Ein ungewohntes Bild

Journalisten und Bürger protestieren in China gegen Zensur

Eine Kundgebung auf offener Straße für mehr Pressefreiheit, Redakteure, die wegen der Zensur von Parteifunktionären Arbeitsniederlegungen ankündigten: In der chinesischen Medienlandschaft passierten Anfang Januar Dinge, die man kaum für möglich hielt.

Demonstration für Presse- und Meinungsfreiheit am 7. Januar in Guangzhou.  Foto: Reuters / James Pomfret
Demonstration für Presse- und Meinungsfreiheit am 7. Januar in Guangzhou. Foto: Reuters / James Pomfret

„Beendet die Zensur! Die Chinesen brauchen Freiheit!“, war auf einem Transparent zu lesen. Hunderte demonstrierten kurz nach dem Jahreswechsel mehrere Tage lang in der südchinesischen Metropole Guangzhou (Kanton) vor dem Redaktionsgebäude der Wochenzeitung Nanfang Zhoumo (Südliches Wochenende). Sie drückten damit ihre Solidarität mit der Redaktion aus, die wegen der Zensur der Parteibehörden eine Arbeitsniederlegung verkündet hatte. Mehrere Menschen wurden festgenommen. Eine Handvoll Gegendemonstranten zeigte ihre Unterstützung für die kommunistische Führung des Landes und warfen der Redaktion vor, unter ausländischem Einfluss zu stehen.
Hintergrund war ein Artikel, der in der Neujahrsausgabe des als vergleichsweise liberal geltenden Blattes erscheinen sollte. Unter der Überschrift „Chinas Traum“ – eine von Xi Jinping, dem neuen Chef der Kommunistischen Partei der Volksrepublik ausgegebene Losung – hatte der Leitartikler geschrieben, zur Verwirklichung des Traumes müssten Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte und politische Reformen umgesetzt werden. Der von der Redaktion in Selbstzensur bereits abgeschwächte Text erschien aber nicht – stattdessen ließen die regionalen Propaganda-Verantwortlichen den Artikel unmittelbar vor Drucklegung und ohne Information der Redaktion durch ein Lob auf die Kommunistische Partei ersetzen.
Ein solcher Vorfall ist selbst in China ungewöhnlich. Wütende Redakteure schrieben über die Zensur im Internet einen offenen Brief, in dem sie den Rücktritt von Propaganda-Chef Tuo Zhen forderten. Leser und Blogger unterstützten den Protest, andere Medien berichteten – wenn auch vorsichtig – von dem Eingriff in die Pressefreiheit. Befremdet zeigten sie sich vor allem, weil die neue Parteiführung kurz zuvor mehr Offenheit angekündigt hatte. Eine Welle der Unterstützung für „Nanfang Zhoumo“ brach los. Einen solchen Einsatz für die Pressefreiheit dürfte China noch nicht gesehen haben. Spontan kam es zu Diskussionen im Netz und auch zu den Solidaritätskundgebungen vor dem Verlagsgebäude. Die Redaktion verlangte eine Entschuldigung für die Zensur.
Am 9. Januar hieß es dann, der Konflikt sei beigelegt. Über Einzelheiten wurde nichts bekannt. Die Nanfang Zhoumo war jedenfalls regulär erschienen. In einem Kommentar des Blattes wurde der Konflikt nur indirekt erwähnt, aber eine moderne Medienpolitik verlangt, in der die staatliche Regulierung mit der Zeit Schritt halten müsse. Das sind offenbar die Formulierungen, die gerade noch geduldet werden. Im Gegenzug zum aufgegebenen Streik soll den Redakteuren Straffreiheit garantiert worden sein. Vermittelt hat in dem Konflikt allem Anschein nach der regionale Parteichef Hu Chunhua. Angeblich wurde auch eine spätere Ablösung des in die Kritik geratenen Propagandachefs Tuo Zhen in Aussicht gestellt.
Zensur, Zeitungschließungen und Repression gehören in China zum Alltag, auch wenn gerade im Süden des Landes die Medien etwas mehr Freiräume haben als in der Hauptstadt Peking. Nach Angaben von „Reporter ohne Grenzen“ sind in der Volksrepublik fast hundert Journalisten und Blogger inhaftiert. Auch das Internet versuchen die Behörden zu kontrollieren. Der berühmte Wettlauf im Netz findet fast täglich statt. Auch wenn immer wieder Blogs geschlossen, heikle Suchbegriffe gesperrt und unliebsame Autoren festgenommen werden, verändert sich die Berichterstattung langsam: Themen wie Korruption oder soziale Probleme werden immer mutiger thematisiert. Nicht immer können die mächtigen Zensurbehörden die kritischen Berichte unterdrücken. Mit jedem kleinen Erfolg werden Blogger und Redaktionen selbstbewusster. Und der wachsende chinesische Mittelstand in China will ohnehin nicht mehr nur wirtschaftlich profitieren, sondern strebt auch eine politische Öffnung an. Die Diskussion darüber hat längst die KP erreicht. China dürften spannende Jahre bevorstehen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »