Eine investigative mexikanische Journalistin findet Zuflucht in Hamburg
Korruption in Mexiko ist das Thema von Ana Lilia Pérez. Ihre Berichte und Publikationen sind gefährlich, vor allem wenn höchste politische Kreise betroffen sind. Nun hat sie Zuflucht in Hamburg gefunden – weil sie in Mexiko um ihr Leben fürchten musste.
„Die ersten Morddrohungen habe ich direkt im Anschluss an das Erscheinen von „El Cartel Negro“ („Das schwarze Kartell“) erhalten. Doch wer dahinter steckt, darüber kann ich nur spekulieren“, erklärt Ana Lilia Pérez und rückt die schwarze, rechteckige Brille mit den rosafarbenen Bügeln zurecht. Das brisante Buch über das organisierte Verbrechen und die Netzwerke rund um Mexikos halbstaatlichen Erdölkonzern Petróleos Mexicanos (Pemex) hat in Mexiko viele Schlagzeilen gemacht. Minutiös weist die Journalistin darin nach, welches Interessensgeflecht, welche Machenschaften und welch ein Maß an Vorteilsnahme und Korruption es rund um den wichtigsten Konzern des Landes gibt. Wie Kartelle die Pipelines der Pemex anzapfen und den Treibstoff dann in Eigenregie in den USA verkaufen – geduldet von staatlichen Funktionären und gedeckt von Mitarbeitern des Konzerns, die dabei kräftig mitverdienen. So wie Gewerkschaftsboss Carlos Romero Dechamps, der seiner Tochter mit dem Gehalt eines einfachen Erdölarbeiters ein Jet Set-Leben ermöglicht. Keine haltlosen Vorwürfe, sondern eine detailliert untermauerte Anklage, der Ana Lilia Pérez Dokumente und Interviewpassagen angefügt hat, so dass auch die Staatsanwaltschaft eine Fülle von Ansatzpunkten findet.
Hartnäckig, investigativ, ethisch
Das brisante Buch hat in Mexiko für Schlagzeilen gesorgt und auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss nach sich gezogen. Nicht zum ersten Mal, denn die 35-jährige Frau mit dem vollen Gesicht und den halblangen pechschwarzen Haaren gehört zu Mexikos international bekannten investigativen Journalistinnen. Seit mehr als einer Dekade beschäftigt sie sich mit dem Energiesektor. „Der ist zum einen ein Stück Nationalheiligtum, weil die Mexikaner überaus stolz auf das größte Unternehmen des Landes sind, zum anderen jedoch sehr attraktiv für Parteiinteressen, Politik und Kartelle“, so die kleine, agile Frau. In Reportagen und Hintergrundberichten hat sie nachgewiesen, wie immer wieder die Politik ihre Hand nach der Pemex ausstreckte. Erst die PRI (Partei der institutionalisierten Revolution), die mit den Wahlen Ende Juni nach zwölfjähriger Abstinenz wieder in die Regierungsverantwortung gewählt wurde, dann die PAN (Partei der Nationalen Aktion). Mit der konservativen Partei und deren Präsidenten Vicente Fox und Felipe Calderón sowie ihren Machenschaften im Energiesektor, von denen Kinder und Angehörige profitierten, hat sie sich in einem weiteren Buch beschäftigt. Und nebenbei auch nachgewiesen, dass Mexikos einflussreichster Gasmagnat, Jesús Zaragoza López, den Wahlkampf von Felipe Calderón, Mexikos noch amtierenden Präsidenten, mitfinanziert hat.
Brisante Recherchen, die die Reporterin seit 2003 für das investigative Magazin „Contralínea“ („Gegen den Strich“) durchführt. Das erscheint alle vierzehn Tage und gehört zu den Medien, in denen noch akribisch recherchiert wird. Überaus riskant in Mexiko – vor allem wenn es um die Machenschaften der Kartelle und prominente Politiker geht. Ihnen ist Ana Lilia Pérez mit ihrer Arbeit auf die Füße getreten. So hat sie beispielsweise nachgewiesen, dass in Gastanks doppelte Böden für den Kokaintransport in die USA eingebaut waren.
Unterstützung zum richtigen Zeitpunkt
Ihre Berichte haben sie in den Fokus von Auftragskillern gebracht. Seit dem Erscheinen des Buches im November 2011 verging kaum ein Tag, an dem nicht eine E-Mail oder ein Anruf einging, in der sie bedroht wurde. Vier Personenschützer waren bis zur Ausreise am 25. Juni damit beschäftigt, die investigative Reporterin vor Anschlägen zu schützen. Seit dem 26. Juni ist sie nun in Sicherheit. Die „Hamburger Stiftung für politische Verfolgte“ hat für sie eine Wohnung gefunden. „Das Stipendium der Stiftung kam genau zum richtigen Zeitpunkt. So hatte ich eine Option: Mexiko zu verlassen, erst einmal zur Ruhe zu kommen und wieder einen klaren Gedanken zu fassen.“ Eines stünde jedoch fest: „Ich werde zurückkehren und meine Arbeit fortsetzen“, erklärt sie mit fester Stimme. Ihren Beitrag möchte sie leisten, damit Mexiko irgendwann wirklich eine demokratische Regierung hat.
Das wird derzeit international mehr anerkannt als im Heimatland. So nimmt Ana Lilia Pérez, die Archäologie und Anthropologie studierte bevor sie zum Journalismus wechselte, am 8. Oktober in Leipzig den „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ in Empfang. Eine Würdigung ihrer Arbeit, die in Mexiko derzeit wohl kaum möglich wäre. Der neuen Regierung steht sie nämlich ausgesprochen reserviert gegenüber. „Es droht die Wiederauferstehung der PRI-Maschinerie – nur mit einem deutlich jüngeren Repräsentanten“, mahnt sie. Bis zur Jahrtausendwende hatte die PRI, die Partei der institutionalisierten Revolution, in Mexiko die nahezu perfekte Diktatur aufgebaut. Für die freie Meinungsäußerung und die Presse sei die Wiederwahl der PRI nach zwölf Jahren konservativer Herrschaft alles andere als ein gutes Zeichen.