ProQuote: Gegen ein – „Hatten wir schon“

Frauen am Drücker: Regisseurin Diana Procop (Mitte) und Schlussredakteurin Margit Benesch (r.) bei einer Produktion des ZDF-Morgenmagazins in Berlin im Oktober 2017. Archiv-Foto: Murat Türemis

„Lasst uns einfach keine Arschlöcher werden“, wünschte sich taz-Entwicklungsredakteurin Luise Strothmann zu Beginn des digitalen ProQuote Camps am 4. Juni. Unter dem Tagungstitel „We’ve got the Power – Wohin mit unserer Macht?“ diskutierten ein Mann und viele Frauen aus Medien, Politik und Zivilgesellschaft über einen Journalismus der Zukunft, der sich mehr an den Rezipient*innen orientiert, inklusiver und solidarischer ist, der alte patriarchale Strukturen aufbricht.

Luise Strothmann nannte sechs Wünsche für einen feministischen Journalismus. Gegen ein „Hatten wir schon“ sollten Journalist*innen Neugier und eine Kultur des Ausprobierens setzen. Dabei gelte es, die Leser*innen als „ihr Gegenüber“ zu betrachten und „in ihr tägliches Tun zu integrieren“. Machtstrukturen in den Medienhäusern müssten aufgebrochen werden, denn nur „Redaktionen, in denen alle vorkommen, machen Journalismus, in dem alle vorkommen.“ Letztendlich brauche es Journalist*innen, die respektvoll mit anderen umgehen, „die für echte Veränderungen kämpfen, anstatt nur für sich selbst.“ Das bedeute auch, „selber Platz zu machen.“

Veränderung durch „aktivierenden Journalismus“

Wie der politische Kampf für Veränderungen mit dem journalistischen Selbstverständnis vereinbar ist, war Thema des folgenden Streitgesprächs, das Dietmar Schiffermüller vom NDR moderierte: „Beobachten wir die Welt oder greifen wir ein?“. „Stern“-Chefredakteurin Anna-Beeke Gretemeier entschied sich fürs aktive Eingreifen, als sie Fridays for Future zum Weltklimatag 2020 eine Ausgabe produzieren ließ.

Autorin Julia Friedrichs kritisierte das „Reinholen von Aktivist*innen in die Redaktion“ als „Grenzverletzung“. Sie habe sich für den Beruf der Reporterin entschieden und beobachte die Welt. Natürlich scheine eine Haltung durch, wenn sie über soziale Ungleichheiten schreibe, aber die Problemlösung sei Job der Politiker*innen. Es gebe eine Aufgaben- und Rollenverteilung, die eingehalten werden müsse. Journalistin Nadia Kailouli versicherte, sie könne noch trennen zwischen Journalismus und Aktivismus, auch als sie „embedded“ auf der Sea Watch 3 einen Film gedreht habe. Sie positioniere sich nicht, sie helfe den Geflüchteten dadurch, dass sie über das Thema Seenotrettung berichte.

Gretemeier meinte, der „Stern“ habe die Macht, Themen zu setzen und Gesprächspartner*innen auszusuchen und da könne man nicht neutral bleiben, wenn es um globale Herausforderungen gehe – wie Klimakrise, Diversität, Frauen und Gleichstellung, Gesundheit und Profit. Die „Stern“-Leserschaft, die zu einem Drittel ehrenamtlich engagiert sei, erwarte das auch. Der mit Transparenz verknüpfte „aktivierende Journalismus“ sei die „DNA der Marke“. Monothematische „Stern“-Titel wie „Wir haben abgetrieben“, der vor 50 Jahren erschien oder „Ich bin eine Quotenfrau“ vom November 2020 sind nach Friedrichs Ansicht keine Grenzüberschreitungen, weil sie im Gegensatz zum Klimaheft „aus der Redaktion heraus entstanden“ sind, d.h. sie konzipierte das Heft selbst, sodass die Rollenverteilung von Journalismus und Aktivismus gewahrt blieb.

