Dokument des Elends wie der Verdienste von Journalisten

Buchtipp

Nach den erbarmungslosen Gesetzen der Mediengesellschaft ist der Krieg in Bosnien heute kein Thema mehr. Hin und wieder mal eine Randnotiz von einem neu entdeckten Massengrab. Gelegentlich einmal eine Impression aus einem kriegsgeschädigten Stadtteil in Sarajewo oder ein Schlaglicht vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Und die Rückkehr von Kriegsflüchtlingen in ihre Herkunftsregionen ist zu einem Thema innenpolitischer Profilierung geworden. Mit dem Frieden von Dayton scheint, jedenfalls im deutschen Alltagsbewußtsein, die „Wunde Bosnien“ langsam wieder zu heilen, die einige Jahre so häßlich die nach 1989 so hoffnungsvoll neu gestaltete europäische Landkarte verunstaltete.

In dieser Situation beginnender Gleichgültigkeit gegenüber den Ereignissen im ehemaligen Jugoslawien stößt das Tagebuch von Mladen Vuksanovic´ über seine Isolationszeit in Pale sicherlich nicht auf eine große Aufmerksamkeit. Leider, denn diese so unprätentiöse Chronik eines Journalisten über die Tage seiner größten Schmach verdient einen herausragenden Platz in der ohnehin schon reichlich sortierten Bibliothek mit Dokumenten über die Verbrechen dieses Jahrhunderts. Und es ist gleichzeitig auch ein Dokument des Elends wie des Verdienstes von Journalisten in den Zeiten der Kriegsgreuel in Ex-Jugoslawien.

Bis zum Kriegsausbruch auf dem Terrritorium des ehemaligen Jugoslawien hat Vuksanovic´ für das staatliche Fernsehen in Belgrad gearbeitet. Seine Dokumentarfilme haben dem jugoslawischen Fernsehen auch international ein beachtliches Renommee verschafft. Als er sich jedoch weigerte, seinen hohen Anspruch von journalistischer Professionalität der nationalen Propaganda bosnisch-serbischer Medien unterzuordnen, wurden er und seine Familie kaltgestellt, zu Hause isoliert, mit Vertreibungs- und Vernichtungsdrohungen verängstigt. Während dieser über hunderttägigen Isolation, die schließlich mit seiner Vertreibung aus Pale nach Rijeka endete, schrieb Mladen Vuksanovic´ Tag für Tag Aufzeichnungen aus dem „Herzen der Finsternis“.

Daß diese Eintragungen in sein Tagebuch schließlich auch veröffentlicht und dann sogar ins Deutsche übersetzt wurden, ist ganz besonders Christiane Schlötzer-Scotland und Roman Arens zu danken, die mit Unterstützung des Münchener Vereins „Journalisten helfen Journalisten“ hartnäckig für diese Publikation kämpften. Allein diese solidarische Arbeit zeigt, daß Vuksanovic´ mit seinen harten Vorwürfen über die Korrumpierbarkeit aller Journalisten – Gott sei Dank – irrt. Viele Journalisten haben in den letzten Jahren hervorragende Reportagen aus den Kriegsgebieten Kroatiens und Serbiens geschrieben, ohne sich dabei für irgendeine der kriegsführenden Parteien instrumentalisieren zu lassen. Einige von ihnen haben ihre gefährlichen Recherchearbeiten auch mit dem Leben bezahlt.

Unüberschaubar ist inzwischen die Zahl der wissenschaftlichen Studien, mit denen versucht wird, die komplizierte Genese des Krieges zu entschlüsseln. Nirgendwo aber konnte man bisher so beklemmend dicht etwas von den Zerstörungen und Verletzungen lesen, die dieser Krieg in den Seelen der Menschen angerichtet hat, wie in diesem Tagebuch von Mladen Vuksanovic´. Wie zum Beispiel Menschen aus der Normalität des Alltags herausgerissen wurden, um entsprechend barbarischer Vorstellungen von ,ethnischer Reinheit‘ plötzlich Nachbarn und Freunde wie Hasen abzuknallen. „M., ein Freund vom Sender, ruft mich weinend an. Zwei Freunde in seinem Alter sind an der Schwelle ihres Hauses, bei Hadzici, ums Leben gekommen. Er fragt mich, was er machen, wohin er gehen, bei wem er Schutz suchen soll? Er möchte niemanden umbringen. Er kommt aus einem serbischen Dorf, aber er hat nie darauf geachtet, wer wer ist, und jetzt soll er auf seine muslimischen Freunde schießen. Er will nicht schießen, er will sich nur von diesem Wahnsinn retten. Ich verstehe ihn, aber meine Trostworte, daß das alles vorbeigehen muß, helfen ihm wenig. Genausowenig wie mir.“

