Die „tageszeitung“ (taz) möchte der Stadt Bremen eine kleine Innenstadtfläche abkaufen, um dort ein Mahnmal zur Erinnerung an die NS-Vergangenheit der internationalen Spedition Kühne + Nagel aufzustellen. Doch Bremens rot-grüne Koalition hat das aus Spendengeldern finanzierte Kaufangebot jetzt abgelehnt. Eine Geschichte um Vergangenheitsbewältigung und journalistisches Selbstverständnis.
Es geht nur um vier Quadratmeter, aber sie sind zum Politikum geworden – vier Quadratmeter am Rande der Innenstadt, auf denen die „taz“-Lokalredaktion Bremen ein bundesweit vermutlich einmaliges „Arisierungs“-Denkmal errichten möchte. Es soll daran erinnern, dass der 1890 in Bremen gegründete Logistikkonzern Kühne + Nagel (K + N) ein Profiteur der Judenverfolgung war.
Ab 1942 hatten die Nazis fast 70.000 Wohnungen von verschleppten Juden in Frankreich und den Benelux-Staaten geplündert. K + N, so fanden Historiker heraus, habe im Staatsauftrag bereitwillig mit Hunderten von Frachtschiffen und Güterzügen die Möbel der Naziopfer nach Deutschland transportiert, wo sie dann versteigert oder an Ausgebombte verteilt worden seien. Damit habe das Unternehmen „eine Form der Leichenfledderei“ betrieben, fand Frank Bajohr vom Münchener Zentrum für Holocaust-Studien. Und der Historiker Jaromir Balcar sprach von Hinweisen, dass die Firma damals sogar Konkurrenten von diesem lukrativen Geschäft ferngehalten, also quasi ein Monopol innegehabt habe.
Aus Anlass des 125. Geburtstages von K + N berichteten vor allem die „taz“ und der Bayerische Rundfunk ausführlich über das Geschäftsgebaren des „nationalsozialistischen Musterbetriebs“ mit „Gau-Diplom“. Der Bremer „taz“-Kulturredakteur Henning Bleyl forschte dafür ausgiebig in ukrainischen und kanadischen Online-Archiven und fand dabei heraus, dass der jüdische Mitinhaber Adolf Maass die Firma bereits im April 1933 verließ. Die Brüder Alfred und Werner Kühne waren fortan Alleininhaber – Redakteur Bleyl nennt das „’Arisierung’ im eigenen Haus“.
Die Spedition, die ihren Hauptsitz 1969 in die Schweiz verlegt hat und eine der größten der Welt ist, hatte ihre NS-Vergangenheit zunächst verschwiegen. Nach den ersten Enthüllungen verleugnete sie die „Relevanz“ ihrer Tätigkeit, später übte sie sich in Beschönigungen: Wie auch andere Firmen sei K + N in die Kriegswirtschaft eingebunden gewesen „und musste in dunklen und schwierigen Zeiten seine Existenz behaupten“ – auch mit Versorgungslieferungen für die Armee und mit den Transporten von beschlagnahmten Möbeln politisch und rassisch Verfolgter. „Kühne + Nagel ist sich der schändlichen Vorkommnisse während der Zeit des Dritten Reiches bewusst und bedauert sehr, dass es seine Tätigkeit zum Teil im Auftrag des Nazi-Regimes ausgeübt hat.“ Dabei seien aber auch „die seinerzeitigen Verhältnisse in der Diktatur“ zu berücksichtigen, fand die Firma.
So einfach wollte die „taz“ das Unternehmen nicht davonkommen lassen. Sie machte sich zu Nutze, dass die Spedition ihre Bremer Niederlassung abreißen und durch einen größeren Neubau ersetzen will, wofür sie auch ein städtisches Nachbargrundstück braucht, genau 971 Quadratmeter. Vier davon sollten doch wohl für ein Mahnmal übrig sein, fand die Zeitung und machte der Stadt ein offizielles Kaufangebot für diese kleine Ecke. Sogar ein besonders attraktives Angebot: Die „taz“ bot 2.000 Euro pro Quadratmeter, gut das Doppelte des mit K + N ausgehandelten Preises.
Das nötige Geld beschaffte sich die Redaktion durch einen Spendenaufruf. In nur drei Wochen stiftete die Leserschaft genau 26.009,37 Euro. Doch der grüne Bausenator Joachim Lohse und die Baudeputation der Bürgerschaft haben das Kaufangebot jetzt abgelehnt: Die Hansestadt wolle das Grundstück nur komplett und nur für ein Bürogebäude verkaufen.
Die „taz“ hatte auch kaum anderes erwartet, denn welche Stadt traut sich schon, einer Firmengruppe mit 1.500 lokalen Arbeitsplätzen die Stirn zu bieten. Aufgeben will die Zeitung aber noch nicht: Sie sammelt weiterhin Ideen für ein Mahnmal und hofft darauf, dass die Stadt zumindest in der Nähe des Neubaus eine Fläche dafür bereitstellt. Wenn das alles nicht klappt, gehen die Spendengelder an die Jüdische Gemeinde in Bremen zur Unterstützung älterer bedürftiger Mitglieder.
Die „taz“-Aktion wirft auch berufsethische Fragen auf. Dürfen Journalisten so massiv als politische Akteure auftreten? „Das darf man tun, wenn man die Erfahrung gemacht hat, trotz präziser, wiederholter Berichterstattung über ein volles Jahr hinweg auf Granit zu beißen“, findet Redakteur Bleyl. „Crowdfunding gehört zwar nicht ins normale Arbeitsprofil eines Journalisten“, räumt er ein. Aber die Grundstückskauf-Aktion sei „eine im Ausnahmefall mögliche Fortsetzung der wiederholten Berichterstattung – ein anderes Vehikel, um die Inhalte zu transportieren“.
Der studierte Kulturwissenschaftler verteidigt auch das Vorgehen, alle Berichte über die Spendenaktion und über den umstrittenen Konzernneubau selber zu schreiben, obwohl er Initiator der Aktion war und auch mit der Stadt über den Grundstückskauf verhandelt hat. In der kleinen „taz“-Lokalredaktion wäre das personell nicht anders zu schaffen gewesen, meint der 47-Jährige. Sonst wäre die Aktion gar nicht zustande gekommen.
Jedenfalls findet Bleyl das Vorgehen der „taz“ journalistisch angemessener als das des „Weser-Kuriers“ (WK): Die größte Bremer Zeitung hat bisher nur am Rande über die NS-Vergangenheit des Konzerns und über die Denkmal-Initiative berichtet – ganz anders als überregionale Medien bis hin zum Deutschlandfunk. Das soll sich allerdings endlich ändern, wie WK-Chefredakteur Moritz Döbler auf Nachfrage ankündigt: „Aus Anlass der Pläne für einen Neubau planen wir eine größere Berichterstattung zur Vergangenheit von Kühne + Nagel, bei der die „taz“-Aktion eine Rolle spielen wird.“