert „geschultes Personal, Broschüren zur Praktikumsvorbereitung, die auch dieses Thema adressieren, mehr Bewusstsein für das Thema und mehr Kommunikation darüber“. Studierende, die in die Praxisphase gehen, müssten auf strukturellen Sexismus und sexuelle Belästigung vorbereitet werden, damit sie wachsam sind. Dafür sollten nicht Gleichstellungs- oder Antidiskriminierungsbeauftragte an den Instituten zuständig sein, sondern professionelle Berater_innen in zentralen Beschwerdestellen an der Uni. Ihres Wissens gebe es noch keine solchen Einrichtungen, aber in Wien und Frankfurt seien bisher zumindest Broschüren zum Thema aufgelegt worden.

„Sexismus zeigt sich nicht nur in konkreten Vorfällen, sondern auch im Klima, das geschaffen wird durch Bemerkungen, die Geschlechtergleichheit behindern“, so Marcel Lemmes mit Blick auf eine Praktikumserfahrung. In der Mittagspause in der „Altherrenrunde“ erlebte er, wie der Vorgesetzte sich über Sekretärinnen lustig machte, die den Kaffee falsch gekocht hätten. Lemmes: “Mir war nicht klar, wie ich damit umgehen sollte.“ „Auch manche Frauen lachen lieber mit bei sexistischen Witzen als zu intervenieren. Dieses stillschweigende Einverständnis verschärft das Klima“, so Thomas, die betont, dass jeder und jede selbst entscheiden müsse: “Ist das schon sexistisch, lasse ich mir das gefallen oder vertraue ich mich einer Kollegin an?“

„Ignoriere ich das oder sag ich was? Das kommt sehr auf die Person und ihre momentane Stimmungslage an“, meint dazu Angelina Wex mit Blick auf Erlebnisse im Freundes- und Bekanntenkreis. „Wenn Feminismus ins Negative gezogen wird und ich das anspreche, ruft das schon Stirnrunzeln bei Männern in der Runde hervor“, so Wex.

Im Marketing „hat die Thematik eingeschlagen“, sagt Marcel Lemmes, der ein Praktikum bei einer Agentur machte. Doch #MeToo habe dort anders gewirkt als erwartet. Man habe nicht sexistische Marketingbotschaften geändert, sondern aus Furcht vor „Emanzen mit ihrem Shitstorm“ die Parole ausgegeben: „Kopf einziehen und weitermachen wie bisher.“ Auf die Frage, wodurch diese Haltung sich ändern könne, meint Lemmes selbstbewusst: „Wenn das junge Blut aus der Uni kommt!“

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