Ego-Streit mit Todesfolge

Wie die BBC um Unabhängigkeit und die britische Regierung verbissen um Glaubwürdigkeit kämpfen – Blair bestreitet Manipulationsvorwürfe

Schlimmer kann es eigentlich kaum kommen, denn irgendwie ist nun auch intern das britische Empire ins Wanken geraten. Zwei Institutionen sind über den Irak-Krieg aneinandergeraten, die weltweit wie kaum jemand anderes die britische Seele darstellen: die BBC und Ihre Majestät die britische Regierung.

Der 28. August ist in der verbissen geführten Auseinandersetzung zwischen dem öffentlich-rechtlichen-Rundfunkunternehmen (25 000 Mitarbeiter ) und der britischen Regierung ein ganz besonderer Tag. Premier Tony Blair gestand vor dem Londoner Untersuchungsausschuss, der nach dem Tod des Wissenschaftlers und Waffenexperten Dr. David Kelly installiert worden war, dem Vorsitzenden Lord Hutton: “ Wenn das alles wahr sein sollte, dann wäre ich gezwungen, zurückzutreten!“ Überraschend gab er zudem an, bereits am 7. Juli ein Vier-Augen-Gespräch mit Gavyn Davis, Chef des BBC Board of Governors (vergleichbar Rundfunkrat), geführt zu haben. Davis schilderte in seiner Anhörung (gleich nach Blair!), dass in diesem Gespräch vor allem die Möglichkeiten diskutiert wurden, die Auseinandersetzung ohne großen Gesichtsverlust für beide Seiten zu beenden. Blair schlug vor, die BBC solle eingestehen, dass ihr Radiobericht die journalistischen BBC-Regeln nicht so ganz hundertprozentig befolgt habe, dieser damit genau genommen falsch gewesen sei. Geschehe dies, sei er im Gegenzug bereit, der BBC öffentlich das Recht zu einem solchen Bericht zuzugestehen. Blair-Zitat aus der Anhörung : „Davis meinte, das könne er nicht tun. Er könne auf gar keinen Fall den Bericht desavouieren. Dies würde die Unabhängigkeit der BBC kompromittieren!“

Viele Beobachter sehen darin einen weiteren Beleg dafür, wie nahe die BBC vielleicht doch an der Wirklichkeit war und welche Ängste im intimsten Blair-Beratergremium in Zusammenhang mit dem von ihnen abgesegneten Irak Dossier herrschten bzw. herrschen. Vor Lord Hutton hat Blair alle Dossier-Manipulations-Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen. Das Irak-Dossier der britischen Regierung war die grundlegende Basis für Blairs Rede vor dem britischen Unterhaus, mit der er Großbritannien vom angeblich dringend notwendigen Eintritt in den Irak Krieg überzeugte.

Rette sich wer kann

Noch nie sind die weltweit als journalistische Speerspitze geltende British Broadcasting Corporation BBC und die britische Regierung so aneinander geraten wie in den letzten Wochen. Es knallt unaufhörlich mit voller Lautstärke auf allerhöchster Ebene wie ein aktuelles Zitat von BBC-Generaldirektor Greg Dyke vor 1 500 Medienleuten beim Edinburgher TV Festival belegt: „Ich bin nicht im Job, um ein Freund der Regierung zu sein. Ich habe diesen Job, um die Unabhängigkeit der BBC zu schützen!“

Ausgangspunkt der Auseinandersetzung – mit immer mehr gerade bei den politisch Verantwortlichen „Rette sich wer kann“ – Begleiterscheinungen – ist ein Radio-Bericht. BBC-Reporter Andrew Gilligan wurde 1999 als Verteidigungsexperte für BBC Radio 4 (DAS politische Radioprogramm überhaupt im UK) von einer Zeitung abgeworben. Er sollte dem traditionellen Radioprogramm unter anderem durch peppigere Beitragspräsentation einen neuen Drive geben. Gilligan berichtete exklusiv am 29. Mai 2003 live: „A senior British official has told the BBC the Government’s Iraq dossier published last September (2002, der Autor) was sexed up against the wishes of the intelligence services“.

Der Bericht, den Tony Blair in Sachen Irak Krieg vor dem Londoner Unterhaus im September 2003 abgab, um die Abgeordneten von diesem Krieg zu überzeugen, ist entgegen den Wünschen der britischen Geheimdienste „sexed up“, also ein bisschen „verkaufsfreundlicher“ oder deutlicher: wider besseres Wissen eingefälscht worden. In einem Zeitungsartikel legte Gilligan nach. Darin prangerte er Tony Blairs „Intimfreund“, engsten Berater, obersten „Spin Doctor“, den Kommunikations- und Strategiedirektor Alastair Campbell, an, er habe dem Irak Dossier wider besseren Wissens beigefügt, „that Saddam could launch weapons of mass destruction within 45 minutes“, Saddam könne innerhalb von 45 Minuten seine vorhandenen Massenvernichtungswaffen einsetzen. Die Folge: Ein Parlaments-Untersuchungsausschuss wurde eiligst installiert. Alistair Campbell nutzte seinen Aufritt vor dem Gremium zu einer vehementen Anti-BBC Attacke. Er beschuldigte Gilligan, er habe in seinem Bericht alle BBC Richtlinien für ausgewogene Berichterstattung missachtet, habe vorsätzlich falsche Informationen geliefert, um die öffentliche Meinung gegen den Irak Kriegseinsatz im UK anzuheizen.