Und welche Erfahrungen mit einem grenzenlosen Opportunismus in den Reihen seiner Berufskollegen muß ein so leidenschaftlicher Journalist wie Vuksanovic´ gemacht haben, wenn er an einer Stelle schreibt: „Ich beginne meinen Beruf aus tiefster Seele zu hassen. Das sind keine Journalisten, das sind professionelle Mörder … Diese Lügen und Perversionen der Journalisten sind bodenlos! Ich glaube, daß einige, ja fast alle Journalisten zur abscheulichsten Menschengattung gehören, die dieser verbrecherische Krieg nach oben gespült hat.“

Es ist für Journalisten schwer, diese verzweifelte Wut von Vuksanovic´ über die Verkommenheit von Journalisten in Ex-Jugoslawien zu lesen. Aber vermutlich hat der Autor mit dem Zorn auf seinen eigenen Berufsstand die historische Wahrheit – leider – auf seiner Seite. „Journalisten und Schriftsteller“, schreiben Arens/Schlötzer-Scotland in ihrem Nachwort, „standen in diesem Krieg nicht nur auf der Seite der Opfer. Sie waren auch Täter. Vuksanovic´ beschreibt dies in schonungsloser Offenheit. Sein Tagebuch ist daher eine mahnende Erinnerung auch für die Zukunft“.


Mladen Vuksanovic
Pale – Im Herzen der Finsternis
Tagebuch
Aus dem Serbokroatischen
von Detlef I. Olof
Folio-Verlag, Wien-Bozen, 1997,
150 Seiten

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Mehr Vielfalt statt Einfalt im TV

Die vielfach ausgezeichnete Britcom „We Are Lady Parts“ über eine islamische Mädchen-Punkband in London ist eines der vielen Beispiele von „Diversity“-Formaten, die in der Coronazeit einen regelrechten Boom erlebten. Die neue zweite Staffel der Comedy war vor kurzem für den renommierten Diversify TV Awards nominiert. Deutsche Anwärter waren diesmal nicht vertreten.
mehr »

Rassismus in den Kommentarspalten

Wenn Redaktionen in ihren Social-Media-Posts mit reißerischen Fragen und Generalisierungen arbeiten, kommen aus der Leserschaft häufiger rassistische Kommentare als wenn die Journalist*innen Kontext liefern. Das ist ein zentrales Ergebnis des Monitoring-Projekts „Better Post“, das die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) im September 2021 mit ihren Partnern im „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“ starteten, denn: „Rassismus darf kein Clickbait sein“.
mehr »

US-Auslandssender kämpft ums Überleben

Von einem „großen Geschenk an Amerikas Feinde“ spricht Stephen Capus, Präsident von Radio Free Europe/Radio Liberty: Die brutalen Kürzungen der Trump-Regierung haben auch den US-Auslandssender mit Sitz in Prag erreicht. RFE/RL wehrt sich mittlerweile vor Gericht. Zugleich machen sich mehrere EU-Länder für eine europäische Finanzierung stark.
mehr »

Ressourcen für Auslandsjournalismus

Der Auslandsjournalismus in Deutschland steckt in der Krise. Die Zahl der Korrespondent*innen nimmt ab, Freie arbeiten unter zunehmend prekären Bedingungen. So geraten ganze Weltregionen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Journalist*innen plädieren darum für eine andere Form der Finanzierung. Die gute Nachricht: Das Interesse des deutschen Publikums ist da. Dass die Menschen wissen wollen, was in anderen Ländern los ist, beweist nicht zuletzt das ARD-ZDF-Jugendangebot Funk.
mehr »