Kameramann zusammengeschlagen

Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Bolivien sind unerwünscht

„Wo ist der Mann vom Radio Pio XII, das die Menschen aufhetzt, statt zu vermitteln?“ Die Botschaft des Präfekten von Cochabamba José Arias bei einer Pressekonferenz zu den sozialen Unruhen im Januar in Bolivien war deutlich.

Doch Walter Unzüta, Reporter des katholischen Senders, liess sich nicht einschüchtern: „Wir machen nichts anderes, als der Bevölkerung die Mikrofone zu öffnen. Und was dabei herauskommt, ist ein einhelliger Protest gegen die Politik der Regierung.“ Andere Cochabambiner Medien beugten Ärger mit der politischen Elite dadurch vor, dass sie ihren Journalisten untersagten, Interviews mit Kleinbauern zu führen.

Selbst die Ergebnisse einer internationalen Fachtagung in Feldafing mit UNO-Experten, die wenig Verständnis für die von den USA in Bolivien durchgeboxte militärische Anti-Drogen-Strategie hatten, waren den zumeist im Besitz von Unternehmern oder Mitgliedern der etablierten Parteien befindlichen grossen Medien zu heikel. Dass die Ehefrau eines ranghohen Militärs und Fernsehkorrespondentin lieber nicht darüber berichten wollte, wie festgenommene Kleinbauernführer vor ihren Augen von der Polizei auf den Boden geworfen und mit den Stiefeln in den Rücken getreten wurden, kann man vielleicht noch verstehen. Jedoch spielte nicht nur Selbstzensur eine Rolle: Vor allem Bildreporter bekamen das zu spüren, die Aufnahmen von den Tränengaseinsätzen oder Prügelorgien machen wollten. Die wegen ihrer gefleckten Kampfanzüge „Dalmatiner“ genannten Polizisten einer Sondereinheit schossen wiederholt gezielt Tränengas aus Sprühdosen und Gummigeschossen auf die Journalisten ab, schlugen sogar auf sie ein. Angeblich auf Befehl des Präfekten. Ein Kameramann des Kanal 30 wurde von Agenten in Zivil verschleppt und zusammengeschlagen. Das wirkt.

Informationssperre durchbrochen

Und so spielte José Orias, Vorgesetzter der Uniformierten, lange Zeit den Uninformierten. Elektro-Folter an Koka-Gewerkschaftern im Polizeigewahrsam direkt neben der Präfektur am Hauptplatz von Cochabamba? Misshandlungen mit Gewehrkolben und Stacheldraht an willkürlich festgenommen unbeteiligten Passanten? Davon habe er nichts gehört. Den Vandalismus der „Dalmatiner“ im Gebäude des Cochabambiner Gewerkschaftsdachverbandes nur 60 Meter von seinem Büro entfernt, leugnete Orias ebenfalls, bis dann die Informationssperre durch mutige Journalisten wie die von Pio XII, und durch die Informationsarbeit von Menschenrechtsorganisationen langsam durchbrochen war. Nötig war auch der Druck der Kleinbauernorganisationen, die auf nationaler Ebene mit Blockaden der grossen Überlandstraßen ein Ende der Verfolgungen und den Beginn von Verhandlungen mit der Regierung forderten.

Erst schießen, dann schauen

Endlich befanden auch die Hauptstadtmedien es wert, von den systematisch angewendeten Folterungen und Misshandlungen zu berichten. Nun informierte auch ein kleiner Teil der internationalen Presse über diesen Konflikt, der nicht in das Schwarz-Weiß-Schema der sogenannten westlichen Zivilisation nach dem 11. September passt. Endlich wurde die Menschenrechtskommission des Parlaments aktiv und erst jetzt kamen wenigstens verbale Ankündigungen der Regierung, die Vorwürfe untersuchen zu wollen. Für die Opfer eindeutig zu spät.

Wenn engagierter Journalismus in der Departementshauptstadt Cochabamba schon nicht gern gesehen ist, dann ist er in der Kokaanbauregion Chapare noch schwieriger, wie P. Guillermo Siles, Direktor von Radio Pio XII berichtet: Wenn der Konflikt eskaliert, sollte man schon zu den ausgewählten Korrespondenten der Regierung gehören, um zum Ort des Geschehens eingeflogen zu werden. Im September musste eine Journalistengruppe von den Zeitungen „Opinion“ und „La Razon“ sowie der Fernsehstationen ATB und UNITEL unter Kugelhagel ansehen, wie auf dem Weg zu einem Interview in eine Kaserne nur zwei Meter entfernt von ihnen, ihr Führer, der Kleinbauer Ram-n Perez, verblutete. Die Rufe der Journalisten habe man wegen dem Stromaggregat nicht gehört, entschuldigte sich später der zuständige Oberst Hernan Caprirolo, der zunächst behauptet hatte, die Kaserne sei angegriffen worden. Und Ferngläser hätten sie auch nicht, um die Journalisten mit ihren typischen Westen erkennen zu können.

Die in der Region ansässigen Medien haben es da nicht leichter, vor allem, wenn sie Radio Soberanía (Souveranität) heissen und das Sprachrohr der Kleinbauerngewerkschaft sind. Am 15. Januar um Mitternacht näherten sich 8 gepanzerte Fahrzeuge und 4 Lastwagen voller Soldaten der Sendestation. Ohne jede weitere Erklärung drangen die Militärs in das Gebäude ein, zerstörten die Geräte und Verkabelung und nahmen das Sendegerät mit. Die nachgeschobene Begründung: Radio Soberanía verfügt über keine Sendelizenz. Kein Wunder, meint Pater Guillermo, denn das zuständige Amt habe in Chapare noch überhaupt keine Lizenzierung durchgeführt, und er fragt: Warum gerade Radio Soberanía? Warum Soldaten? Warum zerstören sie die Anlagen. Und warum dies mitten im Konflikt? Die beiden Journalisten sind einstweilen untergetaucht.


 

Solidaritätsaktion

Schreiben Sie an den bolivianischen Botschafter in Deutschland oder den bolivianischen Präsidenten Ing. Jorge Quiroga Ramirez,

  • verurteilen Sie die Aggressionen der Polizei und Militärs gegen Journalisten in Bolivien,
  • fordern Sie die staatlichen Garantien für die Pressefreiheit und die Entlassung und Strafverfolgung der an Gewalt gegen Journalisten beteiligten und der dafür verantwortlichen Personen.
  • Fordern Sie die Wiedereröffnung von Radio Soberanía, die Erteilung einer Lizenz und den materiellen Ersatz für die durch das Militär angerichteten Schäden.

Weitere Informationen:

ila-Zeitschrift, Februar 2002, sowie die Homepage von terre des hommes: www.tdh.de

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