Schwieriger Grenzgang

Wann dürfen oder müssen sogar Minderheiten im Zusammenhang mit Straftaten öffentlich benannt werden? «M» befragte dazu Professor Christian Pfeiffer.

Der bundesweit bekannte Kriminologe Professor Christian Pfeiffer beschäftigt sich seit seinem Studium mit dem Thema Ausländer und Kriminalität. Er diskutiert dabei öffentlich Probleme wie Ehrenmorde in türkischen Familien oder Drogenkriminalität junger Aussiedler. Er leitet seit 1988 als Direktor das Kriminologische Institut Niedersachsen in Hannover. Von Ende 2000 bis Anfang 2003 war Christian Pfeiffer niedersächsischer Justizminister. Er ernannte erstmals eine Deutsche türkischer Herkunft zur Richterin und holte auch Deutsche ausländischer Herkunft in hohe Justizfunktionen.

M |  Können Sie nachvollziehen, dass Vertreter der Sinti und Roma gegenüber dem WDR als ausstrahlendem Sender einen Beitrag im ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ über Roma in Bulgarien als „rassistisch“ kritisiert haben?

CHRISTIAN PFEIFFER | Der Beitrag ist in kei­ner Weise rassistisch. Ich kann nachvollziehen, dass man aufgeregt reagiert, weil es nicht schön für Angehörige der Sinti und Roma ist, so etwas sehen zu müssen. Aber das sind die Fakten, die hier nüchtern und sachlich beschrieben wurden. Das muss die betroffene Gruppe aushalten. In den Filmen ist differenziert genug darauf hingewiesen worden, dass diese Kriminalität unter ganz spezifischen Bedingungen in Bulgarien entsteht. Nämlich durch die massive Benachteiligung von Sinti und Roma. Aber wir sollten uns nicht nur im Eigeninteresse, sondern vor allem im Sinne der dortigen Sinti und Roma von hier aus dafür einsetzen, dass diese Probleme in Bulgarien gelöst werden. Deshalb müssen die Ursachen ehrlich durch freie Medien benannt werden. Was die „Plusminus“-Redaktion gemacht hat, war ein notwendiges Hinweisen auf Probleme, die in unserer Nachbarschaft existieren, und die auf uns zurückwirken.

M | Wo sehen Sie Grenzen für die Benennung ethnischer Gruppen in der Berichterstattung?

PFEIFFER | Wenn‘s nichts Typisches ist. Eifersuchtsmord, der kann überall passieren, der passiert auch bei Deutschen. Steuerhinterziehung passiert auch bei den Deutschen. Bei vielen Delikten, die nichts mit der spezifischen sozialen Lage zu tun haben, die nicht Ausdruck einer spezifischen Benachteiligung sind, da denke ich, ist völlig neutral zu sagen, da hat es einen Konflikt gegeben zwischen einem 35jährigen Mann und seiner Freundin, und damit hat sich‘s. Aber die Ergänzung, dass man dann sagt: Es war ein Türke, der mit einem Messer auf seine Schwester eingestochen hat, weil sie sich von der Familie entfernt hat und mit einem Deutschen liiert sein will. Dann braucht man diesen Hinweis, dass es der türkische Bruder war, weil das unter Deutschen nicht üblich ist.

Das ist schon manchmal ein schwieriger Grenzgang. Nicht immer ist es offenkundig, ob es richtig ist, in Zusammenhang mit Straftaten die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe zu benennen. Da ist der Journalist immer aufgefordert, eine Abwägung vorzunehmen und zu prüfen, ist das jetzt kennzeichnend für die besonderen Probleme dieser Gruppe oder nicht?

M | Nun hat ja der WDR auf die Kritik des Zentralrats der Sinti und Roma so reagiert, dass er erklärt hat, er ziehe den beanstandeten Beitrag zurück. Ist das nachvollziehbar?

