Appell für die Pressefreiheit und türkische Kollegen

Jeder der in die Luft geschickte Luftballons steht für einen der über 100 in Haft befindlichen türkischen Journalisten. Foto: Christiane Eisler

Das in Leipzig ansässige Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) ließ am 7. Oktober für inhaftierte türkische Journalist_innen 130 Luftballons steigen. „100, 120 oder 140 – wir selbst und unsere Kolleginnen und Kollegen in der Türkei können der rasant steigenden Zahl der inhaftierten Journalisten kaum noch folgen“, so die Leiterin des Zentrums Jane Whyatt. Anlass war die Verleihung des Preises für die Freiheit und Zukunft der Medien der Medienstiftung der Leipziger Sparkasse an den ehemaligen Chefredakteur der „Cumhuriyet“ Can Dündar und dessen nicht anwesenden Kollegen Erdem Gül.

ECPMF-Leiterin Whyatt erklärte zu der Solidaritätsaktion für die türkischen Journalist_innen: „Ihre Freiheit wurde ihnen nicht genommen, weil sie ein Verbrechen begangen haben, sondern weil sie ihrer Arbeit nachgegangen sind. Sie waren kritisch, haben Fragen gestellt und unbequeme Themen wie Korruption untersucht.“ Demokratien würden solche Debatten eigentlich befürworten, in der Türkei mache es Journalisten zu Terroristen.

Die Türkei, so sagte Can Dündar, sei derzeit „das größte Journalistengefängnis weltweit“. Zahlreiche seiner Kolleginnen und Kollegen seien unter fadenscheinigen Vorwänden eingekerkert worden. Doch der Verfolgungsdruck gehe weiter – weiter, als Dündar es selbst unter türkischer Militärherrschaft erlebt hat: „Damals gab es keine ‚Geiselnahme‘ von Familienangehörigen“, erklärte der ehemalige Chefredakteur. Das sei inzwischen anders. Heute würden Pässe entzogen und Familien in Angst versetzt. Damit wolle die Regierung die kritischen Journalisten im Lande mundtot machen. „Wenn die Familie in Gefahr gerät, dann leidet der Mut, weiter an aufklärenden Artikeln zu arbeiten.“ Dennoch würden seine Kollegen von der „Cumhuriyet“ weitermachen. „Die Zeitung ist jetzt 92 Jahre alt, viele Journalistinnen und Journalisten wurden bei Anschlägen getötet, wir wurden zensiert, aber es wird schwer, uns in die Knie zu zwingen“, so Dündar. „Wir werden mit aller Kraft dafür arbeiten, dass ‚Cumhuriyet‘ als letzte Bastion der Demokratie in der Türkei bestehen bleibt“, gab er sich kämpferisch.

Gegen Hoffnungslosigkeit ankämpfen

Can Dündar hatte sich gut in Leipzig umgesehen. Als diesjähriger Empfänger des Preises für die Freiheit und Zukunft der Medien besuchte er auch Schauplätze der Friedlichen Revolution, wie etwa die Nikolaikirche und den Augustusplatz. „Keine Gesellschaft darf die Hoffnung verlieren, das zeigt uns das Beispiel Leipzig.“ Und so will er weiter gegen die sich in seiner Heimat ausbreitende Hoffnungslosigkeit ankämpfen – trotz aller Unterdrückung, die die Medien dort derzeit erfahren. Er selbst und sein Kollege Erdem Gül hätten erfahren, was regierungskritische Berichte für Folgen haben: Wegen eines Beitrags in ihrer Zeitung „Cumhuriyet“ zu mutmaßlichen Waffenlieferungen der türkischen Regierung an syrische Extremisten angeklagt, wurden sie vor Gericht gestellt und zu langen Haftstrafen verurteilt. Noch sind die Urteile nicht rechtskräftig, aber weitere Strafverfahren wurden bereits in Gang gesetzt, unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Can Dündar im Gespräch mit Jane Whyatt (re:) und Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (li.) Foto: Christiane Eisler
Can Dündar im Gespräch mit Jane Whyatt (re.) und Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (li.) Foto: Christiane Eisler

Am Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit fand, als Dündar vor Ort war, zuvor eine zweitägige Konferenz zum Thema Medienfreiheit statt. An der Konferenz nahm auch die Journalistin Sevgi Akarcesme teil. Sie berichtete dort, dass sie sich glücklich schätzen könne, bereits seit sechs Monaten im Exil zu sein. Denn dort ginge es ihr besser als vielen, die nun in der Türkei permanent bedroht würden. Oder die dort festsitzen, weil ihre Pässe eingezogen worden sind – so wie es auch bei Medienpreisträger Gül der Fall ist.

„Für sie, für jeden der in der Türkei inhaftierten Journalisten lassen wir einen Ballon frei“, sagte Jane Whyatt zum Konferenzabschluss: „Ein symbolischer Akt, an den wir jedoch mit vereinten Stimmen einen lauten Appell an die Türkei und die Europäische Union richten: Medienfreiheit und Menschenrechten müssen wiederhergestellt und respektiert werden.“

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