Hoffen auf Wandel in Guatemala

 

Prensa Comunitaria heißt das Online-Portal, das in Guatemala seit zehn Jahren dafür sorgt, dass die Berichterstattung aus ländlichen Gebieten zunimmt. Indigene Journalist*innen sind dafür mitverantwortlich. Mit rund 60 Korrespondent*innen außerhalb der Hauptstadt ist Prensa Comunitaria derzeit das wichtigste Nachrichtenportal. Längst ist es zu Leser*innen vorgedrungen, die früher kaum erreicht wurden. Das hat viel mit steigender Qualität und einiges mit dem Wandel in der guatemaltekischen Gesellschaft zu tun.

Quimy de León ist vorsichtig. „Den Zugangscode zu Colonia schicke ich später per Signal“, schreibt die Redaktionsleiterin von Prensa Comunitaria als wir uns per Messenger-Dienst zum Interview verabreden. Die aktuelle Redaktionsadresse wird auf dem Portal des Online-Magazins nicht preisgegeben. Der Grund sind die Angriffe auf das Medium und deren Mitarbeiter*-innen, die es mehrfach gegeben hat. „Drei Redakteur*-innen sind im Exil. Auch hier an unserer neuen Adresse hat uns schon die Polizei besucht“, erklärt Quimy de León am nächsten Tag in einer bewachten Wohnanlage am Rande des Zentrums von Guatemala Stadt in einem Privathaus. Seit rund einem Jahr ist das Haus die neue Redaktionsadresse, wo sich die derzeit rund 15 Redakteur*innen von Prensa Comuntaria treffen.

In die abgelegensten Regionen Guatemalas

Der Titel „Kommunale Presse“ ist gut gewählt, denn es geht den Macher*innen hinter dem Online-Portal darum, aus den Gemeinden der abgelegenen Regionen Guatemalas zu berichten. Diejenigen sollen zu Wort kommen, die dort dominieren: die indigene Bevölkerung.

Die stellt rund 44 Prozent der 18 Millionen Guatemaltek*innen, kommt aber in den Medien des Landes kaum bis gar nicht zu Wort. Das will Prensa Comunitaria ändern und in den zehn Jahren ihrer Existenz hat die Redaktion dafür gesorgt, dass die mediale Nabelschau rund um die Hauptstadt erste Risse bekommen hat. Dazu tragen auch andere unabhängige Redaktionen wie Plaza Pública, No Ficción oder Agencia Ocote bei. Keine ist aber so eng mit den indigenen Gemeinden Guatemalas verwoben wie Prensa Comunitaria. „Wir haben ein Netz von rund 60 Korrespondent*innen in den Regionen, viele davon werden von ihren Gemeinden dafür abgestellt zu berichten – sie haben einen Auftrag“, erklärt Quimy de León und ihre Kollegin Lucy Chay nickt zustimmend.

Die beiden Frauen, beide in den 30ern, bilden die Redaktionsspitze von Prensa Comunitaria. „Wir haben derzeit alle Hände voll zu tun, die laufende Berichterstattung rund um die Vereidigung der neuen Regierung und ihren Start mit der Planung für das laufende Jahr und den Abschluss von 2023 zu koordinieren“, sagt de León. Ein gravierendes Problem ist, dass 2024 weniger Ressourcen zur Verfügung stehen als im Vorjahr. „Auf 42 Prozent belaufen sich die Kürzungen aus den skandinavischen Ländern, die uns unterstützen. Die können wir nur partiell durch Gelder anderer Geber ausgleichen“, klagt de León. Folgerichtig wird das laufende Jahr ein schwieriges. Ein Widerspruch, denn genau jetzt benötigt das größte mittelamerikanische Land Medien, die den aktuellen Regierungswechsel begleiten, die den traditionellen Eliten auf die Finger schauen und frühzeitig auf Versuche von Abgeordneten oder auch Regierungsvertreter*innen hinweisen zu korrumpieren oder einzuschüchtern.

Guatemala Land sei auf dem strukturellen Rassismus gegenüber der indigenen Minderheit aufgebaut, kritisiert Quimy de León. Diese tradierten Verhältnisse stellt die neue Regierung Bernardo Arévalo in Frage und das ist ein Hoffnungsschimmer für Quimy de León, die Redaktion von Prensa Comunitaria und breite Gesellschaftsschichten. „Bernardo Arévalo hat sich unserer Redaktion und unseren Korrespondent*innen zum Interview Anfang September gestellt, nachdem er die Stichwahl vom 20. August mit großem Vorsprung gewann. Das war ein guter Auftakt“, erinnert sich Lucy Chay. Ein Video dieses Interviews mit dem damals designierten, am 15. Januar vereidigten Präsidenten kann man noch immer im Internet finden.

Eckpfeiler der Macht: Korruption und Paternalismus

Dabei hat sich Arévalo klar und deutlich zum Schutz der Pressefreiheit bekannt und zu seinen ersten Amtshandlungen gehörte auch die Vorladung der amtierenden Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras zur Kabinettssitzung am 29. Januar. Dort sollte die Frage auf den Kabinettstisch kommen, auf welcher Grundlage der international bekannte und prämierte investigative Journalist José Rubén Zamora noch immer im Gefängnis sitzt. „Positiv“, so Luca Chay, die bis Anfang 2023 Redaktionsleiterin von elPeriódico, der von Zamora gegründeten Tageszeitung war, und seit knapp einem Jahr bei Prensa Comunitaria mit Quimy de León die Redaktionsleitung innehat. „Die Lücke, die elPeriódico hinterlassen hat, können wir bei weitem nicht füllen. Zumal wir einen anderen Schwerpunkt haben, nicht der Korruption und der Mittelvergabe im Staatssektor wie elPeriódico hinterherspüren. Das ist nur punktuell der Fall“, erklären die beiden Frauen.

Allerdings ist das Online-Portal mit rund sechs Millionen Clicks pro Woche eines der Medien, die an Präsenz gewonnen haben und Hintergründe aufzeigen. Interviews mit indigenen Persönlichkeiten über deren Förderungen und Reformvorschläge gehören genauso dazu wie die Optionen, die Frau loszuwerden, die die 180 Grad-Wende im Justizsektor zu verantworten hat: Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras. Mindestens 86 ehemalige Justizangestellte, Anwälte, aber auch Journalist*en wie Zamora wurden aufgrund ihrer fadenscheinigen Anklagen inhaftiert oder mussten ins Ausland fliehen. In Diskussion ist deshalb ein neues Gesetz, das die Absetzung Porras ermöglichen würde. Davon könnte indirekt auch Prensa Comunitaria profitieren. Denn sollte die Justizreform, die die Regierung Arévalo initiieren will, zustande kommen, ist es wahrscheinlich, dass auch die drei exilierten Redakteur*innen wieder zum Redaktionsteam stoßen. Das könnte für die Presselandschaft in Guatemala Signalcharakter entfalten.

 

 

 

 

 

 

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