Editorial: Lebenszeit ist endlich

Lebenszeit ist endlich: Einmal von der millionenfachen „Ausnahme“ derzeit in Deutschland abgesehen, teilt sie sich in Arbeitszeit und Freizeit. Beides gehört zu einem lebenswerten Dasein. Wer nur noch arbeitet, wird workaholic genannt – ein Titel, den nicht selten Redakteurinnen und Redakteure durch ihren „Fleiß“ erwerben. Sie arbeiten 50 Stunden und mehr die Woche, mehr als in Tarifverträgen festgehalten. Die meisten lehnen es ab, ihre Überstunden aufzuschreiben, sich vergüten zu lassen – sei es in Freizeit.

Stechuhrjournalismus, das ist ein Widerspruch in sich! Journalisten identifizieren sich in hohem Maße mit ihrem Produkt, wollen ihren Namen unter einem qualitätsvollen journalistischen Beitrag stehen sehen. Ein Anspruch, an dem es nichts auszusetzen gibt. Dennoch, reicht das als Begründung für das tägliche Geschenk unvergüteter Arbeitszeit an den Arbeitgeber? Der Stress ist in vielen Verlagen und Redaktionen in den letzten Jahren ins Unermessliche gestiegen. Stellenabbau und Umstrukturierungen führten zu enormen Arbeitsverdichtungen, Redakteure müssen von ihrer Kreativzeit zum Recherchieren und Schreiben große Teile opfern für Organisatorisches, für Fremdarbeiten. Nachgewiesenermaßen ist es auch der Qualität der Arbeit abträglich, wenn Müdigkeit und andere Stresssymptome überhand nehmen. Unzufriedenheit macht sich breit. Und nicht zuletzt seit der letzten Tarifrunde für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen 2003 / 2004 wird wieder mehr über diese Arbeitsbedingungen diskutiert (Titel S. 8 / 9). Länger arbeiten ohne Lohnausgleich – eine derzeit beliebte Arbeitgeberforderung! Aber wird nicht umgekehrt ein Schuh daraus: Einhalten der tariflichen Arbeitszeiten. Arbeitszeit erfassen – es gibt Modelle, die auch in Redaktionen denkbar sind (S. 9 / 10). Arbeitszeitverkürzung gegen wachsenden Stellenabbau (S. 12/13).

Möge der Titel dieser Ausgabe die Diskussion um Arbeitszeit und Freizeit anregen. Zeit, um sich mit einem Leserbrief an der Debatte zu beteiligen, ist genug bis zur nächsten Ausgabe. «M» erscheint mit seinem Heft 8 / 9 erst wieder im August.

Weitere aktuelle Beiträge

Kriminalität nicht mit Migration verknüpfen

Kriminelle Migranten bedrohen die Sicherheit in Deutschland“ – dieses alte rechte Narrativ wird von der AfD neu belebt und verfestigt sich in der Mitte von Gesellschaft und Politik. Medien, die diese realitätsverzerrende Erzählung bedienen, weil sie meinen, die laute Minderheit repräsentiere ein öffentliches Interesse, spielen mit dem Feuer.
mehr »

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.
mehr »

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »

In den eigenen Räumen etwas bewegen

Stine Eckert forscht zu Geschlechterkonstruktionen in den Medien am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Wayne State University in Detroit. Ihr Buch „We can do better“ versammelt  „feministische Manifeste für Medien und Kommunikation“. Mit Ulrike Wagener sprach sie für M über die Verbindung zwischen Universitäten und Aktivismus und die Frage, wo Medien und Medienschaffende etwas verändern können.
mehr »