Iran: Freier Austausch von Informationen über Telegram

Propagandaplakat in der Metro von Teheran: "Die neuen Medien können ebenso reizend wie gefährlich sein!" Foto: Kambiz Behbahani

Was in einigen Ländern für viele WhatsApp ist, ist für die Menschen im Iran offenbar das Netzwerk Telegram. Es ist im Gegensatz zu anderen Instant-Diensten für alle Iraner_innen ohne Einschränkungen zugänglich. Der Internet-Dienst hat sich in den letzten Monaten zu einem der am schnellsten wachsenden sozialen Netzwerke im Iran entwickelt. Die Nutzer_innen können Textnachrichten, Fotos, Videos und Dokumente austauschen. Sehr häufig wird über Missstände in der Verwaltung, in Schulen oder in Krankenhäusern berichtet, mit der Absicht die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Häufig mit Erfolg.

Damit spielt das soziale Netzwerk Telegram, das mit verschlüsselter Kommunikation wirbt, eine wichtige Rolle bei der Aufklärung und der Information über den Zustand der Gesellschaft, über Politik und Wirtschaft im Iran. Durch den schnellen Austausch zwischen Millionen Iranerinnen und Iranern bleiben immer weniger Informationen verborgen. Auch Satire gegenüber Politikern, Kritik am Klerus und der Staatspolitik sowie die Infragestellung des Islam werden verbreitet. Es gibt Musik und Sprachkurse, Audiolesungen zahlreicher nationaler und internationaler Bücher sind in Farsi zu hören und zu sehen. Aber auch Pornografie, Partnervermittlung und Werbung gehören dazu. Alle iranischen Zeitungen und Zeitschriften, das Medienunternehmen Bloomberg – in Englisch und Farsi – und auch fast alle iranischen Nachrichtenagenturen, NGOs, neofaschistische und linke Gegner des Systems sind in diesem Netzwerk aktiv. Inzwischen ist Telegram auch eine Kommunikationsadresse persischsprachiger Auslandsender wie BBC, VOA, Deutsche Welle. Viele Regierungsinstitutionen verwenden Telegram, um eine Brücke zu den Bürger_innen zu schaffen und somit die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Auch heftige Auseinandersetzungen zwischen den konservativen Hartlinern und den Reformorientierten finden über Telegram statt. Besonders auffällig lässt sich das am Beispiel des ehemaligen Staatspräsidenten Mohammad Chatami belegen. Er darf das Land nicht verlassen und den Zeitungen ist es nicht gestattet, sein Bild und Interviews mit ihm zu veröffentlichen. Im sozialen Netzwerk Telegram konnte er jedoch seinen Einfluss geltend machen und seine Beliebtheit demonstrieren. Im Mai vor den Parlamentswahlen präsentierte er seine dreißig Kandidatinnen und Kandidaten für das Parlament. Er nannte sie „Liste der Hoffnung“(Omid). Er bat die Einwohner_innen von Teheran, sie zu unterstützen. In kurzer Zeit folgten ihm Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Musiker_innen mit Videoclips auf Telegram und auf anderen Internetplattformen. Die Wahl der „Liste Omid“ hat letztlich sogar die Optimisten überrascht.

Nach offizieller Statistik nutzen 20 Millionen Iranerinnen und Iraner das Internet und 30 Millionen sind im Besitz von Handys. In der Metro und auf den Straßen sieht man auch in Teheran immer mehr Menschen, die mit ihrem Smartphone kommunizieren. Irans Behörden stellten sich jahrelang gegen die Meinungs- und Pressefreiheit via Internet und drohten mit Repressalien. So wurden Satellitenanlagen verboten. Mit Razzien und Geldbußen wurde gegen Verstöße vorgegangen. Dabei besitzen über 70 Prozent der Iraner Satellitenanlagen. Seitdem der gemäßigte iranische Staatspräsident Hassan Rohani gewählt worden ist, ist zwar das Verbot und der Gebrauch von Satellitenanlagen nicht gesetzlich aufgehoben, aber es wird ein Auge zugedrückt. Ein Großteil der Iraner misstraut dem iranischen Fernsehen und den Funkhäusern, weil sie sich einseitig auf religiöse Inhalte konzentrieren und Andersdenkenden keinen Raum lassen. Da das staatliche iranische Fernsehen Sprachrohr der Hardliner ist und oft gegen die Politik von Hassan Rohani polemisiert, nutzen auch Hassan Rohani und Pro-Reformer Telegram als praktikabelste Plattform, um ihre Botschaften zu verbreiten.

Nach einer aktuellen Studie der Internetabteilung des iranischen Kultusministeriums sind 53 Prozent der 80 Millionen Iraner Mitglied in mindestens einem der im Iran verbotenen sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter, Viber, WhatsApp und Tango und im frei zugänglichen sozialen Netzwerk Telegram. Bei der Altersgruppe der 18 – bis 29 -Jährigen sind es sogar 72 Prozent. Dabei liegen WhatsAPP, Imo und Telegram vorn. Viele Videos vom YouTube-Kanal – der im Iran blockiert ist – können nun bequem per Telegram geteilt werden.

Dennoch ist auch der Zugang zu Telegram bedroht. So berichtete die iranische Nachrichtenagentur „Mehr“, dass bei einem Treffen des Obersten Rates für Cyberspace-Angelegenheiten beschlossen worden sei, dass alle Daten von ausländischen sozialen Medienaktivitäten des Landes innerhalb eines Jahres an die Regierung übergeben werden müssten. Dau gehörten auch die Daten der iranischen Bürger, die Dienste wie Telegram nutzen. „Mehr“ zufolge leben 80 Prozent der User_innen von Telegram im Iran.

Telegram wurde 2013 von den russischen Brüdern Nikolai und Pawel Durow gegründet, die bereits das russische soziale Netzwerk Vkontakte, das heutige vk.com, betrieben und später verkauft haben. Telegram hat sich in Konkurrenz zu WhatsApp (Facebook) inzwischen als eine erfolgreiche kostenlose Instant-Messenger- Alternative für alle gängigen Plattformen etabliert. Pawel Durow – von den Medien auch als „russischer Mark Zuckerberg“ bezeichnet – erklärte auf einer Konferenz im Februar dieses Jahres in München, dass 60 Millionen Nutzer am Tag mehr als zwölf Millionen Nachrichten über Telegram versenden. In Deutschland ist Telegram aufgrund mangelnder Transparenz und datenschutzrechtlicher Bedenken nicht unumstritten. Wenig ist über sein Firmengeflecht bekannt. Sein Hauptsitz soll angeblich in Berlin sein. Jedoch gibt es hier weder eine ausgewiesene Adresse noch eine gewerbliche Eintragung.

 

 

 

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