„Die EU muss sich stärker zu Wort melden“

Der OSZE-Medienbeauftragte Freimut Duve zu den Konsequenzen nach Übergriffen auf Journalisten und Demonstrierende während des G-8-Gipfels

Nach dem Gipfel der G-8 im italienischen Genua haben Sie sich an den Außenminister in Rom gewandt und um Aufklärung über die Übergriffe auf Journalisten gebeten. Haben Sie eine Antwort erhalten?

Duve: Nein, aber unter Umständen wird die von mir noch einmal eingefordert.

Wie ist der letzte Stand? Wie viele Journalisten sind betroffen und was ist geschehen?

Ein umfassendes Bild können wir uns erst unter Zuhilfenahme einer offiziellen Stellungnahme der italienischen Behörden machen. Nach Auskunft meines Büros in Wien ist bislang noch keine Antwort auf meine Fragen eingegangen, wohl, weil die für die italienische Seite unbequemen Fakten, die ich in den Fragen andeute, zutreffen. Mir ist aber auch aufgefallen, wie die italienischen Medien, vor allen Dingen das Fernsehen, die Übergriffe auf Journalisten, die man aus kollegialer Solidarität eigentlich hätte öffentlich machen müssen, beiseite gedrängt hat. Die uns vorliegenden Fakten beruhen also auf den unmittelbar nach dem Gipfel eingegangenen Aussagen von Betroffenen.

Sie sagen, die italienischen Medien hätten nicht über die Geschehnisse berichtet…

… oder nur sehr vage. Die Zeitung „Repubblica“, aber auch andere Zeitungen wie „L’Unita“ haben kritisch berichtet. Die anderen aber kaum.

Durch bereits bestehende Kontrolle oder aus vorauseilendem Gehorsam?

Es gibt natürlich eine starke Medienkontrolle durch die Besitzverhältnisse. Im gesamten Berlusconi-Privatimperium herrscht eine außerordentliche Schweigevereinbarung. Unterlassung von Nachrichten ist schließlich die stärkste Form der Propaganda, viel eleganter, als dauernd Lobeshymnen oder Schmähungen zu veröffentlichen. Andere, bislang unabhängige Medienhäuser haben offensichtlich aber auch zu Berlusconi umgeschwenkt. Das ist für mich das Hauptproblem. Ich bin nicht der Rechercheur für die inneritalienischen Angelegenheiten, sondern meine Aufgabe ist es, nachzufragen, wie die Pressediskussion über bestimmte Geschehnisse läuft und von welchen Interessen sie beeinflusst wird. Alles andere, kriminelles Verhalten von Bürgern oder von Polizisten etwa, ist Sache der italienischen Behörden.

Globalisierungsgegner ordnen die Übergriffe in eine Entwicklung ein, die mit der Einengung von Grundrechten in Italien einhergeht. Teilen Sie diese Befürchtung?

Wir haben es hier nach glaubhaften Berichten von Betroffenen, die zum Teil kürzlich erst freigekommen sind, mit einer Polizei zu tun, die den Eindruck einer dramatischen Lateinamerikanisierung vermittelt. Immerhin reden wir von Beamten im Dienste der parlamentarischen Demokratie, nicht eines totalitären Staates. Wenn die nun mit Mussolini-Zeichen auftreten und festgenommene Demonstranten zu Kriminellen erklären und foltern, weil sie etwa ein schwarzes Hemd anhatten, dann stehen wir an einer gefährlichen Schwelle. Ich selber habe lange Zeit für den Bundestag über einige Militärdiktaturen in Lateinamerika, Guatemala und andere, berichtet und ich bin gerade vor diesem Hintergrund sehr entsetzt über das Verhalten dieser Polizisten.

Die Geschehnisse in Italien stehen im direkten Zusammenhang mit der innenpolitischen Situation, also der Regierungsbeteiligung neofaschistischer Kräfte?

Bei der Polizei sehe ich das in dieser Form nicht. Jeder Polizist hat ein subjektives Rechtsempfinden und weiß um die Folgen bei Übergriffen.

Wie beurteilen Sie denn die Reaktion der europäischen Regierungen auf die Geschehnisse in Genua?

Mich hat schon enttäuscht, dass die italienische Herausforderung der europäischen Verfassungskultur, nämlich Medien- und Regierungskontrolle in einer Person, nicht schon im Vorfeld zu einem Thema der EU geworden ist. Zudem gibt es Äußerungen des stellvertretenden italienischen Ministerpräsidenten, die voll auf Haider-Linie liegen. Da müsste sich die EU stärker zu Wort melden.

In Deutschland will Innenminister Otto Schily solche Zusammenstöße künftig mit einer sogenannten Gewalttäterkartei verhindern, mit der erkennungsdienstlich behandelte Aktivisten an einer Ausreise gehindert werden sollen. Halten Sie das für ein adäquates Mittel?

In der europäischen Gemeinschaft halte ich das für kein adäquates Mittel, zumal es präventiv wirken soll. Die Frage ist für mich, wie eine einheitliche Rechtskultur geschaffen werden kann. Das ist derzeit nicht der Fall.

Was bedeutet das für die Weiterleitung von Personendaten an die italienischen Behörden?

Wenn Information über Bürgerinnen und Bürger, wie es im Fall von Österreich geschehen ist, an einen Staat weitergeleitet werden, in dem die polizeiliche Rechtskultur offensichtlich aus den Fugen geraten ist, dann bergen diese Strategien Gefahren. Natürlich müssen Staaten in der Lage sein, Warnungen über kriminelle Aktivitäten auszusprechen. Das kann aber erst der Fall sein, wenn absolut gesichertes Material vorliegt, das nicht auf Gerüchten fußt. Zweitens muss darauf Verlass sein, dass alle Partner an diesem gemeinsamen System eine gemeinsame rechtliche Grundlage anerkennen.

Deutsche Bundestagsabgeordnete, unter anderem Hans-Christian Ströbele, haben gefordert, die Ermittlungen von internationalen Institutionen jetzt übernehmen zu lassen, beispielsweise dem EU-Parlament. Wäre das ein angemessenes Vorgehen?

Über solche Vorschläge kann ich mich als OSZE-Beauftragter nicht äußern. Italien ist für mich zunächst ein Mitgliedsstaat der OSZE, dessen Regierung mich in mein Amt gewählt hat. Das ändert aber nichts daran, dass ich zu vielen Staaten einen kritischen Kontakt halte, etwa zu Weißrussland. Wenn in auf meine Anfrage also in angemessener Zeit keine Antwort bekomme, erinnere ich den Staat daran. Es ist aber auch möglich, mit dieser Fragestellung erneut vor die Versammlung der 55 OSZE-Staaten zu gehen. Italien wird sich aber erklären müssen.


  • Das Interview führte für „M“ Harald C. Neuber
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