Das MAI ist gekommen, die Multis schlagen zu

OECD-Abkommen gefährdet Demokratie, Urheberrechte und kulturelle Förderung

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Der Artikel 20 des Grundgesetzes muß wohl demnächst ergänzt werden: „Näheres regelt das MAI.“ Denn was die Anhänger von Lenins Theorie über den staatsmonopolistischen Kapitalismus – in den 70er Jahren als Stamokap zum Schrecken des deutschen Bürgertums avanciert – schon immer behauptet haben, soll durch das Multilaterale Abkommen über Investitionen Gesetzeskraft erhalten: Die Multi-Konzerne entscheiden, Regierung und Staat sichern gut Wetter zu.

Seit Mai 1995 wird im exklusiven Klub der reichen Industrieländer, die sich in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusammengeschlossen haben, intensiv hinter verschlossenen Türen über das Multilateral Agreement on Investment (MAI) verhandelt. Beteiligt sind auch die EU-Kommission und als Beobachter Argentinien, Brasilien, Chile, die Slowakei und Hongkong (China!). Von der Weltöffentlichkeit bis vor kurzem weitgehend unbeachtet, sollte das MAI (nomen est omen?) eigentlich im Mai 1998 von den 29 OECD-Staaten unterzeichnet werden. Doch dieser Zeitplan ist nicht mehr realistisch. Denn plötzlich regt sich in einigen Ländern Widerstand gegen das Multi-Abkommen.

Protest gegen MAI:“AMI go home!“

Er entzündet sich derzeit – im Gesamtkontext des MAI betrachtet – eigentlich an Nebenaspekten, dafür nicht weniger lautstark und wirkungsvoll. Und so muß man der französischen Filmbranche fast schon dankbar sein, daß sie aus Angst vor dem Verlust ihrer immensen Staatssubventionen die Übernahme durch Hollywood und den Ausverkauf der nationalen Kultur Frankreichs so medienwirksam in Szene gesetzt hat. Regisseur Bertrand Tavernier sprach davon, „daß unsere Zukunft, unsere Identität und unsere Lebensart auf dem Spiel stehen“. Und der ehemalige Kulturminister Jack Lang prognostizierte einen „globalen Wirtschaftssowjet“, der bald über die Staaten der Welt herrschen werde.

Recht könnten beide haben. Der Protest gegen das AMI – so heißt das MAI auf französisch – im Vorfeld des OECD-Treffens in Paris hat das Abkommen anders als in Deutschland zum öffentlichen Thema gemacht. Wortspiele mit der Abkürzung („l’AMI – c’est l’ennemi“ – „ami“ ist das französische Wort für Freund) haben in Frankreich mittlerweile eine eindeutige Tendenz: „AMI go home!“, heißt es dort immer öfter. Und so war die Forderung der französischen Delegation nach einer Ausnahmeregelung für die Kultur („exception culturelle“) auch mitentscheidend dafür, daß das Pariser Treffen am 18. Februar 1998 ergebnislos endete.

Meistbegünstigung für alle Investoren

Daß die französische Filmwirtschaft von den US-Majors geschluckt werden könnte, ist nur eine Randerscheinung des MAI-Abkommens – und führt doch gleichzeitig zu den zentralen Inhalten hin. Abschnitt III des Vertragsentwurfs sieht vor, daß jeder Unterzeichnerstaat Investoren aus einem anderen Vertragsstaat und deren Investitionen dieselbe Behandlung zukommen läßt wie inländischen Investoren. Das MAI schafft also für alle Investoren in den jeweiligen Vertragsländern eine Gleichbehandlung auf Grundlage der Meistbegünstigung. Dies gilt auf allen Ebenen, also in Deutschland für Bund, Länder und Kommunen.

Dieser Kernpunkt des MAI wird von seinen Befürwortern in höchsten Tönen gelobt. Verwiesen wird darauf, daß die ausländischen Direktinvestitionen 1996 eine Größenordnung von 350 Milliarden US-Dollar hatten, von denen 85 Prozent auf die OECD-Mitgliedsländer entfielen. Grundlage dafür sind derzeit 1630 zwischenstaatliche Investitionsabkommen. Da könne niemand mehr die Übersicht haben, heißt es. In einer schnell zusammenwachsenden Welt sei deshalb die Zeit reif für ein internationales Investitionsabkommen, das wie das GATT im Warenverkehr eine gleiche und faire Behandlung von grenzüberschreitenden Investitionen garantiere.

Konzern verklagt Regierung wegen Investitionsbeschränkung

Gleichheit hört sich erstmal gut an und kein Anhänger der multikulturellen Gesellschaft dürfte wohl etwas dagegen haben, daß dem Management von ausländischen Investoren nebst Familien ungehinderte Einreise und jegliche Unterstützung gewährt werden muß, wie gerade Journalisten schon immer der Auffassung waren, daß sämtliche Gesetze, Vorschriften, Regelungen und Verfahrensweisen, die sich auf Investitionen auswirken, öffentlich gemacht werden müssen. So will es das MAI – und noch mehr: Beschränkungen dürfen ausländischen Investoren nur auferlegt werden, wenn sie den internationalen Gepflogenheiten entsprechen. Die Nichtdiskriminierung von ausländischen Investoren gilt auch für jede Form der Privatisierung und natürlich schützt das MAI im Gegenzug ausländische Investoren vor Enteignung.

