Ansprüche zwischen Quote und Qualität

Privatfernsehen in Spanien stellt eine Ombudsfrau ein

„Gibst Du mir Dein Fahrrad?“ – „Nein.“ – „Wenn Du mir Dein Fahrrad nicht gibst, zerstöre ich Deinen Kopf und hole Dir die Augen raus.“ Dieser Dialog zweier Kinder stammt aus einem Informations-Video des spanischen Elternbundes. Die spanischen Eltern finden, die Fernsehanstalten des Landes zeigten zu viel Gewalt und Sex und das auch noch zur falschen Uhrzeit.

Ausgerechnet ein Privatsender will daran etwas ändern. Seit Anfang Dezember ist bei „Antena 3“ Consuelo Alvarez de Toledo Ombudsfrau. Ihre Stelle heißt wörtlich „Verteidigerin der Zuschauer“ (Defensora del Espectador). Seit langem haben zahlreiche Tageszeitungen im Land einen „Verteidiger der Leser“. Erstmals gibt es eine solche Figur jetzt auch beim Fernsehen. Der Wunsch der Ombudsfrau nach dem Respekt vor ethischen Prinzipien im Programm steht dem Ziel eines privaten Unternehmens nach wirtschaftlichem Erfolg gegenüber. Consuelo Alvarez de Toledo sieht darin keinen Widerspruch: „Der ökonomische Erfolg ist nicht unbedingt mit schlechtem Fernsehen verknüpft. Ich glaube eher, daß schlechtes Fernsehen langfristig zu Verlusten führt, weil die Sender dadurch an Prestige verlieren“, meint sie.

Aktiv gegen den „Fernsehmüll“…

Die Spanier haben Programmen, die mit Skandalen und Gewalt Quote machen wollen, einen eigenen Namen gegeben, „Telebasura“, übersetzt: „Fernsehmüll“. Ein Beispiel für diesen Fernsehmüll war die Late-Night-Show „Das Lächeln des Pelikans“ – das erste Opfer der Verteidigerin der Zuschauer. Showmaster Pepe Navarro holte besonders gerne Prostituierte aus dem größten Madrider Park „Casa de Campo“ ins Studio. Dort ließen sie entweder die Hüllen fallen oder hatten erst gar nicht viel an. Zweiter Publikumsmagnet Navarros war das Ausschlachten skandalträchtiger Gerichtsverfahren. Ein Prozeß um die Entführung und Vergewaltigung zweier Mädchen war fast täglich Thema der Show. Es entstand der Eindruck, ominöse Mächte steckten hinter dem Verbrechen und wollten die Aufklärung verhindern. Das pseudo-investigative Programm erreichte damit regelmäßig zwischen 20 und 30 Prozent der Zuschauer. Bei der Urteilsverkündung kritisierten die Richter scharf die Einflußnahme Navarros und die „Inszenierung der parallelen Gerichtsverhandlung im Fernsehen“. Consuelo Alvarez de Toledo erreichte kurz nach ihrer Einstellung, daß die Sendung abgesetzt wurde.

Ein anderes Beispiel für spanischen Fernsehmüll heißt „Impakt TV“ und läuft auch ausgerechnet auf Antena 3. Eine Sequenz daraus: „Diese Frau bringt alle Ärzte zum Staunen. Ein Mann griff sie an und rammte ihr ein Messer in den Kopf. Unerklärlicherweise ist ihr nichts passiert.“ Die ernste Stimme aus dem off wird von dramatischer Musik begleitet. Im Hintergrund ist ein Röntgenbild eines Schädels zu sehen. Deutlich ist darauf das dicke Küchenmesser im Kopf zu erkennen.

Die „Verteidigerin der Zuschauer“ versichert, mit dem Produzenten der Reality-Show bereits mehrmals gesprochen zu haben. „Ich glaube aber nicht, daß sie auf mich gehört haben“, gibt sie ehrlich zu und verweist auf die gute Quote. „Aber ich habe auch eine recht limitierte Kompetenz. Es muß der Geschäftsführer sein, der die Inhalte ändert“, sagt sie.

