Bis Ende Oktober hat die Medienorganisation „Journalisten ohne Ketten“ 196 Angriffe aller Art, von der konkreten Bedrohung bis zur Briefbombe, auf Journalist*innen in Ecuador registriert. Die gravierendste Tat erfolgte jedoch am Samstag, den 23. November. Da wurde Leonardo Rivas auf offener Straße von mutmaßlichen Auftragskillern erschossen. Rivas war Reporter von Radio Cariñosa, einem Sender in der Provinz Guayas, und er ist das erste Mordopfer in Ecuador in diesem Jahr.
Erst Mitte November hatte die Stiftung für die Beobachtung und das Studium der Medien (Fundamedios) gegenüber einer Delegation der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) vor den steigenden Drohungen und Angriffen auf die Pressefreiheit in Ecuador gewarnt. Am Sonntag des 24. November appellierte die Stiftung, die nicht nur in Ecuador, sondern auch in anderen Andenländern präsent ist, an die Regierung von Daniel Noboa den Mord an Leonardo Rivas en detail zu untersuchen und aufzuklären.
Rivas wurde auf dem Weg nach Daule, einer Kreisstadt im Norden von Guayaquil, im Beisein seiner Frau am Samstag, den 23. November, am Steuer erschossen. Der Mord an dem Radioreporter von Radio Cariñosa, einem Lokalsender, trug alle Charakteristika eine Auftragsmordes, so lokale Medien, aber auch die Medienstiftung Fundamedios. Die forderte eine gründliche Untersuchung bei der Regierung ein, „damit die Verantwortlichen dieses brutalen Angriffs auf die Pressefreiheit in Ecuador gefasst werden“.
Zwischen Straflosigkeit und staatlicher Gängelung
Das ist alles andere als selbstverständlich in Ecuador, das auf der Rangliste der Pressefreiheit kräftig abgerutscht ist und nun Platz 110 belegt. Dafür ist sowohl die anhaltende politische Krise als auch die omnipräsente Gewalt, verübt von rund 25 miteinander konkurrierenden Kartellen, verantwortlich. So stürmten im Januar diesen Jahres bewaffnete Akteure eines dieser Kartelle ein TV-Studie in der Industrie- und Hafenmetropole Guayaquil und nahmen Journalisten als Geiseln. Live ging die Situation im TV-Studie in die Welt, erst nach einer halben Stunde machten Polizei und Militär dem Spuck ein Ende. In dem spektakulären Fall sind die Täter mittlerweile verurteilt. Doch das ist, so klagen Journalist*innen und Medienstiftungen, die Fälle dokumentieren, nicht die Regel. Das Gros der Angriffe auf Berichterstatter*innen bleibe unaufgeklärt und unbestraft.
Zudem sind die Angriffe auf Journalist*innen, Redaktionen und Sender alles andere als rückläufig, so die Medienstiftung „Journalisten ohne Ketten“. Die berichtet, dass seit Januar 2023 exakt 14 Journalist*innen ins Exil geflohen seien. Nicht ohne Grund, denn zwischen Juni 2021und Mai 2024 hat die 2018 gegründete Stiftung 933 Angriffe auf Berichterstatter*innen dokumentiert: 426 gegen Männer, 291 gegen Frauen und 216 gegen Sender und Redaktionen. Darunter 27 direkte Attentate auf Redaktionen und Journalist*innen.
Dabei sind auch staatliche Stellen oft beteiligt. Die kommen ihren Informationspflichten oft nicht nach, kriminalisieren Berichterstatter*innen, die wegen Korruption im öffentlichen Sektor ermitteln und legen ihnen Steine in den Weg. Typisch in Ecuador und diese Praxis trägt auch dazu bei, dass Medien schließen. Ein Beispiel ist die Zeitung „El Ferrodiario“ aus der Kleinstadt Durán nahe Guayaquil, die im Oktober ihre Berichterstattung eingestellt hat. Die ehemalige Agrarhandelsstadt vor den Toren der Hafenmetropole hat landesweit traurige Berühmtheit für die Opfer des anhaltenden Bandenkriege erhalten. Darüber wird es fortan keine fundierte Berichterstattung mehr geben und das ist ein herber Verlust aus Perspektive der beiden genannten Medienstiftungen.
Verantwortung der Sicherheitskräfte
Allerdings typisch für die Situation in Ecuador, an der die Regierung und die Sicherheitskräfte eine Mitverantwortung tragen. „Wir sind ein leichtes Ziel. Jeder Redaktion ist angreifbar, wir werden nicht beschützt“, kritisiert Alina Manrique. Sie leitet die Redaktion vom Nachrichtenkanal TC Televisión in Guayaquil und war eine der Geiseln des Kommandos eines Kartelles. Manrique arbeitet weiterhin für den Sender und ist anders als im Januar angekündigt nicht ins Exil gegangen.
Anders als immerhin fünfzehn Kolleg*innen, die das Land seit 2023 nach massiven Drohungen verlassen haben. Oft sind es Mitarbeiter*innen von Lokalredaktionen, so Estefanía Celi, Journalistin und „Mitglied von Journalisten ohne Ketten“. Sie macht fehlende Ermittlungen bei Morddrohungen genauso dafür verantwortlich wie fehlenden Schutz in einem extrem gefährlichen Land. Laut dem Beobachtungsstelle für organisierte Kriminalität war Ecuador 2023 mit einem Mord pro Stunde das gefährlichste Land der Region. Längst habe die organisierte Kriminalität die Politik und die Justiz unterwandert. Genau das sorge dafür, dass frau und man niemanden mehr trauen könne, meint ein Kollege aus Quito, der anonym bleiben möchte.