„Der Buchmesser“ – Kurze Erzählung vom Ende des Erzählens
Vielleicht ist es einfacher, zunächst zu erklären, was ein „Buchmesser“ – immerhin ein geschützter Begriff – alles nicht ist: Nämlich weder ein Präzisionsinstrument zur Messung von Buchstärken noch eine Klinge, die in Bucheinbände dränge wie in Butter, schon gar nicht ein Gerät zur Abrechnung von Pferderenn-Wettgewinnen, nicht einmal – wie die Buchillustrationen suggerieren – ein spezieller Zollstock.
Die Wortschöpfung bezeichnet vielmehr einen Autoren, der zur Frankfurter Buchmesse fährt, um dort einen Verlag für seinen Text zu finden. Da es sich beim Manuskript des Buchmessers um ein Essay zur „Problematik der Atomkriegsdrohung und außerdem zum Mythos der Abschreckung“ handelt, sind zwei Sachen schon implizit gesagt. Erstens: Die Fahrt an den Main wird kein Erfolg, jedenfalls nicht im vorher gewünschten Sinne. „Kurze Erzählung vom Ende des Erzählens“, heißt deshalb programmatisch auch der Untertitel. Früher beschrieb man solche Pilgerreisen unter Titeln wie „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“. Da gab es allerdings noch keine Buchmessen, keine Großraumwagen bei der Bahn, keine Party-Bewirtungs-Coupons, keine allgegenwärtige terroristische Gefahr, geschweige Verleger, die ihre Neuerscheinungen an Versandhändler verramschen, um im Gegenzug palettenweise Ladenhüter loszuwerden. Zweitens: Auch dieser Text ist schon ein paar Jährchen alt. Er wurde zu weiten Teilen Ende der 80er Jahre verfasst, da Atomkriegsdrohung und Abschreckungsmythos existenziell waren, allerdings Lektoren bereits abwehren konnten: „Das Thema verkauft sich nicht“ und „Essay geht sowieso überhaupt nicht mehr“. Dennoch stürmten seinerzeit Menschenmassen zur Buchmesse, in jene Hallen „mit dem Charme eines kleinstädtischen Baumarktes. Angefüllt mit klafterhohen Eitelkeiten, Peinlichkeiten und Alkoholismus“. Genau das wird beschrieben. Und da es sich um eine Satire handelt, gilt: „Alles hier Aufgeschriebene ist so stark übertrieben, dass es fast den Tatsachen entspräche.“ Die Frage, warum der Text erst 15 Jahre nach seiner Entstehung und nach einiger Umarbeitung erscheint, wird von Rainer B. Jogschies vorausgeahnt und im Nachwort prophylaktisch beantwortet: Die beschriebenen unappetitlichen Zustände würden nicht und heute weniger denn je hinterfragt. Außerdem: „Man liest ja sonst nichts über diese geheimnisvolle Welt und noch weniger von ihren Bewohnern.“ Das mag zutreffen. Einiges im Metier ist inzwischen noch schlimmer geworden. Mittlerweile haben Literaturagenten Hochkonjunktur und Verleger bezahlen neue Bücher mit den alten. Deshalb stehen nach der Erzählung auch zwei noch aktuellere Texte, „Autor stört“ und „Verleger eiert“ betitelt. Autoren fahren wahrscheinlich auch künftig zur Buchmesse. Mit ähnlichen Absichten. Wenn sie den Buchmesser vorher lesen, dürften sie besser präpariert sein. Allerdings kaum gefeit. Nachträgliche Lektüre könnte immerhin einen gewissen Trost verschaffen. Für Nicht-Autoren, die eher allgemein an einem Sittenbild interessiert sind, richtet sich das Lektürevergnügen danach, welche Art von Humor sie verstehen. Das „Hamburger Dogma“, jene acht Stilregeln, die quasi wie ein Damoklesschwert über dem „Nachttischbuch“ wachen – und wenn schon nicht das Schreiben, so doch das Lektorieren des Manuskripts beeinflussten – wird solche Otto Normalleser ohnehin kalt lassen.
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Rainer B. Jogschies:
Der Buchmesser. Kurze Erzählung vom Ende des Erzählens.
Nachttischbuch-Verlag Berlin 2003, 125 Seiten, Broschur,
14,80 Euro, ISBN 3-937550-00-3