… und die tägliche Werbeflut

Wichtiger als ständig in die laufenden Programme mit Sanktionen einzugreifen sei ihr, bei Beschäftigten des Senders wie Journalisten, Drehbuchautoren und Regisseuren ein neues Bewußtsein für gutes Fernsehen zu schaffen. Antena 3 versucht, so der Verhaltenscodex des Senders, „pluralistisches Fernsehen“ zu machen, aber ein „mehrheitliches Publikum“ zu erreichen. „Doch Fernsehmüll wie Navarros Show gefällt höchstens Minderheiten“, resumiert Consuelo Alvarez de Toledo.

Die Ombudsfrau möchte das Programm des Senders nicht nur inhaltlich korrigieren, sondern auch gegen die „Werbeflut“ kämpfen. Nach der Eurorichtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ darf die Werbezeit 15 Prozent der gesamten Sendezeit eines Tages nicht übersteigen. Doch fast alle Sendeanstalten, auch die staatliche „Radiotelevisión Española“, überschreiten diese Grenze fast täglich. Die Ombudsfrau hat ein ehrgeiziges Ziel: „Ich möchte, daß Antena 3 der erste Sender ist, der die Richtlinien von „Fernsehen ohne Grenzen“ einhält. Ich bin mir sicher, daß wir kein Geld verlieren würden.“

Bis dahin hat sie noch viel zu tun. Erst kürzlich meldete die spanische Aufsichtsbehörde die Einleitung eines Verfahrens gegen mehrere spanische Fernsehanstalten, weil sie Werbung für Zigaretten und Hochprozentiges ausgestrahlt hatten, darunter auch Antena 3. Und auch das von Consuelo Alvarez de Toledo geforderte neue Bewußtsein bei den Drehbuchautoren der Eigenproduktionen scheint sich nur langsam zu entwickeln. In einer der „Telenovelas“ auf Antena 3, war kürzlich folgender Dialog zweier Handwerker zu hören: „Da hat einer seiner Frau 35 Axthiebe verpaßt.“ – „Einige haben mit 35 Axthieben immer noch nicht genug!“ Die Folge wurde ausgestrahlt, als das „Institut der Frau“ vom Sozialministerium sorgenvoll die neuesten Zahlen von Gewalt gegen Frauen bekanntgab. Die Ombudsfrau dazu: „Das darf nicht mehr passieren.“

Nur PR-Aktion?

Angesichts solcher Vorfälle scheint der Kampf von Consuelo Alvarez de Toledo gegen den Fernsehmüll manchen bereits aussichtslos. Luis del Olmo von der Gewerkschaft „Comisiones Obreras“ sieht eine „enorme Kluft“ zwischen dem Anspruch der Verteidigerin der Zuschauer und den Programmen bei Antena 3. Für ihn ist die Einstellung der Ombudsfrau deshalb „nur eine aufsehenerregende PR-Aktion“. Die Verneinung der Nutzer der Kommunikationsmedien begrüßt die Stelle der Ombudsfrau zwar, hält sie für die Regulierung des Fernsehens aber für ungeeignet. Statt dessen fordert sie „endlich einen unabhängigen Fernsehrat“, erklärte ein Sprecher. Sollte sich tatsächlich herausstellen, daß die Antena 3 nur zu gutem Image verhilft, ist Consuelo Alvarez de Toledo klar: „Dann suche ich mir einen neuen Job.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nachrichten gegen Desinformation

Über 800 Medien wie Reuters, die Washington Post, Zeit Online und AFP unterstützten den diesjährigen World News Day, der zeitgleich mit dem UN-Tag für den universellen Zugang zu Information, am 28. September gefeiert wird.  „Journalismus ist das Sicherheitsnetz unserer Gesellschaft, sagte David Walmsley, Gründer des Weltnachrichtentages und Chefredakteur der kanadischen Zeitung Globe and Mail. Dieses Sicherheitsnetz hat Risse und hängt fast überall in der Welt am seidenen Faden - und mit ihm alle freien Gesellschaften. Deshalb schlägt Walmsley Alarm. Unterstützt wird er vom Weltverband der Nachrichtenmedien (WAN-IFRA), dem World Editors Forum, der Canadian Journalism…
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Klischees, die bis heute wirken

Die MDR-Dokumentation „Es ist kompliziert - Der Osten in den Medien“ prüft die Entstehung des medialen Bilds von Ostdeutschland. Die umfassende Analyse von über 30 Jahren Berichterstattung zeigt, wie entlang von Medien-Stories und Skandalen ein Narrativ vom Osten entstanden ist, das immer wieder aufgegriffen wird und seine Wirkmächtigkeit nicht verloren hat.
mehr »