Recherche im Lokalen ist keine Selbstverständlichkeit. Gründe, warum Journalisten eine der grundlegendsten Techniken ihrer Arbeit vernachlässigen, gibt es viele: Termindruck, Lokalfilz und geringe Mittel werden hinter vorgehaltener Hand angeführt, um die eigene Untätigkeit zu entschuldigen. Über Angst und mangelnde Unterstützung reden die, die irgendwann Recherchen frustriert abgebrochen haben oder unter massiven Druck gerieten.
Die Annahme, Recherche sei eine Selbstverständlichkeit, die Verleger von Journalisten erwarten, scheint mit der Wirklichkeit nur selten etwas zu tun zu haben. Wie viel und wie lang kann ein freier Journalist recherchieren, wenn er zwischen 20 Pfennigen und einer Mark pro Zeile im Lokalen verdient? Wie weit kommt ein angestellter Redakteur, wenn er sich für „verdiente“ Bürger einer Stadt interessiert, die vielleicht der größte Arbeitgeber am Ort sind, aber gleichzeitig einer rechtsextremen Partei angehören oder diese unterstützen? Welcher Journalist traut sich, weiter zu recherchieren, wenn ihm Klagen oder Schlimmeres angedroht werden? Wie tief kann ein Journalist recherchieren, wenn die Routine eines jahrelang praktizierten Terminjournalismus die Fähigkeit zu einer differenzierten Recherche abgelöst hat? Welche Möglichkeiten erhalten Journalisten durch ihre Medienhäuser, sich in komplexe und komplizierte Sachverhalte einzuarbeiten? (siehe Interviews S. 14-17)
M hat sich bei angestellten Redakteuren und freien Journalisten umgehört. Die Antworten sind ernüchternd: Martin Busche, Pauschalist für die „Berliner Morgenpost“ sagt: „Bevor man mehr als drei oder vier Telefonate zu einer Pressemitteilung führt oder gar auf die Idee kommt, rauszugehen und mit den Leuten zu sprechen, rechnet man doch erst einmal durch, ob sich das lohnt.“ Oder andersherum: „Warum sollte ich mir ein Thema ans Bein binden, das viel Zeit kostet und statt Geld nur einen Haufen Ärger bringt? Weil ich Idealist bin?“ Ernüchternde Worte, die sich aber kaum jemand traut zu sagen. Immerhin könnte das den Job kosten.
Hubert Denk hatte beispielsweise als Chefredakteur der kostenlosen Sonntagszeitung „Am Sonntag“ aus der Verlagsgruppe Passau über zweifelhafte Ermittlungsmethoden des LKA gegenüber den örtlichen Antifa-Gruppen berichtet. Kurz darauf wurde ihm fristlos mit Hausverbot gekündigt. In der Begründung hieß es, dass „das Haus grundsätzlich keine funktionierenden Staatsorgane angreifen würde.“
Eine Berliner Kollegin, die sich mit sozialen Themen beschäftigt, will deswegen ungenannt bleiben: „Insbesondere, wenn es darum geht, erst einmal eine Vertrauensbasis bei den Gesprächspartnern herzustellen, beispielsweise bei Kriegs- oder Vergewaltigungsopfern, müssen viele Gespräche geführt werden. Für solche Themen lohnt sich kein einziges Zeilenhonorar.“ Erst in Verbindung mit weiteren Verwertungen, beispielsweise für den Hörfunk, sei die Arbeit finanziell einigermaßen zufriedenstellend.
Franziska Hundseder, Spezialistin für Rechtsextremismus, arbeitet nicht für lokale Medien, kennt aber aus eigener Erfahrung die Nöte der Mitarbeiter: „Ich habe beispielsweise in Solingen zwei Vorträge über Rechtsextremismus gehalten. Darüber berichteten die lokalen Medien mit großen Artikeln. Als ich aber für Panorama über den größten Solinger Bauunternehmer und seine Spenden für die NPD berichtete, haben die beiden Solinger Zeitungen das Thema ignoriert. Warum?“ Bei einer anderen Recherche arbeitete sie mit einem Lokaljournalisten des „Acherbühler Boten“ zusammen. „Der Kollege hat größte Schwierigkeiten bekommen. Eigentlich wollten wir zeitgleich über eine als gemeinnützig getarnte Organisation publizieren, die vorgab, den Regenwald retten zu wollen. Der Kollege durfte aber erst berichten, nachdem mein Artikel in der,Zeit‘ erschienen war.“