Neue journalistische Vermittlungsformen gefragt
Dass im Zeitalter des Internet die bisherigen Geschäftsmodelle privatwirtschaftlicher Medien obsolet werden, darf mittlerweile als Gemeinplatz gelten. Dabei hatten viele Medienakteure hierzulande die Augen lange vor den sich abzeichnenden Folgen der digitalen Revolution geschlossen. Erst als die ersten Meldungen über Insolvenzen von US-Institutionen wie der Tribune Company, immerhin Verlegerin der Los Angeles Times, über den großen Teich zu uns drangen, begannen bundesdeutsche Verleger und Journalisten zu begreifen, was auf sie zukommt.
Nach einer gewissen Schockstarre macht sich jetzt wieder vorsichtiger Optimismus breit. Neuer Hoffnungsträger ist Apples iPad und artverwandte Touchscreen-Geräte. Mit solchen neuen Trägermedien hoffen die gebeutelten „Holzmedien“ einen sanften Übergang in die digitale Medienära zu schaffen. Für die Autoren des vorliegenden Bandes ist dieser Ansatz zu kurz gegriffen. Beim Netz handle es sich nicht nur um einen neuen Verwertungskanal. Es gehe vielmehr um eine „neue Öffentlichkeit“, die nach ganz eigenen, zugeschnittenen journalistischen Arbeitsweisen und Vermittlungsformen verlange.
Wohin die Reise gehen könnte, haben die Autoren des Bandes „Digitale Mediapolis“ im Herbst 2009 auf einer Studienfahrt durch die USA untersucht. Gezielt angesteuert wurden Orte, „wo die Nerds und Geeks der Online-Publizistik auf die Großjournalisten der etablierten Verlagshäuser Amerikas treffen und wo die Aufbruchsstimmung der Netzöffentlichkeit am kenntlichsten ist“, heißt es im Vorwort von Weichert/Kramp. Besucht wurden unter anderem Forschungs- und Ausbildungsstätten wie das Pew Research Center für The People & the Press oder die Journalistenschule an der Annenberg School für Communication & Journalism an der University of Southern California. Vorstellig wurden sie aber auch bei Medien wie der L.A. Times, dem innovativen Magazin Wired, dem investigativen Recherchebüro ProPublica, der Entwicklungsredaktion Studio 20 der New York University und dem Online-Politportal Politico.
Bei den 14 in diesem Band vereinten Interviews handelt es sich um die überarbeitete Fassung von Expertengesprächen, die bereits im vergangenen Jahr als Serie im Ressort „Digital“ bei Focus Online unter der Leitung von Alexander von Streit erschienen sind. Das Spektrum der Interviewten reicht vom unvermeidlichen Jeff Jarvis über Darrell Kunitomi von der L.A. Times bis zu Pulitzer-Preisträgerin Geneva Overholser. Schon die Überschriften („Journalisten dachten, sie seien Hohepriester“, „Das Internet macht uns zu Demagogen“) deuten kontroversen Lektürestoff an. Diese Verheißung wird durchaus eingelöst. Etwa wenn Blogger Andrew Keen behauptet, es gebe „keine Medienkrise, es gibt nur eine Krise der alten Informations-Silos“. Seine Prognose: In 20 Jahren werde es keinen Unterschied mehr geben zwischen Fernsehen und Zeitungen, Radio und Büchern.
Titel
Stefan Weichert/Leif Kramp/Alexander von Streit:
Digitale Mediapolis. Die neue Öffentlichkeit im Internet.
Herbert von Halem Verlag.
Köln 2010,
218 Seiten,
18 Euro.