Die Stadt Alamogordo im südlichen New Mexico mag mit ihren Kettenrestaurants und leeren Parkplätzen nicht die schönste sein, doch die umliegenden Berge und gigantischen Halbwüsten machen den spröden Beton allemal wett. In der Militärstadt leben rund 31 000 Menschen. Holloman Air Force Base, eine Basis der Luftwaffe, ist der größte Arbeitgeber. Was Alamogordo nicht mehr hat, ist eine eigene Zeitung. Zumindest nicht im klassischen Sinne. In ganz New Mexico gibt es derzeit noch 36 Zeitungen.
Die lange, gerade Geschäftsstraße, um den der Großteil der Kleinstadt entstanden ist, heißt „White Sands Boulevard” ebenso wie der nahegelegene Nationalpark mit seinem schneeweißen Dünenmeer, aber auch das viel größere Testareal des US Militärs, das rund 60 Kilometer entfernt liegt. Auf der „White Sands Missile Range” werden Drohnen, Flugzeuge und Kampfmittel aller Art ausprobiert.
Nach Alamogordo ziehen heute aber auch immer mehr Pensionäre, die von 285 Sonnentagen im Jahr angelockt werden oder den vergleichsweise niedrigen Lebenskosten in New Mexico. Nicole Maxwell sitzt vor einem Café entlang des „White Sands Boulevard“ und erzählt, wie es war, als das noch anders war. „Wir hatten jemanden für die Stadtpolitik, und eine Person, die sich nur um den High School Sport gekümmert hat”, sagt sie. In Alamogordo ist auch wie in vielen anderen amerikanischen Gemeinden der Erfolg der lokalen Football Teams von großer Bedeutung. „Dann wurden die Leute nach und nach entlassen.”
„Die Leute” sind Maxwell’s ehemalige Kollegen bei der „Alamogordo Daily News,” der letzten bestehenden Tageszeitung der Stadt. Die „Daily News” wurde 2015 von Gannett aufgekauft, einem amerikanischen Konzern, der sich in den letzten Jahren über 1000 Zeitungen einverleibt hat. Gannett’s wohl bekanntestes Produkt ist „USA Today“, die bis heute eine der größten Tageszeitungen der Vereinigten Staaten ist. Gannett ist bekannt dafür, kleine Zeitungen wieder profitabel zu machen, indem er sie auf einen radikalen Sparkurs zwingt. So geschah es dann auch bei der „Alamogordo Daily News”. Nachdem der neue Eigentümer die verbleibenden Stellen wegrationalisiert hatte, suchte er ein halbes Jahr nach einer Person, die von da an alleine den Laden schmeißen konnte. Irgendwann ließ sich Nicole Maxwell, die ihren Job bei der Zeitung inzwischen verlassen hatte, wieder darauf ein. Von da an war sie für alles zuständig, was in Alamogordo so anfiel, von der Militärbasis bis zum Testgelände, von lokalen Korruptionsfällen bis hin zum Schulsport.
Für Maxwell war die Erfahrung dabei nicht ganz neu. Zum Gesprächstermin mit M hat die aufgeschlossene Journalistin ein Zeitungsexemplar des „Mountain View Telegraph“, einem früheren Arbeitgeber, mitgebracht. Die Ausgabe sieht auf den ersten Blick nicht anders aus als andere Zeitungen: ein Artikel über eine Trauerveranstaltung, ein wenig Sport. Bei näherem Hinsehen wird aber klar, dass fast die gesamte Zeitung aus Maxwell’s Feder stammt. Unter jeder Schlagzeile auf dem Titelblatt prangt ihr Name. „Eine Woche lang durcharbeiten”, sagt Maxwell und zeigt dabei auf das Blatt. Auch in Alamogordo rast sie ständig von einem Termin bis zum nächsten, besonders oft zu Politikereignissen.
Ganz anders als beim großen Nachbarn Texas ist das politische Klima in New Mexico eher liberal. Die Gouverneurin, sämtliche Kongressabgeordnete sowie beide Senatoren, von denen jeder Bundesstaat in den USA zwei bekommt, gehören alle der Demokratischen Partei an. Auf lokaler Ebene ist das Bild aber oft durchmischter, und nicht wenige der kleinen Gemeinden im Süden des Staates wählen überwiegend die Republikaner. Auch Alamogordo tendiert stark nach rechts, Donald Trump gewann die letzte Präsidentschaftswahl im Wahlkreis der Stadt mit 61 Prozent.
Dass Alamogordo in den letzten Jahren auch immer wieder international in die Schlagzeilen geriet, hängt wohl vor allem an der Person Cuoy Griffin. Griffin war von 2019 bis 2022 ein „County Commissioner“, ein gewählter Posten, der sich in New Mexico um die finanziellen und planungstechnischen Angelegenheiten der „County“ oder Wahlkreise kümmert. Griffin war in seiner Rolle für einen großen Abschnitt des südlichen New Mexicos zuständig, darunter neben Teilen von Alamogordo auch ein benachbartes Reservat der Mescalero Apachen. Griffin, der meist in Western-Kluft und mit Hut angetroffen werden konnte, war in seiner Jugend Rodeoreiter. Später spielte er viele Jahre einen Cowboy in einer Westernshow im Disneyland Paris. Später siedelte er nach New Mexico um, wo er dann schließlich eine Organisation unter dem Namen „Cowboys for Trump” gründete.
