Paraguay: Neue Führung ringt nach Präsidentensturz um Medienhoheit
Die Medien spielten eine entscheidende Rolle, als in Paraguay am 22. Juni der demokratisch gewählte Präsident Fernando Lugo einem „parlamentarischen Putsch“ zum Opfer fiel. In den Wochen zuvor führten die beiden überregionalen Tageszeitungen eine Kampagne gegen den „Befreiungstheologen“. Als nach seiner Absetzung Redaktionen politisch gesäubert wurden, schwieg die Privatpresse. Die Rolle und der Umgang mit den Medien führt die Mär vom demokratischen Machtwechsel ad absurdum.
Gerade war der linksgerichtete Präsident unter fadenscheinigen Gründen in einem Schnellverfahren abgesetzt worden, da bekamen die Mitarbeiter des staatlichen Fernsehkanals die neuen Machtverhältnisse zu spüren. Der wenige Stunden zuvor neu eingesetzte Kommunikationsminister rückte mit einem massiven Polizeiaufgebot in die Redaktion ein. Offensichtlich versuchte Enrique Salyn Buzarquis, ein enger Vertrauter des amtierenden Präsidenten Fernando Franco, Berichte über beginnende Proteste zu verhindern. Doch die Mitarbeiter des 2011 unter Lugo gegründeten ersten staatlichen Kanals ließen sich nicht einschüchtern: Sie hielten die Redaktionsräume mehrere Tage lang besetzt. Selbst nach der Räumung riefen sie noch zum Dauerprotest vor dem Sendersitz, wo sie ein „öffentliches Mikrofon“ für die Demonstranten einrichteten.
Der Streit um den Sender „TV Pública“ machte deutlich: Der jüngste Sturz eines Präsidenten in Lateinamerika – nur drei Jahre nach dem Staatsstreich im mittelamerikanischen Honduras – ist auch ein Putsch der Medien. Der „Express-Absetzung“ des linksgerichteten Lugo ging eine massive Kampagne der Privatpresse voraus, die von den alten Machthabern der Oberschicht kontrolliert wird. Sie warfen dem ehemaligen Priester vor, für 17 Tote bei einem gewaltsamen Zusammenstoß zwischen Polizisten und landlosen Bauern verantwortlich gewesen zu sein. Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet die Regierung Lugo hatte eine Landreform in Angriff genommen.
Entlassungen in Medienhäusern
Neu ist indes der Widerstand: Binnen weniger Tage wurde die De-facto-Regierung unter Führung von Lugos ehemaligem Stellvertreter Federico Franco aus dem Wirtschaftsbündnis Mercosur und der Union südamerikanischer Nationen (Unasur) ausgeschlossen. Angesichts der Isolation versuchten die neuen Machthaber rasch, die Kontrolle über die Medien zu erlangen. Drei Wochen nach dem umstrittenen Machtwechsel berichtete die linksliberale argentinische Tageszeitung Página/12 von Entlassungen bei „TV Pública“, dem Nationalradio, der staatlichen Nachrichtenagentur IP Paraguay und dem Kommunikationsministerium. Die Kündigungen stützten sich „auf ideologische und politische Argumente und gehen mit Drohungen gegen Angehörige der Medienhäuser einher“, berichtete das Blatt, dem zufolge der E-Mail-Verkehr von Journalisten in den genannten Medien zeitweise unterbrochen war.
Dass die beiden mächtigen Privatzeitungen ABC Color und Ultima Hora zu den Entlassungen von Kolleginnen und Kollegen schwiegen, steht in krassem Widerspruch zu den aufgeregten Berichten über eine vermeintliche Einschränkung der Pressefreiheit unter der Regierung Fernando Lugos. Die Haltung ist verständlich, wenn man den unternehmerischen Kontext betrachtet: Die Tageszeitung ABC Color gehört mit der Mediengruppe Zuccolillo zu einem Unternehmen, das als enger Verbündeter der rechtskonservativen Colorado-Partei gilt. Die über 60 Jahre währende Regentschaft der Gruppierung war erst 2008 mit dem Sieg Lugos beendet worden. Das Blatt Ultima Hora gehört indes zur Mediengruppe „Vierce“, die zehn Radiostationen und die beiden Fernsehsender „Telefuturo“ und „La Tele“ vereint. Beide Konzerne reagierten mit Klagen über eine vermeintliche Bedrohung der Pressefreiheit, als Lugo 2011 den ersten staatlichen Fernsehkanal gründete und die Förderung kommunaler Radios ankündigte. Rund 200 Sender wurden seither in 15 der 17 Verwaltungsbezirke gegründet. Die rechtsgerichtete Parlamentsmehrheit erließ inzwischen ein Gesetz, das ihnen zahlreiche Restriktionen auferlegt und droht mit Schließung.
Als sich Mitte Juli Abgeordnete des Europaparlaments in Asunción ein Bild der Lage machten, versicherte Francos neuer Kommunikationsminister Martín Sannerman „eine volle Garantie der Freiheiten, vor allem der Meinungsfreiheit“; politische Verfolgung oder Entlassungen gebe es nicht. Gleichzeitig beklagte die Organisation Reporter ohne Grenzen ein „gespanntes Klima und Einschüchterungen“ in staatlichen Medien. Nach Ansicht des Politanalytikers Sergio Rodríguez Gelfenstein steht dahinter ein mittelfristiger Plan, die progressiven Kräfte vor den Präsidentschaftswahlen 2013 zu schwächen. Denn nur bis dahin kann sich die Regierung halten und Lugo hat bereits seine erneute Kandidatur angekündigt.
Diese Erkenntnis hat sich auch unter jungen Medienschaffenden durchgesetzt. Die meisten Medien berichteten im Interesse von Wirtschaftsbossen, stellte die Journalistin Liliana Hidalgo fest. Die junge Frau reiste Ende Juni zum Gipfeltreffen des Wirtschaftsverbandes Mercosur in Mendoza (Argentinien), um über die Lage in ihrem Land zu berichten. Die einflussreichen Medien „manipulieren und verschleiern viele Wahrheiten“, zitiert das Nachrichtenportal amerika21.de Hidalgo: „deshalb sind viele Bürger nicht ausreichend darüber informiert, was in Paraguay vor sich geht“.