Ausnahmen von den MAI-Regelungen gibt es generell nur zum Schutz der „nationalen Sicherheit“ oder zur Sicherung der Stabilität des Finanzsystems eines Staates, zeitweise zur Abwendung einer Zahlungskrise oder als im MAI fest vereinbarte nationale Ausnahmeregelungen, wofür es übrigens rund 600 Anträge gibt. Fühlt sich ein ausländischer Investor in seinen Vorhaben beschränkt, kann er die Anwendung der MAI-Regelungen juristisch einklagen.

Wenn das MAI so in Kraft treten sollte, ist zu befürchten, daß eine polnische Leiharbeitsfirma erfolgreich gegen die Tarifbindungsklausel in öffentlichen Bauausschreibungen klagt, ein US-Getränkekonzern die deutsche Pfandflaschenquote für rechtswidrig erklärt und regionale Wirtschaftsförderung und kommunale Bauleitungsplanung obsolet werden. Auch eine „geordnete“ Privatisierung wie bei der Telekom und der Deutschen Bahn wäre unter MAI-Vorzeichen so nicht möglich gewesen, geschweige denn der Schröder-Kauf von Preussag-Stahl, um die Übernahme durch die österreichische Voest abzuwehren.

Urheberrechte als „Investitionen“ definiert

Eigentlich könnten sich Autoren, Journalisten und Künstler aller Sparten freuen, denn durch das MAI werden sie urplötzlich zu meistbegünstigten Investoren. Doch so richtig wird wohl keine Freude aufkommen, daß im Abschnitt II des Abkommens Urheberrechte schlicht als Investitionen definiert werden. Denn nicht ohne Grund wird „geistiges Eigentum“ seit der Berner Konvention von 1886 unter einen besonders hohen internationalen Schutzstandard gestellt.

Da das MAI Urheberrechte wie jede andere Investition behandelt, unterliegen sie auch dem territorialen Nicht-Diskriminierungsgebot. Das hört sich gut an, zementiert aber eine Praxis, die nicht im Interesse der Urheber ist. Denn während der Schutz der Urheberrechte beispielsweise in Deutschland, Österreich und Frankreich auf hohem Niveau gewährleistet ist, sieht es in einigen OECD-Ländern – so auch in den USA – schlechter aus. Genau darum ging es der US-Delegation bei den MAI-Verhandlungen: Sie will für ihre Copyright-Inhaber den hohen Schutz des deutschen und europäischen Urheberrechts, ohne das gleiche Schutzniveau deutschen oder anderen Urhebern in den USA zu gewähren.

Mit der Zementierung der Einzelstaaten-Regelungen läuft das MAI zudem den Harmonisierungsbestrebungen der EU beim Urheberrecht (siehe Artikel in dieser Ausgabe) entgegen. Warum die EU-Kommission diese Tendenz bei den MAI-Verhandlungen mitträgt, bleibt fraglich. Zudem fehlen im OECD-Entwurf – anders als beim Welthandelsabkommen – Bestimmungen, die den Besonderheiten der Rechte von Urhebern oder der Rechte der Inhaber von Leistungsschutzrechten (beispielsweise Film- und Fernsehproduzenten) Rechnung tragen.

Kulturförderung für Disney?

Da Urheberrechte nun Investitionen sind und ausländische Investoren nicht schlechter behandelt werden dürfen als einheimische, muß ihnen auch ein gleichberechtigter Zugang zu Förderungsprogrammen gewährt werden. Dies bringt nicht nur die französische Filmwirtschaft in Rage, sondern trifft die deutsche ebenso. Dabei waren die US-Majors schon bisher nicht gehindert, Tochtergesellschaften in der Bundesrepublik zu gründen, um Gelder nach dem Filmförderungsgesetz zu erhalten. Künftig können sie sich diesen Umweg sparen und die Förderung unmittelbar beantragen. Die Gewinne aus den Filmen können dann in vollem Umfang in den USA versteuert werden.

Was für die Filmförderung gilt, kann man sich auch für andere Sparten der Kultur vorstellen. Wenn Kommunen ihr Stadttheater subventionieren, hätten ausländische Investoren nach dem MAI zumindest Anspruch auf gleichberechtigte Förderung, wenn sie in dieser Gemeinde in Kultur investieren wollen.

Kein MAI im Mai?

Während sich in der bundesdeutschen Filmproduktion langsam Widerstand gegen diese Zukunftsperspektiven regt, ist das MAI in Deutschland ansonsten immer noch ein Thema nur für wenige Insider. Die Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft (SPIO) und andere Verbände der deutschen Film- und Fernsehwirtschaft haben bei Wirtschaftsminister Rexrodt Widerspruch eingelegt, die Weltförderation der darstellenden Künstler FIA und die Europäische Journalisten-Föderation auf europäischer Ebene protestiert. Doch selbst wenn die nationale Filmförderung aus dem MAI ausgeklammert wird oder gar die Urheberrechte insgesamt wieder herausgenommen werden sollten, bliebe genug übrig, was massiven Widerstand herausfordert.

Was das MAI gegenwärtig verzögert, ist im wesentlichen der nicht zustande gekommene Deal zwischen der Forderung Frankreichs auf „kulturelle Ausnahme“ und dem US-Anliegen nach einer Sonderregelung für das Helms-Burton- und das D’Amato-Gesetz, die Strafmaßnahmen gegen nichtamerikanische Unternehmen vorsehen, die in Iran, Kuba oder Lybien tätig werden. Eine Einigung über diese und weitere strittige Punkte bis zur OECD-Ministerratstagung am 27. April 1998 scheint unwahrscheinlich. Ob ohne Unterstützung der Gewerkschaften aus der bisher spärlichen deutschen Oppositionsbewegung eine Anti-MAI-Kampagne wird, aber auch.

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