Griffin wäre vielleicht mit seiner Cowboy-Truppe als einer von vielen eigenartigen amerikanischen Lokalpolitikern unbekannt geblieben, hätte er nicht am 6. Januar 2021 am Sturm auf das US-Kapitol teilgenommen. Seine Beteiligung an dem Umsturzversuch extremer Trump-Anhänger brachte ihm nicht nur eine Anzeige wegen unbefugten Zutritts ein. Als erster Politiker seit dem amerikanischen Bürgerkrieg wurde er deswegen aus dem Amt entlassen.
Für Nicole Maxwell gab es in den Monaten nach dem 6. Januar damit allerhand zu tun. „Das war verrückt”, sagt sie. Mittlerweile ist die Journalistin für ein Informationsportal über Politik von New Mexico tätig, einen Job, den sie weiter von Alamogordo aus machen kann. Ihren alten Arbeitgeber, die „Alamogordo Daily News“, gibt es zwar bis heute, aber nur noch als digitale Version. Die Zeitung hat noch einen einzigen Angestellten, der sich um sämtliche Berichterstattung aus der Stadt kümmert. Der wohne aber in El Paso, erzählt Maxwell – eine Großstadt, die rund 150 Kilometer von Alamogordo im Nachbarstaat Texas liegt.
„Die Leute wollen ja immer noch Nachrichten”, sagt Chris Edwards während er am Tresen seines Geschäfts, des „Roadrunner Emporiums” steht. Der Geschäftsmann trägt ein buntes Hemd und ein verschmitztes Grinsen im Gesicht. Er erzählt, wie er zum Medienmacher geworden ist. „Die Stadt ist ständig in Bewegung, allein wegen des Militärs”, berichtet er. „Und alle, die hierherkommen, fragen, wo sie Nachrichten herbekommen.” Chris Edwards, der neben dem Antiquitäten- und Krämerladen, in dem er heute verkauft, noch eine ganze Reihe von Immobilien in der Stadt besitzt, stammt ursprünglich aus Kalifornien. Er habe sich daran gestört, dass es über den Lokalsport quasi keine Berichterstattung mehr gebe. Kurzerhand entschloss er sich, einen eigenen Medienkanal zu gründen. Mittlerweile betreibt er zwei Internetportale und einen eigenen Radiosender, über die er alles Mögliche an Sport, Politik und Nachrichten sendet.
Chris Edwards steht offen zu seiner politischen Gesinnung. „Alamogordo Conservative News” heißt eine seiner Internetseiten. Doch obwohl sich Edwards als Republikaner versteht, hat er mit vielen seiner vermeintlichen Parteigenossen nichts gemeinsam. „Ich verstehe mich als Reagan Republikaner”, sagt er von sich. „Ich bin fiskal konservativ aber in sozialen Fragen liberal.” Das, was die sogenannte Make America Great Again-Fraktion (MAGA) hinter Figuren wie Cuoy Griffin repräsentiert, hat für Edwards nichts mit konservativer Politik zu tun. „Das ist schon Faschismus”, sagt er. Als schwuler Mann sieht er die rechtsextreme Gesinnung vieler Trump-Anhänger als Bedrohung. Dass ein bekannter MAGA-Politiker aus der Stadt ebenfalls homosexuell ist, verstehe er überhaupt nicht.
Chris Edwards erzählt belustigt davon, wie die Rechtsextremen in Alamogordo ihn immer wieder angefeindet haben. Edwards zeigt auf sein Geschäft und sagt: „Ich habe hier die Regel, dass Schusswaffen verboten sind.” Als Reaktion darauf kamen immer wieder Bewaffnete in den Laden, um ihn einzuschüchtern. Funktioniert hat das nicht. Edwards macht weiter: „Auf unserer Plattform bekommen wir momentan bis zu 4000 Klicks pro Tag.”
Für die Journalistin Nicole Maxwell zeigt das Beispiel von Chris Edwards und seiner konservativen Nachrichtenseite, dass Menschen in Alamogordo immer noch Interesse an Lokalnachrichten haben. „Aber er nutzt seine Plattform natürlich auch, um seine Geschäftsinteressen durchzusetzen.” Edwards und sein Partner besitzen in der Innenstadt von Alamogordo mehrere Immobilien und sprechen offen über ihr Vorhaben, hier ein Vergnügungs- und Kulturviertel aufzubauen. Maxwell’s ehemaliger Arbeitgeber, die „Alamogordo Daily News“, gehört mittlerweile der Firma „Digital First Media“, Ableger eines Hedgefonds, der, ähnlich wie der Vorgänger Gannett, mittlerweile hunderte von Lokalzeitungen besitzt. Die Berichterstattung der Zeitung wird wohl erstmal aus dem Nachbarstaat weitergehen.