Journalistisches Krisengebiet

Investigative Berichterstattung in Bosnien-Herzegowina gefördert

Ohne Unterlass brennt in der Innenstadt von Sarajevo die Ewige Flamme. Sie erinnert an das Leid der Belagerung, den Schrecken des Krieges. Auch mehr als ein Jahrzehnt nach Ende der Kämpfe befinden sich Gesellschaft und Wirtschaft in Bosnien-Herzegovina noch im Wiederaufbau. Bei der Entwicklung des Landes könnten die einheimischen Journalisten eine Schlüsselrolle spielen. Doch nach Einschätzung des Medienexperten Drew Sullivan, der beim Betreten und Verlassen seines Büros direkt auf die Ewige Flamme blickt, ist Bosnien journalistisch noch immer ein Krisengebiet.

Der 42-jährige Journalist aus Nashville besitzt langjährige Erfahrung in der Medienaufbauhilfe in osteuropäischen und afrikanischen Ländern. Sein trauriges Fazit: Ein Großteil der bislang mehr als 100 Millionen Dollar an internationalen Aufbaumitteln für den Mediensektor in Bosnien seien wirkungslos verpufft. Seit 2004 leitete er das Zentrum für investigativen Journalismus in Sarajevo (Centar za istrazivacko novinarstvo, CIN). Dafür hat er mit einem Kollegen eine Firma gegründet, die im Auftrag der Journalistik-Abteilung der Universität New York das Projekt betreut. Der Etat für drei Jahre liegt bei 1,3 Millionen Euro. Erklärtes Ziel der Einrichtung ist, gemeinsam mit den einheimischen Mitarbeitern eine neue Form des bosnischen Journalismus zu entwickeln. Sullivan hofft, mittelfristig das Zentrum vollkommen in einheimische Hände geben zu können, damit von dort dauerhaft Impulse auf die bosnischen Medien wirken.

Einstellung ändern

Die Problematik des bosnischen Mediensystems ist umfangreich. Zuallererst aber müsste sich laut Sullivan die Einstellung der Endscheidungsträger in den Verlagen und Redaktionen ändern. „Bosnien steht mit einem Fuß noch immer im Sozialismus und mit dem anderen in der Demokratie.“ Zu Zeiten Bosniens als Teil des sozialistischen Jugoslawiens unter Tito hätten die Medien zum politischen System gehört und überhaupt nicht danach gefragt, was die Bürger interessiert. Leider hätten viele Redakteure diese Einstellung bis heute beibehalten. Bester Beweis seien die miserablen Verbreitungszahlen. Während nach Informationen von Sullivan in westeuropäischen Ländern pro Tausend Einwohner zwischen 200 und 500 Zeitungen verkauft werden, liege die Zahl in Bosnien bei nur 25 Exemplaren. Dass es nicht am Geld liegen könne, bestätigt in Sullivans Augen die Tatsache, dass es unter den vier Millionen Einwohnern über eine Million Mobiltelefone gebe.
In der Redaktion von Sullivans Team im Herzen der Stadt arbeiten zur Zeit fünf erfahrene Journalisten gemeinsam mit fünf jüngeren Kollegen. Das Zentrum recherchiert selbstständig und bietet die Ergebnisse den bosnischen Medien kostenlos zur Veröffentlichung an, um sowohl bei Lesern als auch Redakteuren ein Bewusstsein für gute Geschichten zu wecken. An Themen mangelt es nicht. Nach den Krankheiten des maroden Gesundheitssystems widmeten sie sich dem Zustand der bosnischen Kulturdenkmäler und dem Reizthema Versöhnung. Neueste Enthüllungen beschreiben den Niedergang des bosnischen Stromversorgers Elektrobosna durch Korruption und Inkompetenz.
Indiz für den Erfolg des Institutes sind die zahlreichen Zugriffe der einheimischen Medien auf die Rechercheergebnisse. Aber laut Mitarbeiterin Ida Djonlagic habe auch in der alltäglichen Arbeit das professionelle Auftreten der CIN-Mitarbeiter bereits zu Veränderungen geführt, die allen Journalisten des Landes zugute kommen würden. Sie nennt als Beispiel die zuvor gängige Praxis, sämtliche Fragen an Mitarbeiter der Regierung in schriftlicher Form einzureichen. „Wir haben uns dieser Methode immer verweigert. Aber entgegen der Prognosen unserer eigenen Mitarbeiter sprechen die Leute trotzdem mit uns. So verändern wir mit kleinen Schritten die Erwartungen der Menschen im Umgang mit Journalisten.“
Die 30-jährige Bosnierin, die zu Kriegszeiten für fünf Jahre in Frankfurt am Main gelebt hat, sei selbst erstaunt gewesen, wie schnell sie mit ihrer Arbeit beim CIN Dinge bewegen könne. Nach der Veröffentlichung der Recherche über das korrupte Gesundheitssystem habe sie im Friseursalon gehört, wie eine Kundin von ihrem letzten Arztbesuch erzählte. Die Journalistin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als die ältere Dame verblüfft schilderte, wie der Doktor auf das bis dahin gewohnte Bakschisch verzichtetet hatte: „Stell Dir vor! Die Krankenschwester hat mir dann zugeflüstert, ein paar Journalisten hätten eine Geschichte darüber geschrieben und jetzt ginge das nicht mehr.“

Links und mehr

Das Zentrum für investigativen Journalismus (www.cin.ba) ist ein Projekt der Journalistiksektion an der Uni New York (journalism.nyu.edu) und der Journalism Development Group (www.jdg.ba). Den Großteil der Finanzierung trägt die United States Agency for International Development (www.usaid.gov).

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