Wie Rechte die #MeToo-Debatte kapern

Paneldiskussion zur "Indienstnahme von Frauenrechten durch rechte Akteur*innen": Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Shari Adlung, Julia Goldmann und Martina Thiele (v.l.n.r.)
Foto: Lennart Stock (Universität Tübingen)

Der Hashtag #MeToo gibt Frauen eine Stimme, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Die „120-Decibel-Kampagne“ hingegen, Hashtag #120db, konterkariert ihre Erfahrungen, indem sie sie für rassistische Ideologien Rechtsextremer instrumentalisiert. Wie Online-Medien emanzipatorische Positionen transportieren können und wie Rechte feministische Medienpraktiken kapern – darum ging es Ende September auf einer Tagung am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen, die mediale Teilhabe aus feministischer Perspektive beleuchtete.

Mit Rekurs auf Chemnitz skizzierte die Tübinger Medienprofessorin Tanja Thomas in ihrer Begrüßung, wie Medien zur Instrumentalisierung sexueller Gewalt beitragen. Die Bildzeitung hatte das Gerücht kolportiert, dass der Streit, in dessen Folge ein Deutscher getötet wurde, durch die Belästigung einer Frau ausgelöst worden sei. Emma online befragte fünf Frauen in Chemnitz, u.a. eine junge Türkin, die Angst vor Ausländern hat. Der Artikel wurde von der taz kritisiert, von den Rechten in Massen geliked. Thomas kritisierte die „Komplizenschaft mit Rechtsextremen“ von Medien, die durch Rückbezug auf Identität immer wieder dem deutschen Wir das „andere“ Ihr gegenüberstellten und so im Diskurs über sexualisierte Gewalt Ängste auf den „fremden Mann“ auslagerten.

Die Verschränkung von Frauenrechten und Rassismus wurde deutlich am Beispiel der „120-Decibel-Kampagne“ Identitärer Frauen, die nach der Lautstärke eines handelsüblichen Taschenalarms benannt ist. Auf der Berlinale störten sie mit dem Taschenalarm eine Veranstaltung von #MeToo zu sexueller Belästigung in der Filmbranche. Online kopierten sie den feministischen Hashtag mit ihrem #120db als einen „Aufschrei gegen importierte Gewalt“ in Form gesammelter Erfahrungsberichte genauso wie mit dem Anfang 2018 ins Netz gestellten Video “Frauen wehrt euch!“

Martina Thiele analysiert das Video „Frauen wehrt euch!“
Foto: Lennart Stock (Universität Tübingen)

Die Salzburger Genderforscherinnen Julia Goldmann und Martina Thiele analysierten das #120db-Video. Es zeigt Frauen der Identitären Bewegung, die sich zu Stellvertreterinnen von Opfern sexualisierter Gewalt stilisieren. Sie bezeichnen sich als „Töchter Europas“, die bedroht werden von „fremden Männern aus archaischen, frauenfeindlichen Gesellschaften“. „Weil ihr uns nicht schützt, weil ihr euch weigert, Straftäter abzuschieben“, so suggeriert die „Rhetorik der Angst“, könnten Frauen abends nicht mehr im Park joggen gehen ohne überfallen zu werden. Diese rechte Ideologievermittlung bedient sich formal linker Medienpraktiken wie jener, „Opfern eine Stimme zu geben“, wenn die Bildsequenzen etwa wie Zeitzeugendokus inszeniert werden.

Wie die Identitären mit Hashtag und Video an gesellschaftliche und mediale Diskurse anknüpfen, verdeutlichten die Salzburger Genderforscherinnen Elisabeth Klaus und Ricarda Drüeke. Sexualisierte Gewalt erscheine nicht als Folge von Macht- und Herrschaftsverhältnissen innerhalb einer Gesellschaft, sondern wird „den anderen“ zugeschrieben. „Die Täter lauern überall“ verweist die Frauen – “Mutter der Nation“ und „Töchter Europas“ – auf den häuslichen Raum bzw. auf Europa als „Gemeinschaft mit kultureller Identität“, die von anderen, insbesondere muslimischen Kulturen bedroht wird.

