In Ägypten hat die Pressefreiheit einen Tiefpunkt erreicht
Inszeniert wurde ihre Festnahme in der Suite des Marriott Hotels in Kairoer Stadtteil Zamalek wie ein Schurkenstück. Unterlegt mit martialischer Filmmusik aus „Thor – the Dark Kingdom“ zoomte die Kamera mal auf die Laptops, mal auf die TV-Kamera auf dem Tisch, dann wieder auf die Gesichter der Verhafteten, Al Jazeera-Korrespondent Peter Greste und seinen ägyptisch-kanadischen Büroleiter Mohammed Fahmy. Triumphierend präsentierte der Moderator von „Tahrir-TV“ Tage später den 22-minütigen Festnahme-Clip vom 29. Dezember, rieb sich vor laufender Studiokamera grinsend die Hände.
Seit Februar nun läuft vor einem Kairoer Strafgericht der Al-Jazeera-Schauprozess gegen die so genannte „Marriott-Zelle“ und ihre angeblichen Helfershelfer. Den 16 ägyptischen Medienleuten wird „Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe“ vorgeworfen, den vier Ausländern, von denen drei außer Landes sind, „Unterstützung und Finanzierung einer Terrorgruppe“, „Verbreiten falscher Nachrichten“ sowie „Störung der nationalen Sicherheit“. Die Beschuldigten hätten Videobilder manipuliert, um „den Eindruck zu erwecken, dass im Land ein Bürgerkrieg herrscht“, heißt es in der Anklageschrift.
Weit mehr als hundert Tage sind die Verhafteten nun schon hinter Gittern, ohne dass die Anklage bisher in der Lage wäre, auch nur eine ihrer Behauptungen zu beweisen. Und so entpuppt sich der Prozess mit jedem weiteren Verhandlungstag mehr zu einer kafkaesken Farce, der dem internationalen Ansehen Ägyptens weltweit schadet. Vier Mal wurde der Prozess vertagt, weil der angebliche Hauptbelastungszeuge, der ermittelnde Polizeikommissar, nicht aufzufinden war. Am fünften Verhandlungstag wurden dann endlich Beweisvideos vorgeführt. Sie zeigten neben einigen Aufnahmen ägyptischer Pferde und einer Reportage aus Somalia vor allem ein Interview des australischen Angeklagten Greste mit einem Regierungsvertreter Kenias über das Massaker in der „Westgate-Mall“ von Nairobi. Peter Greste ist der Nairobi-Korrespondent von Al Jazeera, der lediglich zur Weihnachtsvertretung in Kairo war, als er verhaftet wurde.
Das selbst für die bescheidenen ägyptischen Justizstandards bodenlos inkompetente Verfahren hat weltweit Empörung und Proteste ausgelöst, weit über den Kreis von Presseorganisationen hinaus, zumal sich das Gericht nach wie vor weigert, den Angeklagten gegen Kaution Haftverschonung zu gewähren. Der Hohe Kommissar für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen zeigte sich „extrem besorgt über die zunehmend harsche Unterdrückung der Medien und die körperlichen Angriffe auf Journalisten in Ägypten“. Journalisten würden misshandelt oder gefangen gehalten unter Bedingungen, die mit internationalen Menschenrechtsstandards nicht vereinbar seien. Die vagen Vorwürfe gegen die Al-Jazeera-Angeklagten „machen uns große Sorge und verstoßen diametral gegen das Recht auf Meinungsfreiheit“, erklärte UN-Sprecher Rupert Colville. „Die Leute tragen Kameras und keine Waffen.“ Ähnlich äußerte sich das US-Außenministerium und sprach von einer „ungeheuerlichen Missachtung grundlegender Rechte und Freiheiten“. Der Strafprozess verbreite die abschreckende Botschaft, dass in Ägypten nur noch eine politische Sicht der Dinge statthaft sei, die der gegenwärtigen Machthaber, kritisierte Amnesty International und erklärte die Angeklagten zu „Gefangenen aus Gewissensgründen“ und sprach von einem „schweren Rückschlag für die Pressefreiheit“.
Denn der von Ägyptens neuen Machthabern nach dem Sturz von Mohammed Mursi ausgerufene „Kampf gegen den Terror“ nimmt immer totalitärere Züge an. Nachdem die vom Militär installierte Führung im Dezember die gesamte Muslimbruderschaft zu Terroristen erklärte, geht sie jetzt auch immer rabiater gegen Demokratieaktivisten, Journalisten und regierungskritische Akademiker vor. Sämtliche TV-Sender und Zeitungen der Muslimbüder sind verboten, während sich die regimenahen staatlichen und privaten Medien mit Verschwörungstheorien, Verwünschungen und Halluzinationen gegenseitig übertrumpfen. So eiferte der frühere Mubarak-Abgeordnete Mostafa Bakry in einer Fernsehshow, US-Präsident Barack Obama „und seine Handlanger“ planten, Abdel Fattah al-Sissi, Ex-Marschall und Präsidentschaftskandidat, zu ermorden. Ägypten werde das nicht zulassen, droht er an die Adresse aller US-Bürger am Nil. „Wir werden in ihre Häuser eindringen und jeden töten, einen nach dem anderen“, ein Mordaufruf, der für Bakry ohne juristische Folgen blieb.
Doch die Saat der permanenten Hetze geht auf. Nach dem Bombenschlag am 24. Januar gegen das Polizeipräsidium in Kairo wurde ein ARD-Kameramann und sein ägyptischer Kollege von einer wütenden Menge beinahe gelyncht, nachdem jemand auf sie gezeigt und „Al Jazeera“ gebrüllt hatte. Nur ein zufällig auf einem Motorrad vorbeifahrender Polizist in Zivil konnte die beiden durch Schüsse in die Luft aus den Fängen des Mobs retten. Anfang April wurde eine junge ägyptische Journalistin der liberalen Zeitung Al Dostour, die einen Fotoapparat um den Hals trug, bei Krawallen zwischen Polizei und Muslimbrüdern gezielt durch einen Schuss in den Kopf getötet. „Pressefreiheit in Ägypten hat einen Tiefpunkt erreicht“, urteilt Sherif Mansour, Nahost-Koordinator des „Komitees zum Schutz von Journalisten“. Die Lage für die Medien sei heute „schlimmer als unter Mubarak und schlimmer als unter Mursi“.