Das Opfer des Verrats

Dafür müsse sich die BBC öffentlich entschuldigen. Gilligan und zeitgleich BBC Generaldirektor Greg Dyke wiesen das entrüstet und ungewohnt unbritisch-deutlich zurück. Sie waren auch keinesfalls bereit, wie Campbell weiter gefordert hatte, die BBC-Informationsquelle für die Gilligan-Behauptungen preiszugeben. Der daraufhin einsetzende öffentliche wie schonungslose Schlagabtausch zwischen BBC und britischer Regierung eskalierte schließlich … tödlich! Am 18. Juli 2003 fand die Polizei morgens um 9.30 Uhr auf einem Feld einen Toten. Es war der hoch angesehene ehemalige britische UN-Waffeninspektor und hochrangige Wissenschaftler des britischen Verteidigungsministeriums, Dr. David Kelly. Er hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Beobachter sind überzeugt, dass der BBC-Regierungsstreit Dr. Kelly in den Tod getrieben hat.

Am 8. Juli 2003 war Dr. Kelly vor den Unterhaus-Untersuchungsausschuss zu einer öffentlichen Anhörung zitiert worden. Man wollte herausfinden, ob er die Quelle alles Unbills war. Dr. Kelly bestritt das eindringlich. Bei der unaufhörlichen Regierungs-Suche nach dem BBC-Informanten in Sachen Massenvernichtungswaffen und Sexed Up -Vorwurf war man auf Dr. Kelly gestoßen. Britische Zeitungen hatten recherchiert und Mitarbeiter verschiedener Ministerien hatten dabei ohne irgendwelche Beweise Dr. Kellys Namen ins Spiel gebracht. Der Rufmord des Wissenschaftlers wurde zum Skandal, als erstmals in ihrer mehr als 80-jährigen Geschichte ausgerechnet die BBC ihn als Info-Quelle bestätigte. Mit Dr. Kelly hatte sich BBC Verteidigungsexperte Gilligan am 22. Mai 2003 in einem Hotel nahe des Londoner Bahnhofs Charing Cross getroffen. Mit ihm sprachen später zwei weitere BBC Journalisten über seine „regierungsinterne“ Sicht der Dinge.

Die BBC-Producers Guidelines lesen sich vor diesem Hintergrund wie Hohn und machen das Entsetzen vieler BBC Redakteure verständlich. Unter dem Stichwort „Vertraulichkeit“ ist da zu lesen: „Promises of confidentiality given to a source or contributor must be honoured. The BBC’s journalism will suffer if people who give us information on condition that they remain anonymous are subsequently identified“ (Versprechen der Vertraulichkeit für Quellen oder Informanten müssen unbdingt eingehalten werden. Der BBC Journalismus wird leiden, wenn Leute, die uns Informationen mit der Bedingung der Vertraulichkeit oder Anonymität liefern, nachträglich identifiziert werden.)

Der knallharte Kampf um Reputation und die Egos vieler Betroffenen wird weitergehen. Beide Seiten fürchten um ihre Reputation und sind doch voneinander abhängig. Tony Blair will für eine 3. Amtszeit kandidieren und braucht dafür die BBC dringend als wichtigsten britischen Informationslieferanten. Die BBC wiederum braucht Blair und seine Labour-Mehrheit im Parlament. Ab November 2003 wird die Royal Charter der BBC neu ausgehandelt: Sie liefert ab 2006 der BBC die Sendeberechtigung und legt zudem die Höhe der Rundfunkgebühr (derzeit 164 Euro pro Seher / Hörer / Jahr) fest. Der Gesamt-Etat der BBC beläuft sich für 2003 auf immerhin mehr als 3,6 Milliarden Euro.

Flucht aus der Downing Street

Zur Überraschung aller Medien erreichte die britischen newsdesks am Tag, nachdem Blair vor dem Londoner Untersuchungsausschuss aussagte, aus der 10 Downing Street, dem Sitz der britischen Regierung, die Mitteilung, dass Alistair Campbell nach 9 Jahren an Tony Blairs Seite zurücktreten werde. Campbell folgte damit seiner Lebensgefährtin Fiona Miller nach, die es als persönliche Presse-Beraterin von Mrs. Blair nicht mehr ausgehalten hatte und gemeinsam mit Mr. Campbell nun den Regierungssitz verlassen hat. Campbells Nachfolger, der ehemalige Labour-Partei-Pressechef David Hill passt bestens ins Bild. Seine Lebensgefährtin Hilary Coffman arbeitet bereits als Politik-Beraterin in 10 Downing Street.

BBC Reporter Andrew Gilligan wurde bis auf weiteres von allen Berichterstattungspflichten entbunden. Das allerdings habe, so ein BBC Sprecher, nichts mit dem aktuellen Streit zu tun. Nicht nur viele BBC Mitarbeiter sind auch ob dieser Ankündigung rat- und sprachlos …


29. Mai: BBC-Reporter Andrew Gilligan beschuldigt die Regierung, den Irak-Bericht gefälscht zu haben.

8. Juli: UN-Waffeninspektor Dr. David Kelly musste sich vor einem Untersuchungsausschuss des Unterhauses rechtfertigen.

18. Juli: Kelly wurde tot aufgefunden. Noch am gleichen Tag setzte Blair einen Untersuchungsausschuss ein unter Vorsitz von Lord Hutton.

28. August: Toni Blair sagt vor dem Untersuchungsausschuss aus.

29. August: Kommunikations- und Strategiedirektor Alastair Campbell kündigte seinen Rücktritt an.

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