Alte Muster durchbrechen

Wie emanzipatorisch eine Kultur des Ausprobierens sein kann, vermittelte Nadia Kailouli im Gespräch mit Mariam Noori, die für das NDR-Funk-Recherche-Format STRG_F arbeitet und  aufdeckte, dass die preisgekrönte Doku Lovemobil gefaked war. Noori schwärmt von der „ein bisschen anarchischen“ Redaktion, die paritätisch mit Männern und Frauen besetzt ist. Hier spiele ihre afghanische Herkunft zum ersten Mal keine Rolle und hier könne sie auch Themen wie „Wettmafia“ bearbeiten, die eher „männertypisch“ seien und von denen sie zunächst keine Ahnung hatte. So sei es möglich, Menschen auf Augenhöhe bei der Recherche mitzunehmen. Von Hassmails auf dem Männer-dominierten YouTube-Kanal lassen sie sich nicht einschüchtern und berichte weiter über Genderthemen wie den Gender Pay Gap oder die Konstruktion von Autositzen, die sich am männlichen Modell orientiert. Nooris Kollegin Nadia Kailouli auf die Frage, ob  STRG_F eine „besondere Gruppe sei“: „Man muss Bock haben, alte Muster zu durchbrechen.“

In einer folgenden Gesprächsrunde fragte Annette Bruhns, die ProQuote Medien mit ins Leben rief: “Wie organisieren wir uns feministisch und politisch?“ Vernetzen, eine gemeinsame Agenda verfolgen, Bündnisse knüpfen und von verschiedenen Seiten angreifen – über diese Strategien waren sich Thembi Wolf von den Neuen deutschen Medienmacher*innen, Franziska Wessel von den Fridays for Future (FfF), Henrike Ostwald vom Deutschen Frauenrat und Monique Hofmann von ver.di einig.

Macht nutzen, um Frauen sichtbar zu machen

Beim Netzwerken setzen die Frauen auf Powersharing, d.h. sich nicht auf der errungenen Macht ausruhen, sondern andere nachholen – etwa durch Mentoring-Programme. Monique Hofmann erzählte, sie selbst sei von ihrer Vorgängerin im Amt der dju-Bundesgeschäftsführerin gefördert worden und berichtete von erfolgreichen Frauennetzwerken im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie erreichten z.B. durch Lobbyarbeit im BR-Rundfunkrat, dass Katja Wildermuth im vergangenen Oktober zur Intendantin gewählt wurde. Freie Journalist*innen suchen sich häufiger Netzwerke, so Thembi Wolf, denn sie brauchen Vitamin B, damit sich Redaktionstüren öffnen. Dabei hätten es „Leute aus Arbeiterfamilien oder Frauen of Colour nicht so leicht, dahin zu kommen“.

Dieses Diversitätsproblem gebe es auch bei FfF, so Franziska Wessel, obwohl sie als „junge, emanzipatorische Bewegung wahrgenommen“ würden. Um Machtstrukturen von „alten, weißen Männern“ zu verhindern, hätten zumeist Frauen Öffentlichkeitsarbeit gemacht, aber die meisten stammten aus der Mittelschicht. Durch Bildungsarbeit und „niederschwellige Angebote“ zu Klimagerechtigkeit solle eine breitere Öffentlichkeit adressiert werden, um „aus der weißen Mittelschicht rauszukommen“.

Beim Kampf gegen das „patriarchale System mit toxischer Männlichkeit“, für Gleichberechtigung sollten sich Journalist*innen und Politiker*innen gegenseitig unterstützen, meinte Henrike Ostwald. Für Monique Hofmann ist das „schwieriges Fahrwasser“, denn so setze man sich dem Vorwurf der Mauschelei aus – von beiden Seiten. Wenn die Bürgermeisterin von Chicago nur noch nicht-weißen Journalist*innen Interviews gebe, sei die Ausgrenzung der anderen problematisch. Eher möglich sei es, dass Journalist*innen bei der Suche nach Expert*innen Politikerinnen zu Wort kommen lassen, die medial nicht so präsent sind.

Sollte man die Finanzierung von Journalismus nicht an Diversitätskriterien wie gemischte Führungsteams knüpfen, fragte Annette Bruhns mit Verweis auf die Presse-Digitalisierungsförderung der Bundesregierung. Monique Hofmann will das zusätzlich zum Kriterium der Einhaltung von Tarifverträgen in die gewerkschaftliche Positionierung zur Presseförderung einbringen, denn „wir müssen die Hebel nutzen, die wir haben!“ So trat bei den ZDF-Personalratswahlen eine reine Frauenliste an, die zu ihrem zentralen Thema Diversität eine Dienstvereinbarung abschließen will.

Bei ProQuote hat sich das Zählen des Frauenmachtanteils als wichtigstes Instrument im Kampf um Gleichberechtigung erwiesen. Annette Bruhns: “Zahlen sind immer noch unsere stärksten Waffen!“  ver.di setzt auf mehr Sichtbarkeit von Frauen: Beim Journalismustag 2020 waren 90 Prozent der Referent*innen weiblich.

 

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