Mehr Schutz für Journalisten in Gaza

Der Krieg, den Israel gegen die Hamas führt, nimmt den Tod von Zivilist*innen in Kauf. Symbolischer Trauerzug für Journalist*innen, die während des Krieges in Gaza getötet wurden. Foto: AP/Nasser Nasser

Noch nie sind in einem internationalen Konflikt in so kurzer Zeit so viele Medienschaffende ums Leben gekommen wie im Gazastreifen. Reporter ohne Grenzen (RSF) beklagt Dutzende getötete Medienschaffende, die meisten starben durch israelisches Bombardement. Über die dortige Lage sprach M mit Christopher Resch, Pressereferent bei RSF und zuständig für die Palästinensischen Gebiete.

Trotz internationaler Kritik bereitet die israelische Armee die Bodenoffensive gegen die Hamas in Rafah vor. Was bedeutet das für die Medienschaffenden in der Region?

Für den Journalismus bedeutet das im Gazastreifen, dass es noch gefährlicher wird, zu berichten. Es gibt kaum noch sichere Orte, an denen keine Kampfhandlungen stattfinden. Journalist*innen, die berichten wollen, befinden sich in einem Kriegsgebiet, mit allen sonstigen Widrigkeiten: Sorge um die Familie, um die Ernährung, um die Sicherheit. Daher sehen wir von RSF eine mögliche Offensive sehr kritisch.

Laut jüngstem RSF-Report sind seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem Beginn der israelischen Bombardements in diesem Krieg insgesamt 112 Medienschaffende ums Leben gekommen, davon 105 im Gazastreifen, vier in Israel und drei im Libanon. Gelegentlich ist auch von 26 getöteten Medienschaffenden die Rede. Wie erklärt sich diese große zahlenmäßige Differenz?

Wir versuchen, genau zu belegen, ob jemand bei oder vielleicht sogar wegen der Arbeit als Journalist oder Journalistin getötet wurde. Aufgrund der aktuellen Situation im Gazastreifen ist nicht immer einfach zu überprüfen, ob das Opfer zu Hause getroffen wurde oder bei der Recherche. Daher nennen wir in der Regel auch die Zahl der insgesamt getöteten Journalist*innen.

Als besonders tragischen Fall bewerten Sie exemplarisch das Schicksal von Wael al-Dahdou, einem Journalisten von Al-Jazeera.

Wael al-Dahdou war der Büroleiter von Al Jazeera in Gaza. Er wurde vor einigen Wochen bei einem Luftangriff verletzt und musste nach Doha/Katar fliehen. Er hatte vorher mehrere enge Familienmitglieder im Krieg verloren: Seine Frau, ein Enkelkind und im Januar das dritte eigene Kind. Sein Sohn Hamza al-Dahdou war auch Reporter von Al Jazeera. Er wurde mit einem Kollegen bei einem Drohnenangriff der israelischen Armee unter noch ungeklärten Umständen getötet. Ein Fall, den wir extrem kritisch bewerten.

Am 5. Mai hat die israelische Regierung den arabischen Nachrichtensender Al-Jazeera in Israel abschalten lassen. Ministerpräsident Netanjahu wirft dem Sender vor, die Bevölkerung aufzuhetzen.

Al Jazeera ist kein wirklich unabhängiger Sender und beileibe nicht unparteiisch. Die Perspektive ist stark tendenziös und daher kritisch zu sehen. Streckenweise gibt Al Jazeera der Hamas-Propaganda ungefiltert Raum. Aber uns als RSF obliegt nicht die Bewertung journalistischer Inhalte. Al Jazeera ist das einzige Medienunternehmen, das sowohl Büros in Jerusalem hatte und über eine Korrespondenz im Gaza-Streifen verfügt. Für die Medienlandschaft, für das, was die Leute in Israel über Gaza sehen, ist der Sender schon wichtig.

Ist unter Kriegsbedingungen überhaupt eine unabhängige Berichterstattung möglich?

Kaum, jedenfalls ist es sehr schwierig. Wenn die Kampfhandlungen erst begonnen haben, werden auch die Einrichtungen der medialen Infrastruktur – Redaktionsgebäude und Sendenetze – zu Kriegszielen. Krieg ist immer auch ein Kampf um die Narrative, um Information, um Desinformation – das erleben wir gerade beim militärischen Vorgehen der israelischen Armee in Gaza so drastisch wie nie zuvor. Deshalb ist es erforderlich, dass wir verlässliche Bilder vom Geschehen im Gazastreifen bekommen. Mehr internationale Berichterstattung wäre dort sehr wichtig. Wir kritisieren das Verbot von Al Jazeera, weil es das Spektrum weiter verengt. Bei Fortsetzung dieser Politik wäre Gaza irgendwann ein mediales schwarzes Loch. Wo aber das Auge der Medien nicht hinschaut, da passieren in der Regel die schlimmsten Menschenrechtsverbrechen.

Reporter ohne Grenzen hat zwei Strafanzeigen beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) eingereicht, damit dieser mögliche Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende im Gazastreifen und Israel untersucht. Worum geht es dabei?

Die Strafanzeige vom 31. Oktober nennt acht palästinensische Journalisten, die bei der Bombardierung ziviler Ziele in Gaza getötet wurden sowie einen israelischen Journalisten, der am 7. Oktober von der Hamas ermordet wurde. Außerdem zwei palästinensische Medienschaffende, die während ihrer Berichterstattung verwundet wurden. Bei der zweiten Strafanzeige vom 22. Dezember geht es um sieben weitere palästinensische Medienschaffende, die von Ende Oktober bis Mitte Dezember 2023 im Gazastreifen ums Leben kamen.

Was ist daraus geworden? In deutschen Medien wurde darüber kaum berichtet.

Resch: Ja, leider. Ich habe den Eindruck, dass wir mit unserem Kampf für den Journalismus weniger in den Medien landen als es uns bei anderen Themen gelingt. Diese Perspektivverengung ist ein Problem. Der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, hat uns mitgeteilt, er habe aufgrund dieser Anzeigen auch Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten in seine Ermittlungen aufgenommen. Das gab es bislang noch nie. Ergebnisse liegen noch nicht vor. Solche Untersuchungen können sich über Jahre hinziehen.

Wie unterstützt Reporter ohne Grenzen die Arbeit der Medien?

Wir können im Moment nur unterstützen, indem wir mit Kontaktleuten vor Ort zusammenarbeiten. Wichtig wäre die Errichtung von Schutzzonen, damit Medienschaffende in Ruhe arbeiten können. Schutzzonen, in denen sie materielle, medizinische und psychologische Hilfe bekommen. Wir kriegen nichts ins Land, weder Schutzwesten, Schutzhelme noch Erste-Hilfe-Kits. Dann die Öffentlichkeitsarbeit: Wir kämpfen darum, dass auch humanitäre Perspektiven auf diesen Konflikt da sind, nicht nur militärische und geopolitische. Denn dabei geht das einzelne menschliche Schicksal leider oft verloren.

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