Wie das den politischen Rechtsruck in vielen europäischen Staaten stützt, zeigten die Referentinnen am Beispiel Österreich, wo das einst fortschrittliche, bereits 1997 verabschiedete „Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie“ passend zum vorherrschenden Sicherheitsdiskurs der Regierung Kurz „umgedeutet und umgeschrieben wird“. Obwohl die Delikte häuslicher Gewalt deutlich gestiegen sind, so Elisabeth Klaus, würden Zuschüsse für Frauenhäuser und feministische  Projekte gekürzt. Gleichzeitig verstärke das Innenministerium den Eindruck, dass Gewalt gegen Frauen vor allem von „fremden Männern“ im öffentlichen Raum verübt werde – etwa durch folgende Anweisung für die Pressearbeit: „Wenn es sich um eine reine familieninterne Tat handelt, so kann selbstverständlich nach wie vor von einer Veröffentlichung abgesehen werden.“

Die Berliner Medienforscherin Shari Adlung hat die Tweets unter dem Hashtag #120db zwischen Januar und Juni 2018 analysiert und festgestellt, dass alle Akteur_innen „aus dem völkisch-rechtsextremen Umfeld stammen, darunter viele Männer“. Durch „künstliche Reichweitenverstärkung“ würde bei vielen Tweets eine große Öffentlichkeit suggeriert, so Adlung. Die haben sie aber nicht, stellte die Münchner Internetforscherin Hanna Klimpe fest, als sie untersuchte, inwieweit es Rechtsextremen durch Trolling gelingt, feministische Hashtags zu kapern. Eine Twitteranalyse von #sexismusinparteien (2016) und  #MeToo (2017) ergab, dass sich relativ wenige Trolle der beiden Hashtags bedienten, um anti-muslimische Hetze zu verbreiten.  Problematisch seien allerdings subtile Versuche, Netzfeminismus zu skandalisieren, indem dessen Vertreterinnen „Wahrnehmungsstörungen“ unterstellt würden. Klimpe resümierte, Twittertrolle belasteten User_innen zwar, hätten aber nur wenig Einfluss auf die inhaltliche Debatte: „Es sind nur ein paar Leute, die laut schreien.“

Das machte genauso Mut wie die vielen positiven Beispiele feministischer Online-Aktivitäten, die Stine Eckart, Kommunikationswissenschaftlerin an der Wayne State University in Detroit, in ihrer Keynote vorstellte. Hashtag-Kampagnen wie #IndiaNeedsFeminism oder #100Jahre Frauenwahlrecht machten Machtmechanismen entlang von Gender, Abstammung und anderen Kategorien sichtbar. #MeToo werde dabei nicht nur global eingesetzt, sondern beleuchte auch unterschiedliche Gesellschaftsbereiche wie etwa Missbrauch in der Katholischen Kirche unter #CatholicMeToo . Solche Kampagnen strahlten zudem über den Online-Diskurs hinaus. So berichte die New York Times regelmäßig in einem Newsletter über MeToo. Der Women’s March gegen Trump war 2017 „in allen Nachrichtenmedien“. Online- und Offline-Aktivitäten müssten zusammen gedacht und gebracht werden genauso wie Feministinnen unterschiedlicher sozialer Schichten, ethnischer Herkunft oder Generationen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Alternative Medien

Luis Paulitsch ist ehemaliger Referent des österreichischen Presserats. Er forscht und publiziert in Fachzeitschriften zu medienethischen und zeitgeschichtlichen Themen. Sein aktuelles Buch beschäftigt sich eingehend mit dem Aufstieg von Medien, die den zahlreichen rechtspopulistischen und faschistischen Strömungen ein Forum bieten und damit ihren Teil zu deren politischen Erfolgen beigesteuert haben.
mehr »

USA: Gefährliche Berichterstattung

Zahlreiche Journalist*innen wurden während der Berichterstattung über die Demonstrationen in Los Angeles in der vergangenen Woche angegriffen, festgenommen und in ihrer Arbeit massiv behindert. Presserechtsgruppen verklagen nun die Polizei. Bei den Angriffen soll es sich um gezielte Attacken haben. Auch Reporter ohne Grenzen fordert eine Aufklärung aller dokumentierter Fälle.
mehr »

Innovatives Arbeiten im Journalismus

Flache Hierarchien, flexible Workflows und rollenbasierte Teamarbeit sind Kernelemente von agilem Arbeiten. Das Konzept stammt aus der Softwareentwicklung und hält inzwischen auch im Journalismus Einzug. Die Studie „Agiles Arbeiten im Journalismus: Einführung, Anwendung und Effekte von agilen Methoden in deutschen Medienhäusern“ untersucht, wie deutsche Medienhäuser agile Arbeitsmethoden in den redaktionellen Arbeitsalltag integrieren.
mehr »

Rundfunkfinanzierung in der Sackgasse

Bisher war Einstimmigkeit gefordert, wenn es um rundfunkpolitische Fragen ging. Die Ministerpräsident*innen der Länder sollen gemeinsam agieren, zum Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Kein einfaches Unterfangen, wenn es um das Thema Rundfunkfinanzierung geht. Dass diese Praxis nun überarbeitet wird, ist Ausdruck einer Krise – wenn nicht der Demokratie, dann doch zumindest der Rundfunkpolitik der Länder.
mehr »