PFEIFFER | Ich halte das gegenüber den Journalisten für nicht gerechtfertigt. Das ist eine politische Entscheidung, die von der Intendanz des WDR getroffen wurde, um Ärger nach außen zu vermeiden. Das ist eine Ängstlichkeit des Senders, der hier einen Konflikt einfach scheut und dann klein beigibt. Wenn das einreißen würde, dann wäre das eine bedenkliche Geschichte. Denn wo kämen wir hin, wenn wir beispielsweise nicht mehr darüber reden dürften, dass die Ehrenmorde in türkischen Familien passieren oder dass jeder dritte männliche Tatverdächtige eines schlichten Heroindelikts in Niedersachsen ein männlicher Aussiedler der Altersgruppe 14 bis 30 ist. Das sind Informationen über Besonderheiten im Tatverhalten von bestimmten ethnischen Gruppen, die öffentlich angesprochen werden müssen.

M | Welche Reaktion des WDR auf die Kritik der Vertreter der Sinti und Roma halten Sie für angemessen?

PFEIFFER | Der WDR hätte darauf bestehen müssen, diese Probleme zu benennen. Das ist Auftrag von Fernsehen, von Zeitungen, damit die Dinge sich ändern. Er hätte besser die Position einnehmen sollen: Wir stehen auf der Seite der betroffenen Gruppen, die in Elend in Bulgarien leben und wollen helfen, dass es dort besser wird. Wenn man als Reaktion auf den Rassismusvorwurf mit einer solchen Argumentation in die Öffentlichkeit gegangen wäre, dann, denke ich, hätte die Redaktion von „Plusminus“ einen Anlass gehabt, sich über die Solidarität ihrer Chefs zu freuen. So dagegen haben diese unter dem Druck klein beigegeben, aus Sorge um schlechte Schlagzeilen. Ich würde dafür werben, dass man gemeinsam eine Kampagne macht für bessere Lebensbedingungen von Sinti und Roma in Bulgarien. Auch damit das nicht auf uns ausstrahlt, vor allem aber damit diese Kinder bessere Chancen haben, ein anderes Leben zu führen als das von Klaukindern.

Das Gespräch führten H – C Schultze und Gregor Witt

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Recherchen für die Demokratie

Die Uhr tickt – politisch und ökologisch. „Der Ton wird rauer, die Angriffe intensiver“, so NDR-Intendant Joachim Knuth im Begrüßungsgespräch mit Daniel Drepper, dem Vorsitzenden der Journalist*innenvereinigung Netzwerk Recherche (NR), die ihre Jahreskonferenz unter das Motto stellte: „Now is the time. Recherchen für die Demokratie“. Etwa 900 Teilnehmende trafen sich beim NDR Fernsehen in Hamburg zu Austausch und Debatte über die Rolle der Medien in Zeiten des politischen Rechtsrucks und der Klimakrise. 
mehr »

Reformstaatsvertrag: Zweifel am Zeitplan

Der Medienrechtler Dieter Dörr bezweifelt, dass es den Bundesländern gelingt, sich gemäß ihrer Planungen bis Ende Oktober auf einen Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verständigen. Er halte „diesen Zeitplan, um es vorsichtig auszudrücken, für ausgesprochen optimistisch“, sagte Dörr auf M-Anfrage. Nach dem bisherigen Fahrplan sollte der Reformstaatsvertrag dann bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2024 unterzeichnet werden.
mehr »

Reform oder Abrissbirne im Hörfunk

Die Hängepartie um Finanzierung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) geht weiter. Nach wie vor sträuben sich ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten, der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für eine Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro zu folgen. Bis Oktober wollen die Länder einen Reformstaatsvertrag vorlegen, um künftig über Sparmaßnahmen Beitragsstabilität zu erreichen. Einzelne ARD-Sender streichen bereits jetzt schon ihre Hörfunkprogramme zusammen.
mehr »

Filmschaffende kriegen künftig mehr

In der achten Tarifverhandlungsrunde für die rund 25.000 Filmschaffenden haben sich die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), die Schauspielgewerkschaft BFFS und die Produktionsallianz auf Eckpunkte einer vorläufigen Tarifeinigung verständigt. Doch nicht alle Verhandlungsthemen konnten geklärt werden. Die Frage nach der Regelung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Film wurde verschoben.
mehr »