Immerhin gibt es Presse

Arash Azizi Portrait

Arash Azizi. Foto: privat

Der Iran gehört zu den repressivsten Ländern weltweit für Journalist*innen. Hunderte wurden strafverfolgt, inhaftiert oder hingerichtet. Medien unterliegen systematischer staatlicher Kontrolle, das Internet wird umfassend zensiert und überwacht. Dennoch wird viel über den Iran berichtet und viele Iraner*innen nutzen soziale Medien. Es gibt einen öffentlichen politischen Diskurs. Ein Gespräch mit dem Historiker Arash Azizi.

Wenige Zeit nach den Präsidentschaftswahlen und fast zwei Jahre nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini: Wo steht der Iran als Gesellschaft, als Nation heute?

Dr. Arash Azizi

ist Historiker und Dozent für Politikwissenschaft und Geschichte an der Clemson University. Er ist Autor von The Shadow Commander: Soleimani, the US and Iran’s Global Ambitions (Oneworld 2020) und Iran’s New Revolution: Frauen, Leben, Freiheit (Oneworld 2023).

In einer politischen Sackgasse. Eine große Zahl von Iraner*nnen, insbesondere die Jugend und Frauen, verabscheut das Regime, seine Strukturen und seine wichtigsten politischen Maßnahmen. Ihre Abscheu zeigen sie in Massenprotesten, in kleineren Protesten etwa für bessere Arbeitsbedingungen oder gegen Betrug, sowie in täglichen Aktionen des zivilen Ungehorsams. Oder, indem sie gar nicht zur Wahl gegangen sind oder aus der ohnehin sehr begrenzten Zahl der zugelassenen Politiker diejenigen gewählt haben, die den Status quo immerhin ein bisschen kritisch sehen.

Welche konkreten politischen Auswirkungen haben die Proteste und Akte des zivilen Ungehorsams?

Viele Menschen hatten die Illusion, dass die Regierung irgendwie verschwinden würde, wenn man jetzt mit der moralischen Kraft seiner Überzeugung auf die Straße geht. Aber so funktioniert in der Wirklichkeit nicht. Man braucht Führung, man braucht Organisation. Vielleicht braucht man auch die internationale Gemeinschaft. Das hört man oft von IranerInnen, die behaupten, die Welt würde uns im Stich lassen. Aber es ist nicht klar: Was genau erwarten sie von der Welt überhaupt?

Es gab politische Figuren und Rebellengruppen im Ausland, die versuchten, eine Exil-Opposition aufzubauen.

Eine politische Opposition im Ausland zu organisieren, hätte schwerwiegende Auswirkungen im Iran. Die Intensität und das Tempo der Proteste wären ganz anders. Der Aufbau einer Exil-Opposition ist aber gescheitert. Revolutionen ergeben sich von selbst. Zentral ist dann, dass es politische Strukturen gibt, die bereit sind, in einer bestimmten Dynamik zu agieren. Das Wichtigste bei revolutionären Bewegungen ist die Phase der Verhandlungen – siehe zum Beispiel Polen 1989.

Wie erklären Sie sich, dass es nicht gelungen ist, eine politische Opposition gegen das Regime auszubauen?

Im Iran wird jede politische Organisation durch die starke Repression erschwert. Das betrifft alle, ob professionelle Schriftsteller, Gewerkschaften oder den Klerus, der ebenfalls unter Druck gesetzt wird, sich an die ideologische Linie des Regimes zu halten. Dazu kommen die gravierenden politischen Unterschiede unter den IranerInnen: Es gibt die eingefleischten Anhänger des Regimes, die Reformisten, diejenigen, die einen grundlegenden Wandel wollen, sowie diejenigen, die einen gewaltsamen Sturz des Regimes anstreben. Der dritte Punkt ist ein globalerer. Der Journalist Vincent Bevins und der Historiker Anton Jäger haben darüber geschrieben. Die Menschen engagieren sich heute in der Politik, als ob man sich nicht organisieren, keine Gruppen bilden und keine Führungsfiguren haben müsste, die in der Lage sind, zu verhandeln.

In der iranischen Diaspora gibt es eine prominente politische Figur mit politischen Ambitionen: Reza Pahlavi. Welche politische Bedeutung hat der designierter Kronprinz und älteste Sohn des ehemaligen Schahs?

Früher verfolgte Reza Pahlavi einen liberaleren, demokratischen Ansatz. Viele IranerInnen, ich eingeschlossen, haben ihn mal unterstützt, weil er andeutete, dass er bereit sei eine politische Rolle zu spielen. Die offizielle Linie lautet seit langem, nach einem Sturz des islamistischen Regimes könne das Volk in einem Referendum zwischen einer Republik oder einer konstitutionellen Monarchie wählen. In der Vergangenheit sagte Pahlavi, er bevorzuge die Republik. Nun steht er aber an der Spitze einer demokratiefeindlichen, rechten Bewegung.

Wie charakterisieren Sie diese Bewegung?

In ihrer Bildsprache und Rhetorik richten sie sich nicht nur gegen die Mullahs, sondern auch gegen die Linken und die afghanischen Flüchtlinge im Iran. Zudem glorifizieren sie ganz offen die vorrevolutionäre Geheimpolizei im Iran, die bekanntermaßen aber für massive Folterungen verantwortlich war. Sie feiern die absolute Monarchie des Schahs und nicht nur einzelne Aspekte davon, wie das viele IranerInnen tun würden. Vor kurzem haben sie Parviz Sabeti, einen bekannten, im Exil in Florida lebenden Funktionär der frühere Geheimpolizei Savak, zum Helden gemacht. Er ist eine ihrer politischen Figuren.

In ihrer Einschätzung der Situation vor Ort scheinen viele Iraner*innen von einer starken Nostalgie für die Zeit vor 1979 oder von enthusiastischen Revolutions-Phantasien über den Sturz des Regimes durch das iranische Volk angetrieben zu sein. Wie bewerten Sie den Zugang zu Informationen aus und über den Iran?

Der Iran ist nicht Nordkorea. Die Iraner*nnen haben Zugang zu allen Satellitenkanälen aus dem Ausland und können die Internetblockade über VPN-Verbindungen umgehen. Eine große Anzahl Iraner*nnen ist in den sozialen Medien aktiv, wo sie ihre politischen Ansichten und ihre täglichen Erlebnisse posten. Zudem gibt es einen politischen Diskurs, so dass sich nachvollziehen lässt, wer was sagt und welche politischen Positionen einnimmt.

Es gibt im Iran zwar keine freie Presse, aber immerhin gibt es Presse.

Dazu kommt eine Vielzahl iranischer Medien im Ausland. Das Problem ist dabei: viele dieser Medien präsentieren lediglich eine bestimmte Version von der Politik im Iran – eine Version, die vor allem ihren eigenen politischen Vorstellungen entspricht. Es mag schwierig sein, die Feinheiten der iranischen Politik zu verstehen. Aber ich halte die Berichterstattung über den Iran im Westen im Großen und Ganzen für gut. Diejenigen, die sich im großen Stil über die westliche Presse beschweren, sind meist nur unglücklich darüber, dass nicht jeder ihrer Meinung ist.

 

 

 

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