re:publica 19: too long; didn‘t read

Highlight des Designs der re:publica 19 ist eine 480 Meter lange Stoffbahn mit dem gesamten Text von Herman Melvilles „Moby Dick", die sich durch die Hallen der STATION Berlin erstreckt. Für "Moby Dick" habe man sich entschieden, weil der Text zum Motto tl;dr passe, so Programmleiterin Alexandra Wolf: "Alle wissen es geht um einen Wal, aber niemand hat es gelesen."
Foto: Jan Michalko/re:publica

Europas größte Konferenz zu den Themen Internet und digitale Gesellschaft ist gestern in der STATION Berlin gestartet und wurde mit der Rede von Frank-Walter Steinmeier erstmals durch einen Bundespräsidenten eröffnet. Die dreizehnte Ausgabe der re:publica hat ihre Tore noch bis morgen Abend geöffnet und wartet erneut mit zusätzlichen Formaten, neuen Locations und noch mehr Programm auf mittlerweile 27 Bühnen auf.

tl;dr, Internet-Slang für too long; didn‘t read, so das Motto der diesjährigen Netzkonferenz, die sich damit dem Kleingedruckten widmen will, der Komplexität der Langform, der kritischen Recherche. Denn in der uns umgebenden Flut von Informationen und Eindrücken neigen wir nur allzu oft zu Vereinfachungen, Verkürzungen und Auslassungen.

Und das nicht nur im Digitalen, hob Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede zur Eröffnung der re:publica hervor. Das Motto sei ein „Weckruf an die politische Debattenkultur“ ganz allgemein, der politische Diskurs im Internet dabei fester Bestandteil der Demokratie. „Demokratie kann in Zukunft nur gelingen, wenn sie auch digital gelingt. Wir müssen uns gemeinsam um die politische Debattenkultur im Netz kümmern“, forderte Steinmeier. Der 70. Geburtstag des Grundgesetztes erinnere uns außerdem daran, dass Freiheiten auch Regeln bräuchten, „mit der Meinungsfreiheit komme auch die Meinungsverantwortung“. Und, an die großen Plattformplayer Facebook, Youtube und Co. gerichtet: „Wer mit einer Plattform einen politischen Diskursraum schafft, der trägt auch Verantwortung für die Demokratie“. Diese Verantwortung müssten die Plattformen endlich wahrnehmen, stellte der Bundespräsident klar.

Too long; didn‘t read, zu lang; nicht gelesen: Ein wenig passt das diesjährige Motto auch zum Programm der re:publica selbst. Die Macher*innen mussten dem Ansturm von mehr als 19.500 Besucherinnen und Besuchern im letzten Jahr Rechnung tragen und haben die Veranstaltung um neue Locations und damit noch mehr Programm erweitert. Zusätzlich zur STATION Berlin und dem Kühlhaus findet die re:publica diesmal auch im Deutschen Technikmuseum und dem dazugehörigen Museumspark sowie im neu eröffneten Coworking- und Eventspace B-Part am Gleisdreieck statt. Dort können die Besucher*innen an Movie-Nights teilnehmen, sich bei Yoga- und Meditationskursen vom Festivaltrubel erholen oder ein Flugtaxi bestaunen.

Erstmals findet in diesem Jahr auch die Jugendkonferenz TINCON zeitgleich zur re:publica statt. Im Kühlhaus dreht sich dabei alles um Medienkompetenz, Bildung und Ausbildung. Auch die Berufswahl- und Ausbildungsmesse „Jetpack“ gehört zum Event. „Erwachsene“ Jobsuchende können sich dagegen in der ebenfalls neuen re:cruiting area in der STATION Berlin bei Unternehmen wie Lab1886, Volkswagen We oder TUI informieren oder sich per Video oder Postkarte auch gleich direkt den HRlern vorstellen.

Ein Glück ist es da, dass das Programm der Bühnen 1,2,6 und 7 live gestreamt und auch die Aufzeichnungen fast aller anderen der insgesamt 500 Programm-Sessions zeitnah auf dem Youtube-Channel der re:publica zur Verfügung gestellt werden. Und wer die Konferenz ohnehin eher der Community und des Networkings wegen schätzt, der hat in diesem Jahr die Möglichkeit, mit einem Abendticket für nur 10 Euro pro Abend ab 18 Uhr Zugang zum gesamten re:publica-Gelände zu bekommen.

Weitere aktuelle Beiträge

Medien erzeugen Polarisierung

„Polarisierungen werden politisch und medial erzeugt“, so der Soziologe Steffen Mau in seiner Keynote auf der Jahrestagung der DGPuK in Berlin, wo etwa 500 Kommunikationsforschende über „Werte“ diskutierten. Angesichts von globaler Klimakrise, Corona-Pandemie oder Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten ging es darum, inwieweit Medien noch Orte der Aushandlung zentraler Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Sicherheit, Solidarität und Wahrheit sind und zur demokratischen Willensbildung beitragen können.
mehr »

Freund oder Feind der Demokratie?

Soziale Medien ermöglichen Aktivismus – und gleichzeitig sehen in einer NDR-Umfrage vom Februar knapp zwei Drittel darin eine Gefahr für die Demokratie. Zur diesjährigen Leipziger Buchmesse diskutierte eine Gesprächsrunde des Schriftsteller*innen-Verbandes in ver.di (VS) unter dem Motto „Demokratiefeind Social Media?“, ob und wie Social Media reguliert werden könnte.
mehr »

Mehr Vielfalt statt Einfalt im TV

Die vielfach ausgezeichnete Britcom „We Are Lady Parts“ über eine islamische Mädchen-Punkband in London ist eines der vielen Beispiele von „Diversity“-Formaten, die in der Coronazeit einen regelrechten Boom erlebten. Die neue zweite Staffel der Comedy war vor kurzem für den renommierten Diversify TV Awards nominiert. Deutsche Anwärter waren diesmal nicht vertreten.
mehr »

WDR mit Altersgrenze

Ist eine Beendigung der Tätigkeit beim WDR aus Altersgründen eine Diskriminierung? Diese spannende juristische Frage könnten Gerichte mit Hilfe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) klären. M sprach mit einem Arbeitsrechtler, der eine Klage von Betroffenen auf Schadenersatz für „nicht aussichtslos“ hält.
mehr »