Verhaltenskodex für WAZ-Journalisten

Betriebsräte forderten Mitbestimmung und Sitz im Ombudsrat ein

Ein „Verhaltenskodex“ für die Tageszeitungen der WAZ-Mediengruppe soll „den hohen Qualitätsanspruch an die journalistische Arbeit“ dokumentieren und gleichzeitig „die Unabhängigkeit der Redaktion“ sichern. Die 6-seitige Selbstverpflichtung unter anderem zur klaren Trennung von journalistischer Nachricht und Werbung, zur aktiven Abwehr inhaltlicher Einflussnahmen von Werbe­kunden und anderen Interessierten auf die Re­daktion, zur Einhaltung der geltenden Tarifverträge und Achtung der Publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserates wurde jetzt unterzeichnet. Übrigens auch von den Betriebsräten der nordrhein-westfälischen WAZ-Tageszeitungen.

Den Zeitungsbetriebsräten von Westdeutscher Allgemeiner Zeitung (WAZ), West­fälischer Rundschau (WR), Westfalenpost (WP) und Neuer Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung (NRZ) war es quasi in letzter Minute gelungen, noch Passagen von für sie entscheidender Bedeutung in den Kodex hinein zu verhandeln. Diese Regelungen garantieren die nötige Transparenz und den Betriebsräten unter anderem einen Sitz im Ombudsrat, der in Streitfällen um das Trennungsgebot und die journalis­tische Unabhängigkeit in Aktion treten wird. Gleichzeitig schreiben sie im Fall von Auseinandersetzungen das volle Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte jedes einzelnen Zeitungstitels fest und stellen zudem sicher, dass die konkreten Ausführungsbestimmungen zum Kodex nun in einer Betriebsvereinbarung dokumentiert werden. Nur so war es den Belegschaftsvertretern möglich, den „Verhaltens­kodex“ zu unterzeichnen – und damit ihr zuvor missachtetes Mitbestimmungsrecht wahrzunehmen. Die Betriebsräte waren von Geschäftsführung und Chefredak­teuren nämlich zunächst nicht an der Erarbeitung des Kodex beteiligt worden. Interventionen aller vier Betriebsräte der WAZ-Zeitungen in NRW und der Hinweis, dass ein solcher, mit arbeitsrechtlich relevanten Sanktionen bewehrter ­Kodex dem Charakter nach eine Betriebsordnung und damit in vollem Umfang mitbestimmungspflichtig sei, führte zu ­einem Umdenken und zu den Nachverhandlungen.

Der „Weiße Saal“ in der altehrwürdigen Philharmonie Essen war am 2. Mai festlich geschmückt. WAZ-Gesellschafter und -Geschäftsführung hatten eingeladen. Ein „schöner Tag, ein ­guter Anlass“ sollte gefeiert werden, wie es Bodo Hombach, der Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, formulierte. Später wurde er deutlicher: Der „Verhaltenskodex“ sei „ein weiteres Element in der Kette von Qualitätsanforderungen“ an die Redaktionen – und dies wiederum sei Grundvoraussetzung dafür, dass Medien ihre „demokratiestabilisierende Rolle“ beispielsweise als „disziplinierende Instanz gegenüber Politikern und anderen öffentlich wie wirtschaftlich Handelnden“ spielen könnten. Hombach, auch Geschäftsführer der Brost-Holding, wörtlich: „Wir wollen nicht nur mit der Auflage, wir wollen auch auf dem Gebiet der journalistischen Qualität einen Spitzenplatz.“ In diesem Zusammenhang geißelte Hombach „den Schwächeanfall der EU-Kommission“. Die wolle „nach einem klaren Verbot der Schleichwerbung diese künftig in Teilen erlauben – das empfinden wir als verheerend.“

„Freiheit vor fremden Herren“

Zuvor hatte bereits Dr. Stephan Holthoff-Pförtner als Bevollmächtigter der Funke-Familien-Gesellschaft die Bedeutung des „Verhaltenskodex“ unterstrichen: Unabhängigkeit in der journalistischen Arbeit bedeutet „Freiheit vor fremden Herren“ – Gefälligkeitsjournalismus auch für Unternehmen mit aufwändigen Anzeigenschaltungen „darf nicht sein“, beschädige nachhaltig die Glaubwürdigkeit von Medien und „die Autorität der vierten Gewalt im Staate“. Holthoff-Pförtner wörtlich: „Korrumpierter Journalismus hat für mich die gleiche Qualität wie ein korrupter Minister, ein durch Lobbyisten-Einfluss geändertes Gesetz oder ein gekauftes Urteil.“
Gastredner Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserates, gratulierte „zu diesem Werk“. Der Kodex sei zwar nicht der erste seiner Art, aber der, „der mit der breitesten Verlagsunterstützung präsentiert wird“. Der Einsatz von Verlagen für die Unabhängigkeit der Re­daktion sei längst nicht selbstverständlich. Und deshalb freue er sich, dass der Kodex der WAZ-Gruppe einen Beitrag leiste, „der schleichenden Indienstnahme von Journalisten“ für andere als journalistische Zwecke vorzubeugen. „Selbstgesetzte Regeln erhöhen die Glaubwürdigkeit und stärken bei Zeitungen die Leser-Blatt-Bindung.“ Für Redaktionen sei es wichtig Verhaltensregeln zu haben, Leitlinien für die Arbeit. Und daher, so Tillmanns, zeige der WAZ-Kodex auch, dass der Hinweis „eines journalistischen Netzwerkes, Journalisten machten keine PR“ zwar kurz sei, aber nicht ausreiche.

Unterzeichner des „Verhaltenskodex“

Anneliese Brost und Gisela Holthoff (Gesellschafte­rinnen der WAZ-Mediengruppe).
Dr. Stephan Holthoff-Pförtner (Bevollmächtigter der Funke-Familien-Gesellschaft), Bodo Hombach (Geschäftsführer der WAZ-­Mediengruppe und Geschäftsführer der Brost-Holding), Wilfried Goosmann (Geschäftsführer der Zeitungsgruppe Thüringen), Peter Imberg (Geschäftsführer des Braunschweiger Zeitungsverlages), Ulrich Reitz (Chefredakteur der WAZ), Klaus Schrotthofer (Chefredakteur der Westfälischen Rundschau), Dr. Richard Kiessler (Chefredakteur der NRZ), Bodo Zapp (Chefredakteur der Westfalenpost), Sergej Lochthofen (Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen), Ullrich Erzigkeit (Chefre­dakteur der Ostthüringer Zeitung), Hans Hoffmeister (Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung), Paul-Josef Raue, (Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung), Ulrich Lutz (Chefredakteur der Saale-Zeitung), Daniela Röllinger (Chefredakteurin „Die Kitzinger“), Knut Pries (Leiter des Internationalen ­Büros in Brüssel), ­Katharina Borchert (Chefredakteurin On­line), Manfred Kraemer (Hauptanzeigen­leiter), Chris­toph Meinerz (Vorsitzender des Sprecherausschusses der Leitenden Angestellten) und die Betriebsratsvorsitzenden Sigrid Krause (WAZ), Malte Hinz (WR), Markus Peters (NRZ) und Volker Dörken (Westfalenpost).

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